Verbraucherzentrale: Weg mit der Vorkasse bei Reisen

Der Verbraucherzentrale Bundesverband (vzbv) veröffentlichte ein Positionspapier und ein Gutachten zur Neuregelung der Vorkasse-Praxis im Flug- und Reisebereich. Der vzbv kritisiert, dass Airlines den gesamten Betrag bei der Buchung oft bereits monatelang im Voraus verlangen. Die wirtschaftlichen Herausforderungen eines Systemwechsels weg von der gängigen Vorkasse-Praxis wären für die betroffenen Anbieter zwar zum Teil groß, aber durchaus zu meistern. Dabei stützt sich der vzbv auf ein Gutachten von Wirtschaftsexperten der Hochschule Luzern.

Die Corona-Pandemie fördert die schon lange vorhandenen, strukturellen Probleme der Reise- und Flugbranche sehr deutlich zu Tage. Die Vorkasse-Praxis ist wirtschaftlich äußerst bedenklich. Mit den Geldern der Kunden, die heute buchen, werden die Reisen oder Flüge für diejenigen bezahlt, die schon vor Monaten gebucht und ebenfalls bezahlt haben.
 „Das Prinzip der Vorkasse gleicht einem Strohfeuer, das stets genährt werden muss, um nicht sofort zu verlöschen“, so Klaus Müller, Vorstand des vzbv. „Fairerweise sollte ein Flug erst bei Flugantritt bezahlt werden müssen.“

Geringe Preiserhöhung bei Wechsel weg von Vorkasse. Das vom vzbv in Auftrag gegebene Gutachten zeigt auf, welche wirtschaftlichen Effekte sich bei der Umstellung vom Vorkasse-Modell auf Zahlung bei Flug- oder Reiseantritt ergeben. Schafft die Bundesregierung die Vorauszahlungspflicht vollständig ab, müssten Flug- und Reiseanbieter für ihre dann notwendigen Vorleistungen Eigen- oder Fremdkapital aufnehmen. Das ist in den meisten Branchen durchaus üblich. In Folge entstehen zusätzliche Kapitalkosten. Auch schlechtere Rahmenbedingungen zugrunde gelegt würden diese aber nicht mehr als 3,3 % des deutschen Flugreisemarktvolumens und nicht mehr als 1,1 % des deutschen Pauschalreisemarktes ausmachen. Selbst bei einer vollständigen Überwälzung der Kosten auf Reisende erhöhen sich die Preise für Flugbuchungen daher um nicht mehr als 3,3 %. Die Preise für Pauschalreisen steigen um nicht mehr als 1,1 % an.

„Einer Umsetzung unserer Forderung weg von der Vorkasse hin zur Bezahlung bei Check-In steht nichts im Wege. Um endlich ausgewogene und interessensgerechte Regelungen zu schaffen, muss die Bundesregierung jetzt tätig werden. Die Abschaffung der extensiven Vorkasse-Praxis gehört auch in den Koalitionsvertrag nach der Bundestagswahl“, mahnt Klaus Müller. Am 10. März 2021 fand dazu eine Online-Veranstaltung der Verbraucherzentrale Baden-Württemberg statt.

Das Gutachten der Professoren Dr. Philipp Lütolf, Markus Rupp sowie von Reto Wernli von der Hochschule Luzern –Wirtschaft, Institut für Finanzdienstleistungen in Kürze: 

Effekte auf die Airlines.Für die Airlinebranche ist von einer nach Umsatzanteilen gewichteten durchschnittlichen Vorauszahlungsdauer von ca. 72 Tagen auszugehen.

  • In einem normalisierten Jahr nutzen die Airlines von den deutschen Fluggästen durchschnittliche Vorauszahlungen im Umfang von ca. 3.5 Mrd. Euro.
  • Eine Umstellung auf eine Bezahlung bei Check-in würde einen Liquiditätsbedarf von 3.5 Mrd. Euro auslösen. Eine Umstellung auf ein Bezahlungsmodell "Hälfte bei Buchung, Hälfte bei Check-in" würde einen Liquiditätsbedarf von ca. 1.7 Mrd. Euro auslösen.
  • Die größte Herausforderung für eine Umstellung auf eine Bezahlung bei Check-in sind die von der Corona-Krise arg in Mitleidenschaft gezogenen Bilanzen. Ohne Inkaufnahme weiterer Ratingverschlechterungen müsste ein bedeutender Teil des Liquiditätsbedarfs über Eigenkapital gedeckt werden. Es dürfte sehr schwierig sein, private Investoren dafür zu gewinnen.
  • Es wäre daher sicherlich ratsam mit einer Umstellung einige Jahre zu warten, so dass sich die Bilanzen der Airlines etwas erholen können.

Effekt auf die Fluggäste. Eine Umstellung auf eine Bezahlung bei Check-in würde in keinem der analysierten Szenarien zu zusätzlichen Kapitalkosten führen, welche mehr als 3,3 % des deutschen Flugreisemarktvolumens ausmachen würden. Oder anders ausgedrückt. Falls die Airlines die zusätzlichen Kapitalkosten auf die deutschen Gäste überwälzen würden, würden sich die Preise nicht ummehr als 3,3 % erhöhen. Je nach Szenario kann die Wirkung auch geringer ausfallen.

Effekte auf die Anbieter von Pauschalreisen. Pauschalreisen werden im Durchschnitt ca. 115 bis 120 Tage im Voraus gebucht. Es ist üblich, dass 20 % bei Buchung und der Rest 28 Tage vor Reiseantritt bezahlt werden.

  • In einem normalisierten Jahr nutzen die Pauschalreiseanbieter von den deutschen Gästen durchschnittliche Vorauszahlungen im Umfang von ca. 4,5 Mrd. Euro. Gleichzeitig leisten die Pauschalreiseanbieter rund 1,3 Mrd. Euro Anzahlungen an touristische Leistungserbringer.
  • Eine Abkehr von einem System mit Vorkasse hätte weitreichende Konsequenzen für verschiedene touristische Leistungsträger wie beispielsweise auch Hotels, an welche die Pauschalreiseanbieter die Anzahlungen ihrer Kunden weiterleiten. Die deutschen Verbraucher könnten dadurch nachteilig betroffen sein.
  • Eine Umstellung auf ein Bezahlungsmodell "20 % Anzahlung, Rest bei Reiseantritt" würde einen Liquiditätsbedarf von ca. 1,6 Mrd. Euro auslösen. Eine Umstellung auf ein Bezahlungsmodell "gesamte Zahlung 28 Tage vor Reiseantritt" würde ein Liquiditätsbedarf von 1,3 Mrd. Euro auslösen. Im Fall einer Umstellung auf eine gesamte Bezahlung bei Reiseantritt wäre ein Liquiditätseffekt von ca. 3,2 Mrd. Euro zu erwarten.
  • Die Bilanzen der Pauschalreiseveranstalter sind noch stärker angeschlagen als jene der Airlines. Im aktuellen Marktumfeld wären zusätzliche Mittel nur sehr schwierig zu beschaffen. Es wäre daher ratsam einige Jahre mit einer Umstellung zu warten, so dass sich die Bilanzen etwas von der Corona-Situation erholen könnten.

Effekt auf die Pauschalreisegäste. Die Umstellung auf die drei gerade erwähnten Bezahlungsmodelle würde zu zusätzlichen Kapitalkosten führen, welche in etwa 0.4% bis 1.1% des deutschen Pauschalreisevolumens ausmachen. Oder anders ausgedrückt: Falls die Pauschalreiseveranstalter die zusätzlichen Kapitalkosten auf die Kunden überwälzen würden, müssten die Preise 0,4 % bis 1,1 % zunehmen.

Realisierung einer Bezahlung bei Check-in. Die technische Umsetzbarkeit für eine Bezahlung bei Check-in ist grundsätzlich durch die allgemein verfügbare Zahlungsinfrastruktur im stationären sowie online Handel bereits gegeben.

  • Die in Deutschland beliebtesten Zahlungsmittel sind jedoch nicht bei allen Check-in Kanälen einsetzbar. Es gilt die Zahlungsmittel auf den jeweiligen Check-in Kanal abzustimmen.
  • Kartenzahlungen werden in Deutschland pro Einwohner weniger als halb so oft getätigt, wie im europäischen Durchschnitt. Insbesondere die Kreditkartenzahlung ist wenig verbreitet. Dies dürfte auch mit den höheren Kosten für die Händler in Zusammenhang stehen. Schätzungsweise 1 % des Umsatzes beträgt die Kostendifferenz zwischen girocard-und Kreditkartenzahlungen.
  • Zahlungsgewohnheiten waren in Deutschland sehr stabil und Konsumentenbefragungen deuteten auf wenig Veränderungswillen hin. Doch jüngste Entwicklungen im Zusammenhang mit Hygienemassnahmen haben gezeigt, dass sich Gewohnheiten deutlich schneller ändern können, als sich die Beteiligten zu einem gegebenen Zeitpunkt vorstellen können.
  • Ausgaben, welche betragsmässig in der Grössenordnung von Flugreisen liegen, werden auch in Deutschland größtenteils nicht in bar getätigt. Die technischen Möglichkeiten einer Zahlung beim Check-in sind zurzeit grundsätzlich durch die allgemein verfügbare Zahlungsinfrastruktur bereits gegeben. Selbst Barzahlung ist möglich und ein SEPA-Mandat kann auch am Check-in-Schalter erteilt werden. Somit sind in Bezug auf die technische Realisierbarkeit bereits jetzt alle Personengruppen (digitalaffine und analogaffine) in der Lage, beim Check-in zahlen zu können. Mehr unter https://www.vzbv.de/sites/default/files/downloads/2021/03/09/gutachten_bezahlungsmodelle_21dezemer2020.pdf Quelle: vzbv / DMM