Bund und DB entwickeln Hochleistungsnetz

Ein Hochleistungsschienennetz soll die zahllosen Probleme der Deutschen Bahn in mittel- bis langfristiger Zukunft lösen. Heute zählen Fernverkehr der DB in Sachen Pünktlichkeit und Performance bzw Infrastruktur zum schlechtesten aller Industrienationen. Man schaue nur mal bei einer Bahnreise z.B. durch das Ruhrgebiet aus dem Zufernster...- siehe auch unser Beitrag "Geschäftsreisen macht man mit der Bahn", erschienen am 20.6.2022. Bundesverkehrsminister Dr. Volker Wissing und Deutsche Bahn-Chef Dr. Richard Lutz haben nun in Berlin Pläne für ein neues Hochleistungsnetz vorgestellt.

Ein Hochleistungsnetz planen Bund und Deutsche Bahn. Es bleibt spannend, was von den Plänen am Ende übrig bleibt. Foto DB

Die Zuverlässigkeits- und Qualitätsprobleme des Verkehrsträgers Schiene resultieren im Kern aus einem Kapazitäts- und Überalterungsproblem in der Infrastruktur. Während die Schweiz, Österreich, die skandinavischen Staaten und selbst Polen und Tschechien massiv in den Erhalt, den Ausbau und die Erneuerung ihrer Bahntrassen investiert haben und dies noch tun, wird bei der DB seit Jahr und Tag auf Verschleiß gefahren, sieht man einmal von den Schnellfahrstrecken ab. Insbesondere vergammeln zahllose Bahnhöfe und sind eine echte Schande für ein Land wie die Bundesrepublik. 

Das Hochleistungsnetz soll die am höchsten belasteten Schienenverbindungen in Deutschland umfassen. Diese erstrecken sich heute über rund 10 % des Gesamtnetzes. Rund 25 % aller Züge durchfahren schon heute dieses Netz. Zusätzlich verzeichnet es bereits ohne Bautätigkeiten eine durchschnittliche Auslastung von rund 125 %.  Aufgrund der prognostizierten Verkehrsentwicklung wird die Länge dieses hoch belasteten Netzes von derzeit rund 3.500 km auf voraussichtlich über 9.000 km bis zum Ende dieses Jahrzehnts anwachsen.

DB-Chef Dr. Richard Lutz: „Das Zusammentreffen von immer mehr Verkehr auf einer ohnehin schon knappen und durch Bautätigkeit noch zusätzlich eingeschränkten Infrastruktur führt zu Staus und Verspätungen mit massiven Auswirkungen auf alle Kunden im Personen- und Güterverkehr. Die aktuelle Betriebsqualität entspricht ganz klar nicht unseren Ansprüchen. Ein ‚Weiter so‘ kann es nicht geben. Eine nachhaltige Lösung liegt in der Infrastruktur, denn 80 % der Qualität im Eisenbahnsystem entscheiden sich auf dem Schienennetz. Daher entwickeln Bund und DB das hoch belastete Netz zum Hochleistungsnetz. 

Dieses moderne Schienennetz wird zum Rückgrat für den Personen- und Schienengüterverkehr – vom Problemfall zum Qualitäts- und Stabilitätsanker für die gesamte Infrastruktur. Wir investieren hier massiv und machen gleichzeitig in den Regionen keine Abstriche bei Erhalt und Modernisierung. So legen wir die Grundlage für das dringend notwendige Wachstum auf der Schiene, um die Klimaziele der Bundesregierung zu ermöglichen. Der Schulterschluss zwischen Bund, Bahn und Branche bei der Konkretisierung und Umsetzung des mehrjährigen Programms ist uns dabei besonders wichtig.“

Die Nutzungsintensität auf dem deutschen Schienennetz hat sich seit der so genannten aber wirkungslosen Bahnreform 1994 bis 2021 um mehr als 60 % erhöht. Die steigende Nachfrage trifft dabei auf ein Streckennetz und Bahnhöfe, die nicht mitgewachsen sind. Gleichzeitig hat sich der Zustand der Infrastruktur verschlechtert, weil viele Gleise, Weichen, Brücken und Stellwerke alt und damit störanfällig sind. Um die Modernisierung voranzutreiben, wird auf Rekordniveau gebaut. Diese Baumaßnahmen kosten allerdings zusätzliche Kapazität, was insbesondere auf dem hoch belasteten Netz schmerzhaft ist. Mit steigender Auslastung wachsen Staueffekte und Unpünktlichkeit exponentiell an.

Über eine Generalsanierung der wichtigsten Schienenkorridore soll sich nun das hoch belastete Netz bis 2030 zu einem Stabilitätsanker für die gesamte Schiene entwickeln. Störungen sollen auf diesen Strecken stark reduziert und die Infrastruktur deutlich robuster werden. Außerdem schaffen neue Kapazitäten nach den Arbeiten zusätzlichen Platz für mehr klimafreundlichen Verkehr auf der Schiene. Kunden des Güter- und Personenverkehrs werden einen deutlichen Vorher-Nachher-Unterschied feststellen. Und die Industrie soll von erstklassigen Güterverkehrskorridoren profitieren. Für Fahrgäste soll zudem die schwer vernachlässigte und meist marode „Attraktivität“ der Bahnhöfe gesteigert werden. 

Nach Plänen der DB werden bei der Generalsanierung des Hochleistungsnetzes alle überalterten und störanfälligen Anlagen komplett ersetzt und verbessert. Damit wird der Investitionsrückstau hier umfassend beseitigt. Im Hochleistungsnetz herrscht ein erstklassiger Ausstattungsstandard: Flächendeckender Gleiswechselbetrieb, weniger Bahnübergänge, ausreichende Überhol- und Überleitstellen machen den Bahnbetrieb robuster gegenüber unvorhergesehenen Störungen. Der Witz: Absolut unfähige Bahnmanager haben in den letzten Jahrzehnten dafür gesorgt, dass Tausende Kilometer an Überholgleisen und Weichenverbindungen rückgebaut wurden, was erst die riesigen Probleme nach sich zog. 

Das künftige Hochleistungsnetz soll mehr Reserven bieten und es sollen usstattungskomponenten zum Einsatz kommen, die deutlich performanter und zuverlässiger sein sollen. Prävention und Prädiktion sollen für eine vorausschauende Instandhaltung sorgen und werden um eine 24/7-Hochleistungsentstörung ergänzt. Diagnosesysteme sollen kontinuierlich Informationen über den Zustand der verfügbarkeitsrelevanten Anlagen liefern. Dies ermöglicht, die Anlagen im Rahmen geplanter Wartungsarbeiten ohne Störung des Betriebes zu warten, bevor es zu Fehlern kommt. Die generalsanierten Strecken werden für die Digitale Schiene Deutschland vorgerüstet.

Für die Generalsanierung der hoch belasteten Korridore gelten drei entscheidende und neue Elemente:

  1. Bündelung aller Baumaßnahmen: Schwellen und Schotter, Gleise und Weichen, Signale und Stellwerke, Bahnsteige werden zukünftig gebündelt und komplett saniert. Bislang erfolgt die Sanierung von Schienen, Oberleitungen, Signaltechnik primär in Abhängigkeit von Zustand und Alter der Anlagen. Darauf ist auch die Finanzierung ausgerichtet. Dieses Vorgehen ist aber nicht kund:innenfreundlich. Es müssen auf ein und derselben Strecke immer wieder verschiedene Gewerke nacheinander ausgetauscht werden. In Zukunft wird die Strecke einmal gesperrt, danach ist sie für viele Jahre nahezu baufrei. 
  2. Erhöhung der Leistungsfähigkeit: Die Hochleistungskorridore erhalten einen erstklassigen Ausstattungsstandard. Hier werden auch viele kleine und mittlere Zusatzmaßnahmen realisiert, wie von der Branche vorgeschlagen. Die Korridore werden damit ein Anker für Stabilität und Wachstum im Schienennetz. Sie können mehr Züge aufnehmen, ohne negative Auswirkungen auf die Pünktlichkeit. Bislang war der reine „1:1-Ersatz“ die Regel. 
  3.  Kundenfreundliches Bauen: Gemeinsam mit der Bauwirtschaft werden hochverdichtete und kapazitätsschonende Bauverfahren implementiert. Die Einschränkungen einer Baumaßnahme für die Wirtschaft und die Fahrgäste werden so deutlich verringert. Für den Bestandserhalt stellt der Bund erstmals zusätzliche Mittel für kund:innenfreundliches Bauen bereit. Das kund:innenfreundliche Bauen wird auf dem Hochleistungsnetz ausgeweitet.

Die Erfahrungen mit der Generalsanierung aus dem hoch belasteten Netz mit stärkerer Bündelung, verbesserten Ausstattungsstandards und kleinen und mittleren Maßnahmen zur schnellen Kapazitätserweiterung sollen wo immer möglich und sinnvoll auch auf die restlichen 75 % des Netzes übertragen werden. 

Die Generalsanierung des ersten Schienenkorridors soll 2024 starten. Die Auswahl und die konkrete Umsetzung sollen zusammen mit dem Schienensektor sowie der Wirtschaft in enger Abstimmung erfolgen. Das Bundesministerium für Digitales und Verkehr und die Deutsche Bahn wollen gemeinsam die Branche einladen und das Hochleistungsnetz im Schulterschluss entwickeln. 

Um die Betriebslage bis zum Start der Generalsanierung bereits unmittelbar zu stabilisieren und zu verbessern, werden jene Elemente des Hochleistungsnetzes vorgezogen, die bereits kurzfristig umgesetzt werden können: U.a. sollen Umleitungsstrecken besser nutzbar gemacht und höherwertige und robustere Elemente, wo immer möglich, bereits verbaut werden. Die DB erhöht das jährliche präventive Instandhaltungsbudget um einen deutlichen dreistelligen Millionenbetrag. Damit werden vor allem kleine Störungen besser vermieden. Welche Summen für die Realisierung des Hochleistungsnetzes gebraucht werden, darüber schweigen sich Bahn und Bund aus. Quelle: DB / DMM