Auto-Branche: Das Zittern geht weiter

Die Bilanz des Autohandels in Deutschland fällt nach den ersten sechs Tagen geöffneter Showräume ernüchternd aus. Zwar hatte niemand damit gerechnet, dass die Kunden nach der staatlich verordneten Schließung des stationären Handels vor den Betrieben Schlange stehen würden. Dass das Interesse an neuen Autos aber so gering zu sein scheint, hat viele Händler doch überrascht und neue Sorgen geschürt. Der Ruf nach finanzieller Förderung durch die öffentliche Hand, sprich den Steuerzahler, wird lauter – nicht nur beim Handel, sondern auch bei Herstellern und Zulieferern.

Am Himmel des deutschen Automobilhandels ziehen erneut dunkle Wolken auf. Der fünfwöchige Shutdown hat zu massiven Umsatzeinbrüchen geführt. Viele Unternehmen haben bis zu 80 % weniger Neuwagen verkauft als sonst. Umso größer war die Erleichterung, als die Bundesregierung den stationären Autohandel ab 20. April 2020 wieder freigab. Nur die Bayern, Berliner und Brandenburger mussten sich auf Beschluss ihrer Landesregierungen bis zu einer Woche länger gedulden. „Die Öffnung war ein wichtiges Signal an die Autohäuser“, schwärmte Jürgen Karpinski, Präsident des Zentralverbands Deutsches Kraftfahrzeuggewerbe (ZDK), und hoffte: „So lässt sich zumindest noch ein Teil des weitgehend verloren gegangenen und besonders wichtigen Frühjahrsgeschäfts retten.“

Lager voller Neuwagen. An Ware mangelt es nicht. Die Lager des Handels sind prall gefüllt, weswegen Experten in den kommenden Wochen mit hohen Rabatten rechnen. Nimmt man allerdings die erste Woche nach dem Shutdown als Indikator, werden sich die Hoffnungen von ZDK-Präsident Karpinski kaum erfüllen.

„Am Montag brummte der Laden. Da sind auch viele Sehleute gekommen. Kein Wunder, nachdem die Menschen fünf Wochen lang eingesperrt waren. Das Interesse währte aber nur einen Tag“, resümiert Burkhard Weller, Geschäftsführer der Weller Gruppe, die zwischen Bad Homburg und Hamburg an 16 Standorten BMW/Mini und in 14 Betrieben Toyota/Lexus verkauft. In der ersten Woche nach dem Shutdown seien die Verkäufe um 50 %  eingebrochen. „Damit fährt man keinen Laden schwarz“, so Weller. Jetzt komme es darauf an, Zuversicht auszustrahlen und den Kunden Mut zu machen. Weller: „In diesen unsicheren Zeiten hat der Autoverkauf viel mit Psychologie zu tun.

10 bis 50 % des normalen Geschäfts. Frank Göthling, der in seinen acht Vertriebsstützpunkten in der Region Rhein/Main alle Volumenmarken des Volkswagen Konzerns vertreibt, erlebte in der vergangenen Woche ein Wechselbad der Gefühle. „Es gab Tage, an denen nichts los war. An anderen Tagen war etwas mehr los“, zieht er Bilanz. Je nach Marke und Klientel mussten sich der Chef von Göthling & Kaufmann und seine Mannschaft mit 10 bis 50 % des normalen Geschäfts zufriedengeben.

Angesichts solcher Schwierigkeiten unterstützt FCA Germany seine Händler mit der Sonderaktion „Di più“ (noch mehr). Bei Fiat, Abarth, Alfa Romeo und Jeep heißt das: Jetzt kaufen und erst im Januar 2021 die erste von bis zu 48 Raten zahlen. „Di più“ ist ohne Anzahlung und mit Zinssätzen von null bis maximal 2,99 % modular aufgebaut. „Wir wollen mit diesem Programm einen zügigen Neustart der Verkaufsaktivitäten unserer Handelspartner unterstützen“, sagt Maria Grazia Davino, Vorstandsvorsitzende von FCA Germany in Frankfurt. Es gäbe nichts Schlimmeres als Stillstand.

Audi will seinen Händlern ebenfalls mit speziellen Kundenprogrammen den Wiedereinstieg in das stationäre Geschäft erleichtern. Dazu zählen attraktive Finanzierungskonditionen, kostenlose Serviceangebote und Prämien für Lagerwagen. Ford schenkt Käufern eines Lagerfahrzeugs oder eines neu bestellten Ford Kuga mit Plug-in-Hybridantrieb die ersten drei Monatsraten der Finanzierung.

Welle von Insolvenzen. Trotz Öffnung der Betriebe schätzt die  Wirtschaftsprüfungsgesellschaft Ernst & Young, dass es eine Welle von Insolvenzen geben wird. Das weissagt auch Prof. Stefan Bratzel, Direktor des Center of Automotive Management (CAM) in Bergisch Gladbach. Kurzarbeit, zunehmende Arbeitslosigkeit und Rezession lähmen die Lust am Autokauf.

Mieses Konsumklima. Laut einer Studie der Gesellschaft für Konsumforschung (GfK) haben die Pandemie und die Maßnahmen zur Eindämmung des Virus die Verbraucherstimmung im April schwer getroffen. Einkommenserwartung und Anschaffungsneigung befänden sich im freien Fall. Für den Mai erwartet die GfK einen historischen Tiefstand. „Dem Konsumklima dürften in den nächsten Monaten schwierige Zeiten bevorstehen," prognostiziert GfK-Konsumexperte Rolf Bürkl. Die Verbraucher gingen davon aus, dass Deutschland durch die Corona-Krise in eine schwere Rezession stürzen werde. Die Verunsicherung unter den Konsumenten sei riesig. Die Anschaffungsneigung geriete in den Strudel der abstürzenden Einkommensaussichten. Der Geschäftsklimaindex des Münchner Ifo-Instituts rutschte im April in ein „historisches Tief“. „Die Stimmung unter den deutschen Unternehmen ist katastrophal“, stellt ifo-Präsident Clemens Fuest fest.

Branche fordert Kaufanreize. In dieser kritischen Situation rufen Analysten und Betroffene nach einer weiteren staatlichen Unterstützung. Zusätzliche Kaufprämien für Elektro- und Hybridautos sowie für Verbrenner mit der neuesten Schadstoffnorm hält ZDK-Vizepräsident Thomas Peckruhn jetzt für „extrem wichtig“. In diesem Zusammenhang verweist der Handel auf die Abwrackprämie, mit der der Staat im Finanzkrisenjahr 2009 die Nachfrage nach neuen Autos stimulierte. ZDK-Präsident Karpinski mahnt zudem die von der Bundesregierung schon zu Jahresbeginn versprochene Erhöhung der Umweltprämie für Elektrofahrzeuge an. Viele Interessenten hätten in Erwartung der höheren Prämie mit monatelanger Kaufzurückhaltung reagiert. Automobilhersteller und Zulieferer schließen sich den Forderungen des Handels nach Kaufanreizen an. Verbände und Konzernlenker gehen seit etlichen Tagen mit Forderungen nach einer Kaufprämie für Neuwagen an die Presse, um Druck auf die Regierung aufzubauen. Oliver Zipse, Chef von BMW und VW-Kernmarkenchef Ralf Brandstätter ließen die Medien sogar wissen, eine Kaufprämie sei sogar ein Beitrag zum Klimaschutz. Eine solche Prämie "ermöglicht es der Automobilindustrie, schneller aus der Krise zu kommen und damit auch einen Beitrag zur Erholung der europäischen Volkswirtschaften zu leisten", sagt etwa VDA-Präsidentin Hildegard Müller. Freilich kommt von Seiten der Hersteller und des Automobilverbands keine Silbe, was mit den dann "auszurangierenden" Fahrzeugen passieren soll. Werden sie wieder nach Afrika verschifft oder nach Osteuropa, wo sie weiter laufen und somit dem Klima keineswegs geholfen wird? „Nur mit einer Breitenwirkung ergibt sich ein signifikanter Effekt auf die Kaufentscheidungen der Kunden und damit auf die Produktion und die gesamte Wertschöpfungskette", so Müller, wohl wissend, dass der Kauf von Elektroautos und Plug-in-Hybriden bereits staatlich gefördert wird. Als Kaufanreiz im Gespräch ist auch eine vorübergehende Senkung der Mehrwertsteuer, die viele für wirksamer halten als das Modell Abwrackprämie. Beide Themenkomplexe werden wohl auf der Agenda des Video-Autogipfels stehen, zu dem Bundeskanzlerin Angela Merkel Branchenvertreter am 05. Mai eingeladen hat.

Der Markt ist eingebrochen. Ebenso wie der Automobilhandel befinden sich auch die Hersteller Corona bedingt in einer äußerst kritischen Lage. In Deutschland haben die Neuzulassungen im März um 38 % nachgegeben. Und die schlechten Nachrichten reißen nicht ab. Volkswagen hat für das laufende Jahr eine Gewinnwarnung veröffentlicht. Bei Daimler ist das Ergebnis vor Zinsen und Steuern im ersten Quartal um 78 % auf 617 Mio. Euro eingebrochen. Ford hat im selben Zeitraum einen Verlust von 1,8 Mrd. Euro eingefahren. Auch PSA meldet hohe Verluste bei Absatz und Umsatz. Autoexperte Ferdinand Dudenhöffer erwartet, dass die deutsche Automobilproduktion im laufenden Jahr auf 3,8 Mio. Einheiten sinken könnte, 900.000 Autos weniger als 2019.

Produktion startet unter erschwerten Bedingungen. Derweil fahren Automobilhersteller und Zulieferer ihre seit Wochen ruhende Produktion unter schwierigen Rahmenbedingungen allmählich wieder hoch. Die aktuellen Hygiene- und Gesundheitsvorschriften führen zu massiven Einschnitten im Produktionsablauf. In den Fabriken arbeiten weniger Menschen, um die Abstände einzuhalten. Taktzeiten verlängern sich. Es werden weniger Schichten gefahren. Kurzarbeit wird die Werke noch lange begleiten. Bis die Produktion wieder Vor-Corona-Niveau erreicht, werden wahrscheinlich Monate vergehen.

Kritische Faktoren. Nachfrage und Lieferketten. Die Zukunft der Branche hängt nach Expertenmeinung vor allem von zwei kritischen Faktoren ab: der weiteren Entwicklung der Nachfrage und funktionierenden internationalen Lieferketten. Nach Überzeugung von Ernst & Young ist die Zulieferkette die Achillesferse der gesamten Industrie. Im schlimmsten Fall stünden die Werke schon nach wenigen Tagen wieder still, weil wichtige Teile fehlen.

„Nach der Erarbeitung eines umfangreichen Maßnahmenkatalogs zum Gesundheitsschutz der Belegschaft haben wir auch den Wiederaufbau unserer Lieferketten vorangetrieben,“ betont Ralf Brandstätter, Chief Operation Officer bei der Volkswagen AG. Der Produktionsanlauf erfolge „entsprechend der derzeitigen Verfügbarkeit von Teilen, der staatlichen Auflagen in Deutschland und Europa und der Entwicklung in den Vertriebsmärkten“. „Unsere Planungen für den Wiederanlauf des Betriebs basieren darauf, wie sich die Bedingungen entwickeln und welche Vorgaben wir vor Ort von den Regierungsstellen erhalten“, sagt Stuart Rowley, Präsident bei Ford Europa. Mit einer Rückkehr zur Normalität rechnet Automobilhändler Burkhard Weller frühestens im nächsten Jahr. Die weltweit verzahnten Lieferketten seien noch viel zu fragil. Quelle: Rainer Strang - ampnet / DMM