Abellio-Krise - Die Politik muss handeln

Seit 20 Jahren vergeben die Länder Bahnstrecken bzw. Schienennetze meist an den billigsten und selten an den wirtschaftlichsten Anbieter. Das rächt sich nun, wie sich am Beispiel des Regionalbahnbetreibers Abellio zeigt. Bei dem niederländischen Bahnunternehmen, das u.a. in NRW die Westfalenbahn sowie weite Bereiche des Regionalverkehrs in Baden-Württemberg, in Sachsen-Anhalt, Sachsen und Thüringen betreibt, besteht die Gefahr eines Aus zum Jahresende 2020.

Jahr für Jahr fließen etwa 9 Mrd. Euro Steuermittel an Unternehmen wie Abellio. Aber das reicht offensichtlich nicht: Nach 33 Mio. Euro Verlust im Geschäftsjahr 2019 und Verlusten in diesem Jahr von mehr als 15 Mio. Euro steht das Unternehmen seit etlichen Wochen mit Vertretern der Bundesländer in intensiven Gesprächen, um die Verkehrsverträge nachzuverhandeln. Die Tochter der niederländischen Staatsbahn NS forderte zusätzliche 10 Mio. Euro pro Jahr. Nur noch bis 31.12.2020 ist Abellio durch eine Patronatserklärung der Konzernmutter Nederlandse Spoorwegen geschützt. Ob die Niederländer aber darüber hinaus an ihrer defizitären deutschen Tochter festhalten, ist ungewiss. NS-Finanzchef Bert Groenewegen sagte, „wir sollten unsere Position in Deutschland nicht um jeden Preis halten.

Ziel der niederländischen NS-Tochter ist eine höhere Beteiligung der öffentlichen Hand in Deutschland an den Personalkosten sowie die Anpassung des Strafregimes für Verspätungen und Ausfälle. Ein zufriedenstellendes Ergebnis habe bisher nicht erreicht werden können, berichtet Finanzdirektor Groenewegen. Stellt die NS tatsächlich für 2021 die finanzielle Unterstützung an Abellio ein, müsste Abellio  Insolvenz anmelden. Das wäre bitter für weite Teile des regionalen Personannahverkehrs in Deutschland.

Grund für die Schieflage Abellios ist weniger die Corona-Pandemie, sondern das ruinöse Vergabesystem im Regionalverkehr, wissen Bahnexperten. Der Schienenpersonennahverkehr (SPNV) ist in Deutschland ein hochsubventioniertes Geschäft. Abellios Probleme stehen somit exemplarisch für die wirtschaftliche Schieflage des gesamten öffentlichen Nahverkehrs auf der Schiene.

Trotz staatlicher Förderung in Milliardenhöhe fährt der regionale Zugbetreiber Abellio weiter tief in die roten Zahlen. Bei dem Unternehmen, das z.B. rund 50 % des Bahnverkehrs in Sachsen-Anhalt abdeckt, sind allein in diesem Jahr bisher Verluste in Höhe von rund 15 Millionen Euro aufgelaufen. Über den Zuschlag entschied wie immer Sachsen-Anhalts Nahverkehrsgesellschaft Nasa. Die Abellio-Offerte war seinerzeit um etliche Millionen Euro günstiger als jene der DB-Regio: Die Differenz war so groß, dass die Nasa damals das Angebot sogar auf Seriosität prüfen ließ. Die Nasa-Strategen hielten es letztlich doch für realistisch, obwohl es dieses gar nicht sein konnte. Jetzt heißt es in Magdeburg, dass die Landesnahverkehrsgesellschaft Nasa die Verträge mit Abellio nicht nachverhandeln will.

Die Drohung aus den Niederlanden, sich beim Bahnunternehmen Abellio zurückzuziehen, sorgt auch beim Verkehrsverbund Rhein-Ruhr für besorgte Mienen. Wie In Sachsen, NRW, Sachsen-Anhalt und Baden-Württemberg hatte Abellio bei den Ausschreibungen die DB-Tochter DB-Regio stets mit Dumpingangeboten ausgestochen. Doch mit ihren Niedrigstofferten kommt das Unternehmen finanziell nicht klar. So bereiten z.B. die mit den Tarifverträgen verbundenen Kosten immense Probleme, Strafen für bahnbaubedingte Verspätungen (für die Verspätungen kann Abellio eigentlich nichts dafür) und das mutmaßlich zu teure neu eingeführte Bahnticketsystem Abellios.

Die Lage ist für die vier betroffenen Bundesländer verzwickt. Bislang schreiben sie alle paar Jahre ihre regionalen Netze aus: In aller Regel bekommt das billigste Angebot den Zuschlag, nicht das wirtschaftlichste. Der vereinbarte Preis gilt. Nachschläge gab es nicht. Bleiben die betroffenen Länder stur und verweigern zusätzliche Millionenzahlungen an Abellio, müssten sie nach einer Pleite Abellios den Bahnverkehr wegen der Daseinsvorsorge dennoch sicherstellen und bezahlen. Damit würden die Kosten steigen. Geben die Länder den Forderungen Abellios nach, könnte die Deutsche Bahn klagen, zumal Abellio den Zuschlag nur wegen ihres Dumpingangebots erhalten hatte. Außerdem würde weiteren Wettbewerbern im Schienenregionalverkehr Tür und Tor geöffnet, ebenfalls Nachforderungen zu stellen.

EVG fordert Änderung der Vergabepraxis. Die Eisenbahner-Verkehrsgewerkschaft meldet, die Krise von Abellio Rail zeigt immer deutlicher: Unternehmen und Politik haben sich verkalkuliert. Abellio hat ein Dumping-Angebot vorgelegt und die Politik hat es stillschweigend akzeptiert, offenbar ohne es genau zu prüfen. Mit fatalen Folgen: Unternehmensbeschäftigte und Kunden sind schwer verunsichert. Die EVG fordert die Länder auf, sicher zu stellen, dass die Bahnverkehre aufrechterhalten werden. Sei es von Abellio selbst, sei es von einem anderen Betreiber. Sollte es zu einem Betreiberwechsel kommen, müssen die Beschäftigten zwingend von diesem übernommen werden.

Die EVG fordert, diesen Vorgang zum Anlass zu nehmen, um die Vergabepolitik neu aufzusetzen. Nicht der billigste Preis darf entscheiden, sondern die beste Qualität. Das geht nur über ausreichendes und gut ausgebildetes Personal und gute Beschäftigungsbedingungen. Quelle: EVG / DMM