Der Audi ist das erste Automobil der Marke mit Vierzylinder-Viertaktmotor. Der intern F 103 genannte Audi wird ein voller Erfolg und begründet eine ganze Baureihe, die – in Design und Technik weiterentwickelt – bis 1972 produziert wird.
Als der „neue Audi“ – wie er im Pressetext zur Weltpremiere auf der IAA genannt wird – 1965 auf den Markt kommt, befindet sich die Auto Union GmbH, das Vorgängerunternehmen der heutigen AUDI AG, in einer wirtschaftlich schwierigen Lage. Dabei ist die Firma herausfordernde Jahre durchaus gewohnt, schließlich war schon der Neustart nach dem Zweiten Weltkrieg alles andere als einfach: Deutschland liegt in Trümmern, die sächsische Auto Union AG wird zerschlagen und hat keine Zukunft. In diesen Nachkriegswirren gehen ehemalige Mitarbeitende der Auto Union in den Westen und gründen in Ingolstadt zunächst ein Zentraldepot für Ersatzteile, 1949 dann die Auto Union GmbH.
Die junge Firma steigt in die Fahrzeugproduktion ein; ihre ersten Modelle, Motorräder und Lieferwagen der Marke DKW, finden in den Zeiten von Wiederaufbau und Wirtschaftswunder großen Absatz. Mit wachsendem Wohlstand der Bevölkerung steigen bald auch die Ansprüche ans Automobil. Die auf Vorkriegstechnik basierenden DKW-Modelle gelten Mitte der 1960er-Jahre als nicht mehr zeitgemäß – die Marke DKW ist „out“. Insbesondere das lange Festhalten am Zweitaktmotor lässt die Verkaufszahlen kontinuierlich sinken: Das letzte Zweitaktmodell der Auto Union, der DKW F 102, bleibt trotz seines modernen Designs ein Ladenhüter. Und so steckt die Ingolstädter Auto Union GmbH in den 1960er-Jahren in der Krise.
Zur gleichen Zeit kommt es auch zu Veränderungen in der Unternehmensstruktur. Die Daimler-Benz AG, von 1958 bis 1964 Eigentümerin der Auto Union, verkauft ihre Anteile Schritt für Schritt an die Volkswagenwerk AG in Wolfsburg, was in der Folge auch zu einer besseren Auslastung der Produktion führt. Als erster Retter in der Not erweist sich in diesen Tagen der VW Käfer: Zwischen den Jahren 1965 und 1969 montiert man in Ingolstadt fast 348.000 Exemplare des Volkswagen 1200/1300.
„Neuer Audi“ sorgt für technische und wirtschaftliche Trendwende. Noch viel entscheidender für die weitere Zukunft des Unternehmens erweist sich eine Entscheidung, die die alte Eigentümerin Daimler-Benz AG Anfang der 1960er getroffen hatte: Sie stellt der Tochter Anfang der 1960er-Jahre einen Viertaktmotor zur Verfügung. Zudem entsenden die Stuttgarter den Ingenieur Ludwig Kraus nach Ingolstadt, der dort später Chefentwickler wird. Kraus bringt den neuen Motor bei der Auto Union zur Serienreife und schafft so die Voraussetzungen für das erste Auto aus Ingolstadt mit Viertaktmotor. 1965 kommt der „neue Audi“ auf den Markt – 25 Jahre nachdem im Zuge der kriegsbedingten Produktionseinstellung 1940 der letzte Audi 920 das Montageband im sächsischen Zwickau verlassen hatte, und 55 Jahre nachdem mit dem Audi Typ A 10/22 PS das erste Audi-Automobil überhaupt ausgeliefert worden war
In Ingolstadt will man den technischen Wandel auch mit dem Namen des neuen Modells sichtbar machen. Der Markenname „DKW“, seit jeher eng mit dem Zweitaktmotor verbunden, soll deshalb künftig für Fahrzeuge der Auto Union GmbH nicht mehr verwendet werden. Stattdessen erhält der neue Wagen den aus der Vorkriegszeit bekannten Namen „Audi“ – zunächst ganz ohne weiteren Zusatz und ohne eigene Typenbezeichnung. Im Handel steht das Auto als Auto Union „Typ Audi“; intern wird in der Nomenklatur kurzerhand weitergezählt: Aus dem DKW F 102 wird der F 103. Dieser „Neue“ wird dann zum Begründer einer ganzen Baureihe.
Und noch ein Detail ist aus Sicht des Historikers wichtig: Beim Namen für das neue Auto handelt es sich um eine reine Modellbezeichnung, der Name des Unternehmens lautet 1965 nach wie vor Auto Union GmbH. Erst 20 Jahre später entsteht 1985 die AUDI AG; seither tragen Unternehmen und Produkte den gleichen, kurzen und einprägsamen Namen: Audi
Aus dem Ur-Audi entsteht eine ganze Fahrzeugfamilie. Mit dem Aufkommen weiterer Modelle und Leistungsstufen gesellen sich zum neuen Audi der Audi 80, Audi Super 90, Audi 75 und Audi 60. Allein dem ersten Audi bleibt die „72“ während seiner gesamten Bauzeit verwehrt. Er heißt lediglich inoffiziell, bei Kundschaft und Presse, „Audi 72“ oder „Audi (72 PS)“. Seit August 1965 fährt er nun also vom Band, der neue Audi – ab dem Frühjahr 1966 gibt es ihn dann auch als Kombi; wie bei Volkswagen als „Variant“ bezeichnet. Die Limousinenmodelle gibt es zwei- und viertürig, auf Wunsch auch in gehobener Ausstattung – mit dem Namenszusatz „L“.
1966 ergänzt der Audi 80 mit einer Leistung von 80 PS die Baureihe, wenig später gibt es als Spitzenmodell den reichhaltig ausgestatteten Audi Super 90. Er unterscheidet sich optisch u.a. durch serienmäßig verchromte Zierleisten an den Radläufen von den anderen Modellen und erreicht mit seinem hubraumgrößeren Motor und einer Leistung von 90 PS eine Höchstgeschwindigkeit von mehr als 160 km/h – zu dieser Zeit ein respektabler Wert. 1968 rundet das Volumenmodell Audi 60 mit 55 PS die Palette ab und der Audi 75 ersetzt die Varianten mit 72 und 80 PS.
Das kleinste Modell der F 103 Familie, der Audi 60, wird das erfolgreichste; mehr als die Hälfte aller gebauten Audi der ersten Generation (416.852 Fahrzeuge) sind Audi 60 und Audi 60 L: insgesamt 216.987 Exemplare. Schon die Verkaufszahlen zeigen, wie bedeutend dieses Auto für die Marke mit den vier Ringen ist. Mit ihm gelingt die technische und wirtschaftliche Trendwende. Der neue Audi und seine Familienmitglieder stoßen zwischen 1965 und 1972 auf derart großes Interesse, dass sie damals nicht nur den Grundstein für eine zukunftsweisende Modellpalette von Audi legen, sondern die Auto Union zugleich wieder in die Erfolgsspur bringen und auf diese Weise auch zur langfristigen Eigenständigkeit der Marke Audi im Volkswagen-Konzern beitragen. Quelle: Audi / DMM