Neuer Abgasskandal: Lkw sorgen für Tod und Verderben

Von den gut 8 Mio. schweren Brummis, die Tag für Tag das deutsche Straßennetz belasten und jährlich für hunderte Milliarden Euro an volkswirtschaftlichen Schäden sorgen, sind vor allem die osteuropäischen Lkw schuld an einem Abgasskandal riesigen Ausmaßes. Der wurde bisher in Deutschland verschleiert. Ob mit Absicht oder nicht, ist schwer zu sagen. Der Skandal ist immanent in der deutschen Verkehrspolitik, die statt den Güterverkehr mehrheitlich wieder zurück auf die umweltfreundliche Schiene zu verlagern, den katastrophal umwelt- und klimaschädlichen Straßengüterverkehr seit Jahrzehnten forciert.

Während die Pkw-Hersteller seiten der EU neuerdings mit der Abgasnorm EU7 in große Bedrängnis gebracht werden, ist im Nutzfahrzeuggewerbe eine Riesensauerei im Gange.  So belegt die vom Schweizer Bundesamt für Umwelt (BAFU) veröffentlichte aktuelle Studie „Remote RDE Messtechnik Validierung“ wissenschaftlich, dass das von der Universität Heidelberg entwickelte „Plume Chasing“ Messverfahren zur Messung von Schadstoffen in der Abgasluft von Lkw in der Praxis korrekte und sehr genaue Ergebnisse ermittelt. Den sich daraus ergebenden Abgasskandal in der von ZDF und Camion Pro seit 2016 benannten Größenordnung hatte das deutsche Bundesamt für Güterverkehr (BAG) bislang in Frage gestellt.

Die durch die Schweizer Regierung veröffentlichte Studie „Remote RDE Messtechnik Validierung“ belegt eindeutig die Korrektheit der Messergebnisse des von der Universität Heidelberg entwickelten "Plume Cahsing Verfahren. Für den Branchenverband Camion Pro ist damit auch bewiesen, dass die gravierenden Umweltverstöße durch illegal manipulierte osteuropäische LKW tatsächlich existieren und von den deutschen Behörden seit Jahren falsch eingeschätzt wurden. Nach Ansicht von Camion Pro-Vorstand Andreas Mossyrsch basiert diese behördliche Fehleinschätzung auf der Annahme, dass die Messergebnisse der Universität Heidelberg, auf Messfehler zurückzuführen seien.

Schon 2016 hatte Dr. Denis Pöhler vom Institut für Umweltphysik mit seinem neuen Messverfahren gemeinsam mit dem ZDF und Camion Pro katastrophale Abgaswerte bei zahlreichen LKW aus Osteuropa feststellt und so einen bis dahin unbekannten Abgasskandal im europäischen Transportwesen aufgedeckt. Das BAG, als die für die Kontrolle des gewerblichen Güterkraftverkehrs zuständige Behörde in Deutschland, hatte die Korrektheit dieser Messungen jedoch stets in Frage gestellt, ohne dabei nachvollziehbare Begründungen vorzulegen.

Schweiz will es genau wissen. In der aktuellen Schweizer Studie haben Techniker und Wissenschaftler nun das neue „Plume Cahing“ Verfahren, bei dem von einem Fahrzeug aus die Schadstoffe in der Abgasluft vorausfahrender Fahrzeuge gemessen werden, mit dem offiziell anerkannten Verfahren (Real Driving Emissions –RDE) unter realen Bedingungen verglichen. In einem einwöchigen Praxistest führten Techniker der Eidgenössische Materialprüfungs- und Forschungsanstalt (EMPA), Dübendorf bei Zürich (CH), die Universität Heidelberg (D) und Camion Pro International Luzern (CH) Messungen über Hunderte von Kilometern an LKW verschiedenen Abgasklassen durch. Das Ergebnis: Beide Systeme liegen mit ihren Messergebnissen sehr nah beieinander. Mehr noch: Das neu entwickelte Verfahren scheint sogar zuverlässiger zu funktionieren.

„Das Ergebnis bestätigt, dass die seit Jahren festgestellten katastrophalen Stickoxid-Emissionen vor allem bei osteuropäischen Lkw keine Messfehler sind“, kommentiert Camion-Pro-Vorstand Mossyrsch. „Damit ist auch klar, dass die Ergebnisse, die in den letzten Jahren bis zu 25 % manipulierte Lkw aus Osteuropa dokumentiert haben, ein reales Bild wiedergeben.“ Diese Bestätigung ist für ihn dennoch kein Grund zur Genugtuung. Denn die bereits Anfang 2016 an die Bundesregierung übermittelten Rechercheergebnisse von Camion Pro und ZDF, die einen gigantischen Abgasbetrug nahelegten, haben bisher weder zu intensiven Messungen noch zu geeigneten Konsequenzen durch die Behörden geführt. Nach Schätzungen von Camion Pro haben Lkw mit manipulierten Abgassystemen seither ungehindert rund 80.-100.000 Tonnen NOx allein in Deutschland illegal ausgestoßen. „Das muss man nun erst einmal einem Familienvater erklären, der wegen einiger Gramm NOx mit seinem Gebrauchtwagen nicht mehr in die Innenstadt darf“, so Mossyrsch.

Begünstigte das Bundesamt für Güterverkehr bewusst Kriminelle aus Osteuropa? Der Vorwurf, dass osteuropäische Transportunternehmen ihre Lkw-Abgasanlagen manipulieren, um AdBlue und Reparaturen zu sparen, ist nicht neu. Das Ausmaß, um das es sich bei der Verschmutzung handelt, ist den meisten Bürgern nicht bekannt. Camion Pro geht davon aus, dass durch die Manipulationen Tausende Tonnen Stickoxide zusätzlich die Umwelt belasten und diese sogar den überwiegenden Teil der NOx-Gesamtbelastung des Lkw-Verkehrs auf deutschen Autobahnen ausmachen.

Die 2016 und 2017 veröffentlichten Recherchen von ZDF und Camion Pro e.V. legen nahe, dass allein in Deutschland jedes Jahr circa 20.000 Tonnen Stickoxide durch manipulierte LKW illegal in die Luft gelangen. „Wer glaubt, dass diese alarmierenden Erkenntnisse bei Politik und Behörden massive Bemühungen ausgelöst hätten, dem Problem auf den Grund zu gehen und die illegalen Aktivitäten abzustellen, irrt sich“, weiß Andreas Mossyrsch. Im Gegenteil: So bezeichnete das Bundesamt für Güterverkehr mehrfach vor Journalisten (ZDFzoom, "Nachgezoomt" vom Januar 2019) und bei Anhörungen im Bundestag die Messergebisse der Uni Heidelberg als nicht nachvollziehbar und "Horrorzahlen". Seriös widerlegt wurden die Messungen aber zu keinem Zeitpunkt. Vielmehr ging das BAG offenbar davon aus, dass die von ZDF und Camion Pro veröffentlichten Werte auf „Fehlmessungen“ eines nicht ausgereiften Messverfahrens zurückzuführen seien. „Die angeblichen Fehlmessungen wurden aber über Jahre und in verschiedenen europäischen Ländern durch unabhängige Messungen bestätigt“, erklärt Andreas Mossyrsch. Zudem haben die Behörden europäischer Nachbarstaaten bei Kontrollen erhebliche Mengen von Geräten zur Manipulation des Abgassystems, sogenannte Emulatoren sichergestellt, die im osteuropäischen Onlinehandel massenhaft angeboten wurden. „Doch das alles hat die ‚Allianz der Entspannten‘ offenbar nicht sonderlich beeindruckt“, konstatiert der Camion-Pro-Vorstand.

Kein zweiter Abgasskandal erwünscht? In ihrer Einschätzung des Lkw-Abgasskandals zeigten das Bundesamt für Güterverkehr, die Automobilwirtschaft und die Sprecher der osteuropäischen Transportwirtschaft große Einigkeit. Sie alle hatten offensichtlich kein Interesse an einer Ausweitung des Skandals. In Deutschland unterblieben alle ernsthaften Versuche, die wissenschaftlichen Erkenntnisse der Universität Heidelberg und von Camion Pro konsequent zu überprüfen und damit die Vorwürfe zu bestätigen oder zu widerlegen. „Da herrscht wohl das Prinzip ‚Hoffnung‘ bei Automobilwirtschaft und Behörden, denen wohl einer zweiter Abgasskandal mehr als ungelegen käme“, so die Einschätzung von Andreas Mossyrsch.

Camion Pro fordert Konsequenzen. „Das Ergebnis ist speziell für das Bundesamt für Güterverkehr – allen voran für den obersten deutschen LKW-Kontrolleur und Präsidenten des BAG, Andreas Marquardt, peinlich und eine ‚Klatsche‘ erster Güte“, kommentiert Mossyrsch. „Gerade Herr Marquardt hat persönlich die Öffentlichkeit und die Politik über vier Jahre lang über das wahre Ausmaß hinweggetäuscht.“ Der Camion-Pro-Vorstand fordert daher: „Die Politik muss jetzt handeln – allen voran Andreas Scheuer als Verkehrsminister, das Wirtschaftsministerium, das Umweltministerium sowie das EU-Parlament. Der AdBlue-Skandal ist nicht nur ein deutsches Problem, und das BAG ist erkennbar mit einer adäquaten Bearbeitung überfordert. Die Politik muss jetzt handeln, wenn man in Sachen Umweltschutz glaubwürdig bleiben will.“

Der Abschlussbericht zur Studie „Remote RDE Messtechnik Validierung“ lässt sich hier herunterladen: https://www.aramis.admin.ch/Default?DocumentID=61263 / DMM