EU-Länder dürfen Vermietung einschränken

EU-Staaten dürfen im Kampf gegen den Wohnungsmangel der Kurzzeitvermietung über Plattformen wie z.B. Airbnb notfalls einen Riegel vorschieben. Das hat der Europäische Gerichtshof am 22.09.2020 zu einer Regelung aus Frankreich entschieden.

Cali Apartments und HX sind jeweils Eigentümer einer Einzimmerwohnung in Paris. Die Einzimmerwohnungen wurden auf einer Website zur Vermietung angeboten und regelmäßig ohne vorherige Genehmigung der örtlichen Behörden für kurze Zeit an Personen vermietet, die sich lediglich vorübergehend in der Stadt aufhielten.

Der für die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes zuständige Richter des Tribunal de grande instance de Paris (erstinstanzliches Zivilgericht Paris, Frankreich) und in der Folge dann auch die Cour d’appel de Paris (Berufungsgerichtshof Paris) verurteiltenCali  Apartments und HX gemäß dem französischen Bau-und Wohnungsgesetzbuch zur Zahlung einer Geldbuße und ordneten die Rückumwandlung der betreffenden Räume in Wohnungen an. Das französische Bau-und Wohnungsgesetzbuch sieht vor, dass die Umnutzung von Wohnungen in französischen Gemeinden mit mehr als 200.000 Einwohnern und in den Gemeinden dreier an Paris angrenzender Departements der vorherigen Genehmigung bedarf, dass die Tätigkeit der regelmäßigen Kurzzeitvermietung von möblierten Wohnungen an Personen, die sich lediglich vorübergehend in der betreffenden Gemeinde aufhalten, ohne dort einen Wohnsitz zu begründen, eine solche Umnutzung darstellt, dass die Umnutzungsgenehmigung, die vom Bürgermeister der Gemeinde erteilt wird, in der das betreffende Gebäude gelegen ist, von einem Ausgleich durch gleichzeitige Umwandlung von anders genutztem Raum in Wohnraum abhängig gemacht werden kann und dass mit einem Beschluss des Stadtrats für jeden Stadtteil bzw. -bezirk im Hinblick auf die Ziele der sozialen Vermischung und unter Berücksichtigung insbesondere der Lage auf den Wohnungsmärkten und der Notwendigkeit, den Wohnungsmangel nicht zu verschärfen, die Voraussetzungen für die Erteilung der Genehmigungen und die Festsetzung des Ausgleichs bestimmt werden.

Im Rahmen von Verfahren über Kassationsbeschwerden, die von den Eigentümern der beiden Einzimmerwohnungen gegen die Urteile der Cour d’appel de Paris (Berufungsgerichtshof Paris, Frankreich) eingelegt wurden, hat die Cour de cassation (Kassationsgerichtshof, Frankreich) dem Gerichtshof Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt, um über die Vereinbarkeit der in Rede stehenden nationalen Regelung mit der Richtlinie 2006/123 über Dienstleistungen im Binnenmarkt entscheiden zu können.

Mit seinem Urteil vom 22.09.2020 hat der Gerichtshof (Große Kammer) als Erstes entschieden, dass die Richtlinie 2006/123 auf eine Regelung eines Mitgliedstaats über gewerblich oder privat ausgeübte Tätigkeiten der regelmäßigen Kurzzeitvermietung von möblierten Wohnungen an Personen, die sich  ediglich vorübergehend in der betreffenden Gemeinde aufhalten, ohne dort einen Wohnsitz zu begründen, anwendbar ist. Er hat insoweit festgestellt, dass solche Tätigkeiten unter den Begriff „Dienstleistung“ im Sinne von Art.4 Nr.1 der Richtlinie 2006/123 fallen und dass es sich bei ihnen um keine der Tätigkeiten handelt, die nach Art. 2 Abs. 2 der Richtlinie vom Anwendungsbereich der Richtlinie ausgenommenen sind. Er hat ferner festgestellt, dass die in Rede stehende Regelung nicht deshalb vom Anwendungsbereich der Richtlinie 2006/123 ausgenommen ist, weil es sich bei ihr um eine allgemeine, unterschiedslos anwendbare Regelung bezüglich der Stadtentwicklung oder Bodennutzung, insbesondere der Stadtplanung handelte. Mit der Regelung soll zwar ein ausreichendes Angebot an Wohnungen, die längerfristig zu erschwinglichen Preisen vermietet werden, gewährleistet werden. Sie gilt aber nur für Personen, die eine ganz bestimmte Art von Vermietung anbieten.

Als Zweites hat der Gerichtshof entschieden, dass eine nationale Regelung, die die Ausübung bestimmter Tätigkeiten der Wohnraumvermietung von  einer vorherigen Genehmigung abhängig macht, unter den Begriff „Genehmigungsregelung“ im Sinne von Art. 4 Nr .6 der Richtlinie 2006/123 fällt, und nicht unter den der Anforderungen im Sinne von Nr. 7 dieser Vorschrift. Eine Genehmigungsregelung unterscheidet sich von Anforderungen darin, dass der Dienstleistungserbringer eine förmliche Entscheidung erwirken muss, mit der die zuständigen Behörden seineTätigkeit genehmigen, was bei der in Rede stehenden Regelung der Fall ist.

Als Drittes hat der Gerichtshof darauf hingewiesen, dass eine Genehmigungsregelung wie die durch die in Rede stehende Regelung eingeführte den Anforderungen gemäß Kapitel III Abschnitt 1 der Richtlinie 2006/123 entsprechen muss, insbesondere Art. 9 Abs.1 und Art.10 Abs. 2 der Richtlinie, so dass in einem ersten Schritt nach Art. 9 der Richtlinie zu prüfen ist, ob die Einführung der Regelung als solche gerechtfertigt ist, und in einem zweiten Schritt nach Art. 10 der Richtlinie, ob die für die Erteilung der Genehmigungen gemäß der Regelung maßgeblichen Kriterien die entsprechenden Anforderungen erfüllen.

Zu den Voraussetzungen gemäß Art. 9 Abs.1 der Richtlinie 2006/123, insbesondere zu der Voraussetzung, dass die Genehmigungsregelung durch zwingende Gründe des Allgemeininteresses gerechtfertigt sein muss,  und der Voraussetzung, dass das angestrebte Ziel nicht durch ein milderes Mittel erreicht werden kann (Verhältnismäßigkeit), hat der Gerichtshof zum einen festgestellt, dass mit der in Rede stehenden Regelung ein System zur Bekämpfung des Mangels an Wohnungen, die längerfristig vermietet werden, geschaffen werden soll, um der Verschlechterung der Bedingungen für den Zugang zu Wohnraum und der Verschärfung der Spannungen auf den Immobilienmärkten Rechnung zu tragen, was einen zwingenden Grund des Allgemeininteresses darstellt. Zum anderen hat der Gerichtshof festgestellt, dass die in Rede stehende nationale Regelung in Bezug auf das angestrebte Ziel verhältnismäßig ist. Sie ist sachlich auf eine ganz spezielle Tätigkeit der Vermietung beschränkt, sie schließt von ihrem Anwendungsbereich Wohnungen aus, die den Hauptwohnsitz des  Vermieters bilden, und die Genehmigungsregelung, die mit ihr eingeführt wird, ist räumlich nur begrenzt anwendbar. Das angestrebte Ziel kann auch nicht durch ein milderes erreicht werden, insbesondere, weil eine nachträgliche Kontrolle, etwa ein Meldesystem mit Sanktionen, es nicht ermöglichen würde, die Fortsetzung des schnellen Umwandlungsprozesses, durch den der Mangel an Wohnungen, die langfristig vermietet werden, herbeigeführt wird, sofort und wirksam zu verlangsamen.

Zu den Anforderungen, die nach Art. 10 Abs. 2 der Richtlinie 2006/123 für die von der in Rede stehenden Regelung vorgesehenen Genehmigungskriterien gelten, hat der Gerichtshof erstens zu dem  Erfordernis, dass die  Kriterien durch einen zwingenden Grund des Allgemeininteresses gerechtfertigt sein müssen, festgestellt, dass bei den betreffenden Kriterien grundsätzlich davon auszugehen ist, dass sie durch denselben Grund des Allgemeininteresses gerechtfertigt sind wie den, durch den die Regelung gerechtfertigt ist, mit der die Genehmigungen auf nationaler Ebene vorgesehen worden sind. Mit ihnen werden nämlich lediglich die Modalitäten der Festlegung derVoraussetzungen für die Erteilung dieser Genehmigungen auf örtlicher Ebene festgelegt.

Was zweitens das Erfordernis der Verhältnismäßigkeit der Kriterien geht, hat der Gerichtshof festgestellt, dass die in Rede stehende nationale Regelung die Befugnis vorsieht, die beantragte Genehmigung mit der Verpflichtung zum Ausgleich durch gleichzeitige akzessorische Umwandlung anders genutzter Räume in Wohnraum zu verbinden, dessen Umfang vom Gemeinderat festgesetzt wird, und zwar im Hinblick auf das Ziel der sozialen Vermischung und unter Berücksichtigung insbesondere der Lage auf den Wohnungsmärkten und der Erforderlichkeit, den Wohnungsmangel  nicht  zu  verschärfen. Eine  solche Befugnis stellt grundsätzlich ein geeignetes Mittel dar, um diese  Ziele zu erreichen, da sie es den örtlichen Behörden überlässt, zu entscheiden, ob sie eine solche Ausgleichspflicht auferlegen oder nicht, und gegebenenfalls deren Umfang zu bestimmen. Das nationale Gericht hat aber zu prüfen, ob mit der Befugnis tatsächlich einem in den betreffenden Gebieten festgestellten Mangel an Wohnungen, die längerfristig vermietet werden, Rechnung getragen wird. Außerdem hat es sich zu vergewissern, dass die Befugnis nicht nur der Lage auf dem Mietmarkt in den betreffenden Gemeinden angepasst, sondern auch mit der in Rede stehenden Vermietungstätigkeit vereinbar ist. Dabei hat es zu berücksichtigen, dass diese Tätigkeit, wie allgemein festgestellt wird, rentabler ist als die Vermietung von Wohnungen zur Begründung eines Wohnsitzes. Es hat ferner zu berücksichtigen, wie der Ausgleichspflicht an dem betreffenden Ort in der Praxis nachgekommen werden kann. Es muss sich vergewissern, dass der Ausgleichspflicht durch eine Vielzahl von Ausgleichsmechanismen nachgekommen werden kann, die angemessenen, transparenten und zugänglichen Marktbedingungen entsprechen.

Was drittens die Erfordernisse der Klarheit, der Unzweideutigkeit und der Objektivität angeht, hat der Gerichtshof festgestellt, dass nicht bereits deshalb ein Verstoß gegen diese Erfordernisse vorliegt, weil der Begriff der „regelmäßigen  Kurzzeitvermietung einer möblierten Wohnung an Personen, die sich lediglich vorübergehend in der betreffenden Gemeinde aufhalten, ohne dort einen Wohnsitz zu begründen“, in der in Rede stehenden   Regelung nicht definiert ist,  insbesondere nicht durch Schwellenwerte, solange die betreffenden örtlichen Behörden klar, eindeutig und objektiv bestimmen, was mit dem Begriff gemeint ist. Die Voraussetzungen für die Erteilung der in einer Regelung vorgesehenen Genehmigungen sind grundsätzlich auch nicht bereits deshalb als nicht hinreichend klar und objektiv anzusehen, weil der nationale Gesetzgeber die Frage, auf welche Weise sie von den örtlichen Behörden zu bestimmen sind, lediglich insoweit geregelt hat, als er auf die Ziele verwiesen hat, die die Behörden zu berücksichtigen haben. Dies gilt insbesondere dann, wenn die nationale Regelung nicht nur die Ziele vorgibt, die von den betreffenden örtlichen Behörden zu verfolgen sind, sondern darüber hinaus auch die objektiven Gesichtspunkte, nach denen die örtlichen Behörden die Voraussetzungen für die Erteilung der Genehmigungen festzulegen haben.

Was schließlich viertens die Erfordernisse der vorherigen Bekanntmachung, der Transparenzund der Zugänglichkeit der Voraussetzungen für die Erteilung der Genehmigungen angeht, hat der Gerichtshof festgestellt, dass es insoweit genügt, dass jeder Eigentümer, der beabsichtigt, eine möblierte Wohnung an Personen zu vermieten, die sich lediglich vorübergehend in der betreffenden Gemeinde aufhalten, ohne dort einen Wohnsitz zu begründen, vor Aufnahme einer solchen Tätigkeit in vollem Umfang wissen kann, welche Voraussetzungen für die Erteilung einer Genehmigung und welche Ausgleichspflicht von den betreffenden örtlichen  Behörden festgelegt worden sind, was durch den Aushang der Protokolle der Sitzungen des Gemeinderats im Rathaus und die Veröffentlichung dieser Protokolle auf der Website der Gemeinde erreicht werden kann. Quelle: EuGH, Rechtssache C-724/18 / DMM