Weitere Klagen gegen Daimler

Am 27. Oktober 2020 befasst sich auch der Bundesgerichtshof erstmals mit einem „Dieselverfahren“ gegen die Daimler AG. Dabei geht es um Schadenersatzansprüche, die ein Käufer geltend macht, weil in seinem Mercedes-Diesel laut dessen Vortrag eine unzulässige Abschalteinrichtung in Form eines sogenannten „Thermofensters“ verbaut wurde. Daimler weist die Vorwürfe zwar zurück, kooperiert aber nach eigenen Angaben trotzdem mit den Behörden und führt bei hunderttausenden Fahrzeugen ein Software-Update durch. Die Rückrufe und diverse Verfahren haben den Konzern schon Milliarden gekostet – und dabei dürfte es nicht bleiben. Denn auch Anleger fühlen sich getäuscht und haben im Zusammenhang mit der Dieselaffäre weitere Millionenklagen gegen die Daimler AG eingereicht.

Fast 250 Mio. Euro Schadenersatz verlangen die Kläger allein in einem Verfahren, in drei weiteren summieren sich die Forderungen zusätzlich auf etwa 100 Mio. Euro, wie das Landgericht Stuttgart bestätigte. Hinter den Klagen stehen u.a. verschiedene Fonds. Bereits am 30.12.2019 hat die Tübinger Kanzlei TILP Litigation Rechtsanwaltsgesellschaft mbH deshalb  im Auftrag von mehr als 200 institutionellen Investoren Klage gegen die Daimler AG vor dem Landgericht Stuttgart auf Schadensersatz in Höhe von 896 Mio. Euro eingereicht. Hinzu kommt eine Reihe weiterer neuer Verfahren, in denen es aber um geringere Beträge geht.  Insgesamt verlangen Daimler-Anleger in diversen Verfahren am Landgericht Stuttgart inzwischen deutlich mehr als 1 Mrd. Euro Schadenersatz vom schwäbischen Autbauer.  Im Kern geht es – wie auch bei den zahlreichen Klagen gegen den VW-Konzern und dessen Dachgesellschaft Porsche Holding SE – um den Vorwurf, die Märkte seien zu spät über die finanziellen Folgen der Dieselaffäre informiert worden. Dadurch seien die Daimler-Aktien, die die Anleger gekauft haben, zum damaligen Zeitpunkt viel zu teuer gewesen.

„Wir halten die Klagen für unbegründet und werden uns gegen die Vorwürfe mit allen juristischen Mitteln verteidigen“, sagte ein Daimler- Sprecher. In einem Streit mit Anlegern in den USA, die eine kleinere auf den US-Markt bezogene Sammelklage eingereicht hatten, haben sich die Parteien inzwischen auf einen Vergleich geeinigt. Der sieht vor, dass Daimler 19 Mio. US-Dollar zahlt, um den Streit beizulegen.

Im Auftrag von 219 institutionellen Investoren hat die Tübinger Kanzlei TILP Litigation Rechtsanwaltsgesellschaft mbH („TILP Litigation“) mit Datum vom 30.12.2019 Klage gegen die Daimler AG („Daimler“) vor dem Landgericht („LG“) Stuttgart auf Schadensersatz in Höhe von 896 Mio. Euro eingereicht. Bei den klagenden Investoren handelt es sich u.a. um Banken, Kapitalverwaltungsgesellschaften, (Rück-)Versicherungsgesellschaften sowie Pensionsfonds aus Deutschland, weiteren Mitgliedstaaten der Europäischen Union, Nordamerika, Asien und Australien.

Die Klage basiert auf Käufen von Daimler-Aktien (ISIN DE0007100000) im Zeitraum vom 10. Juli 2012 bis 20. Juni 2018 (sog. Desinformationsphase). Die klagenden Investoren werfen Daimler die Verletzung kapitalmarktrechtlicher Pflichten im Zusammenhang mit dem Dieselskandal vor. Der Vorwurf lautet insbesondere, dass Daimler die Verwendung von illegalen Abschalteinrichtungen in seinen Diesel-Fahrzeugen und die hiermit verbundenen Risiken und Kosten dem Kapitalmarkt verschwiegen und diesen über die wahren Umstände getäuscht hat. Während der Desinformationsphase vom 10. Juli 2012 bis 20. Juni 2018 sank der Kurs der Daimler-Aktie von über 90 Euro auf unter 60 Euro. Die dadurch erlittenen Schäden sind Gegenstand der jetzigen Klagen.

„Ein Emittent börsennotierter Wertpapiere muss den Kapitalmarkt über Insiderinformationen unverzüglich und vollumfänglich in Kenntnis setzen. Dies hat Daimler nach unserer Überzeugung nicht getan, weder in seinen Finanzberichten noch in Ad-hoc-Mitteilungen“, erklärt Rechtsanwalt Andreas Tilp. „Die Kläger haben deshalb die Daimler-Aktien zu teuer erworben, dafür haftet Daimler nach unserer Überzeugung auf Schadensersatz“, fährt Tilp fort. „Die Ansprüche gegen Daimler halten wir für sehr gut gelagert. Weitere geschädigte institutionelle Investoren mit erheblichen Aktienverlusten haben mitgeteilt, mit uns in 2020 ebenfalls klagen zu wollen“, ergänzt Tilp´s Kollege Maximilian Weiss.

Hintergrund. Hintergrund. Im September 2015 wurden bekanntlich die Dieselmanipulationen des Volkswagen-Konzerns öffentlich bekannt. Hierauf behauptete Daimler vehement, derartiges komme bei Daimler-Fahrzeugen nicht vor und wies den Vorwurf der Manipulation in einer Pressemitteilung vom 25. September 2015 „auf das Schärfste zurück“. Auch der damalige Daimler-Chef Dieter Zetsche persönlich verwahrte sich in einem Interview mit der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung gegen entsprechende Verdächtigungen und behauptete: „Ein Defeat Device, sprich eine Funktion, die die Wirksamkeit der Abgasnachbehandlung unzulässig einschränkt, kommt bei Mercedes-Benz nicht zum Einsatz“. Knapp drei Jahre später kam das Kraftfahrt-Bundesamt („KBA“) jedoch zu einer anderen Einschätzung und ordnete im Mai 2018 den Rückruf erster Daimler-Fahrzeuge wegen der Verwendung illegaler Abschalteinrichtungen an. Im Juni 2018 kündigte schließlich Bundesverkehrsminister Scheuer an: „Der Bund wird für deutschlandweit 238.00 Daimler-Fahrzeuge wegen unzulässiger Abschalteinrichtungen unverzüglich einen amtlichen Rückruf anordnen. Insgesamt sind in Europa 774.000 Fahrzeuge betroffen.“

Die TILP Rechtsanwaltsgesellschaft mbH („TILP“) hat hierauf im Juni 2018 für einen privaten Anleger Klage gegen Daimler erhoben und gleichzeitig die Einleitung eines Kapitalanleger-Musterverfahrens nach dem Kapitalanleger-Musterverfahrensgesetz („KapMuG“) beantragt. Das LG Stuttgart hat diesen Antrag als zulässig erachtet und öffentlich bekannt gemacht. „Da TILP in der Folgezeit auch alle weiteren formellen Voraussetzungen für die Durchführung eines Musterverfahrens nach dem KapMuG geschaffen hat, erwarten wir den Erlass eines Vorlagebeschlusses alsbald, so dass das Musterverfahren noch vor der Sommerpause beginnen kann“, betont Rechtsanwalt Andreas Tilp. TILP hat zum Jahresende für über 100 private Anleger weitere Klagen gegen Daimler eingereicht.

Die TILP-Kanzleien kooperieren im Schadensfall Daimler-Dieselgate erneut mit dem Finanzierungskonsortium Therium/DRRT, welches auch für die Finanzierung der Daimler-Anlegerklagen in 2020 zur Verfügung steht. Eine gemeinsame Zusammenarbeit besteht aktuell auch bei der Vertretung von Investoren im Steinhoff-Bilanzskandal. Im dortigen Musterverfahren nach dem KapMuG vertritt TILP den Musterkläger vor dem Oberlandesgericht (OLG) Frankfurt/M.. Dieses Musterverfahren ruht derzeit wegen Vergleichsverhandlungen.

Nach einer Mitteilung des Bundesverkehrsministeriums vom 11.06.2018 hat sich der Verdacht bestätigt, dass Daimler jahrelang verbotene Abschalteinrichtungen (Defeat Devices) in seine Pkw installiert hat. Der Bund werde deshalb für deutschlandweit 238.000 Daimler-Fahrzeuge unverzüglich einen amtlichen Rückruf anordnen. Insgesamt seien in Europa 774.000 Fahrzeuge betroffen. Dabei handele es sich neben dem Vito insbesondere um die Volumen-Modelle GLC 220d und C 220d. Laut einer Auflistung sämtlicher betroffener Modelle im Magazin Focus vom 13.06.2018 sei beim C 220d der Produktionszeitraum 12/2013 bis 05/2018 betroffen.

Somit hätte die Daimler AG jedenfalls ab 10.07.2012 den Kapitalmarkt pflichtwidrig nicht über die Verwendung unzulässiger Abschalteinrichtungen und die hieraus resultierenden finanziellen Risiken für den Konzern informiert.

Am 26.09.2015, mithin gut eine Woche nach öffentlichem Bekanntwerden der Abgasmanipulationen bei Volkswagen, hatte Daimler-Chef Dieter Zetsche in einem Interview mit der F.A.S. den Einsatz illegaler Abschalteinrichtungen bei Mercedes-Benz überdies noch öffentlich geleugnet: „Ein Defeat Device, sprich eine Funktion, die die Wirksamkeit der Abgasnachbehandlung unzulässig einschränkt, kommt bei Mercedes-Benz nicht zum Einsatz.“ Ein Konzernchef könne zwar nicht alle Details kennen, erläuterte Zetsche: „Aber ich bin in alle Entwicklungsprojekte eingebunden.“

Als Anspruchsgrundlagen für die desinformierten Investoren kommen insoweit u.a. in Betracht: § 826 BGB, § 823 BGB i.V.m. den aktienrechtlichen und (wertpapier-) handelsrechtlichen Vorschriften zur Finanzberichterstattung; §§ 37b und c WpHG a. F. (in Kraft bis zum 02.01.2018) und §§ 97, 98 WpHG i.V.m. MAR (in Kraft seit dem 03.01.2018).
Daneben bestehen gegebenenfalls Ansprüche aufgrund von Kartellrechtsverstößen: Laut SPIEGEL vom 21.07.2017 habe sich die deutsche Automobilindustrie bereits seit den Neunzigerjahren in geheimen Arbeitskreisen über die Technik, Kosten, Zulieferer und auch über die Abgasreinigung ihrer Dieselfahrzeuge abgesprochen. Nach einem weiteren SPIEGEL-Bericht vom 05.08.2017 haben sich die großen deutschen Autobauer ab dem Jahr 2006 mit Bosch detailliert über die Einführung einer neuen Softwarefunktion zur AdBlue-Dosierung abgestimmt. Dies gehe aus einer Selbstanzeige des VW-Konzerns beim Bundeskartellamt sowie den Brüsseler Wettbewerbsbehörden aus Juli 2016 hervor. Laut SZ vom 26.07.2017 habe Daimler bereits im Jahr 2012 eine Art Selbstanzeige beim Bundeskartellamt sowie der EU-Kommission in Bezug auf Absprachen zwischen den Autobauern eingereicht, die Abgasreinigung bei Dieselfahrzeugen sei dort aber noch nicht Gegenstand gewesen. Quelle: Deutscher Kommunaldienst / TILP-Kanzleien / DMM