Bundesrechnungshof sieht Dauerkrise bei der Bahn

„Die Krise der DB AG wird chronisch, der Konzern entwickelt sich zu einem Sanierungsfall, der das gesamte System Eisenbahn gefährdet. Das zeigt unser aktueller Befund zur Lage der DB AG im Anschluss an unseren Sonderbericht von 2019. Vier Jahre später ist das System Eisenbahn sogar noch unzuverlässiger geworden und die wirtschaftliche Lage der DB AG hat sich weiter verschlechtert. Die vier Jahre sind offensichtlich verloren“, sagte der Präsident des Bundesrechnungshofes Kay Scheller anlässlich der Zuleitung eines Sonderberichtes an den Deutschen Bundestag mit Hinweisen für eine strukturelle Weiterentwicklung der Deutschen Bahn AG.

Die Probleme bei der DB AG betreffen fast alle Geschäftsbereiche und umfassen operative, wirtschaftliche und strategische Themen. Grafik Bundesrechnungshof

Im Bericht des Rechnungshofs heißt es: Es gibt gravierende strukturelle, finanzielle und betriebliche Probleme. Von einer Lösung ist die Bundesregierung weit entfernt. Das spüren wir alle im Alltag. Wir empfehlen unverändert, alle Aktivitäten und die Strukturen der DB AG auf den Gewährleistungsauftrag aus der Verfassung auszurichten: Die Verkehrsbedürfnisse für Deutschland decken mit einem zuverlässigen Verkehrsträger Schiene, der gleichzeitig für mehr Klimaschutz steht. Der Bund ist weit entfernt davon, die Probleme in den Griff zu bekommen – weder mit Blick auf die Schiene noch bei der Steuerung der DB AG. Damit das System Eisenbahn seine verkehrs- und klimapolitische Rolle erfüllen kann, braucht es grundsätzliche Reformen – ohne entschiedenes Umsteuern endet das System Eisenbahn auf dem Abstellgleis.“

Zustand der DB AG verschlechtert sich weiter – Lösungsansätze greifen nicht. Nachdem der Bundesrechnungshof 2019 in einem Sonderbericht auf grundlegende Fehlentwicklungen bei der Deutschen Bahn AG (DB AG) hingewiesen hatte, beurteilt er nun – vier Jahre später – die Lage des Konzerns und die Rolle des Alleineigentümers Bund erneut. Das Ergebnis ist ernüchternd! Die Probleme haben sich in Anzahl und Dringlichkeit sogar verschärft:

  • 2022 war jeder dritte Fernverkehrszug unpünktlich – ein Negativrekord. Die DB AG verfehlt weiterhin die Kundenansprüche an Pünktlichkeit und Verlässlichkeit. Das gilt auch für den Nah- und den Güterverkehr. 
  • Dafür ist auch die überalterte Schieneninfrastruktur verantwortlich. Anlagenausfälle und Kapazitätsengpässe bremsen den Schienenverkehr aus. 
  • Die wirtschaftliche Situation des Konzerns verschärft sich weiter. In den bahnbezogenen Geschäftsfeldern der DB AG (DB Cargo, DB Regio, DB Fernverkehr) sind die Erträge rückläufig oder es entstehen zum Teil massive Verluste. Die vielfältigen und weltweiten Geschäftstätigkeiten der DB AG jenseits der Eisenbahn in Deutschland binden Management- und Finanzressourcen. Auch diese sind in Teilen defizitär. 
  • So kann die DB AG ihre Kosten und Investitionen nicht durch die Einnahmen decken und musste sich in den letzten Jahren kontinuierlich weiter verschulden. Die Verschuldung stieg seit 2016 um 10 Mrd. Euro auf über 30 Mrd. Euro an – das entspricht täglich 5 Mio. Euro neuen Schulden. Und das, obwohl der Staat die DB AG auf unterschiedlichen Wegen immer stärker finanziell unterstützt. Diese öffentlichen Zahlungen von zuletzt durchschnittlich 16,6 Mrd. Euro im Jahr überstiegen dabei die Einnahmen aus Infrastrukturentgelten, Transport- und Fahrgastumsätzen. 
  • Alles zusammen beschädigt das die Reputation der DB AG immer mehr. Werbewirksame Versprechen und Strategien wie „Starke Schiene“ oder „Deutschlandtakt“ hält die DB AG nicht ein, sie verkommen zu wirkungslosen Worthülsen.

Alleineigentümer Bund muss eingreifen. Der Bund hat ein vitales Interesse an einem leistungsfähigen Eisenbahnsystem in Deutschland, um seinen verfassungsrechtlichen Gewährleistungsauftrag zu erfüllen. Das Grundgesetz verpflichtet den Bund, zum Allgemeinwohl eine den Verkehrsbedürfnissen entsprechende Versorgung mit Eisenbahninfrastruktur und Eisenbahnverkehrsangeboten zu gewährleisten. Deshalb darf er diese Probleme nicht weiter hinnehmen. „Die Fehlentwicklungen laufen den Interessen des Bundes zuwider und führen dazu, dass er seinen Gewährleistungsauftrag immer schlechter erfüllt. Als Gestalter des Systems Eisenbahn und als Alleineigentümer der DB AG darf er sich aber nicht mehr darauf beschränken, ständig steigende Haushaltsmittel bereitzustellen“, sagte Scheller.

Der Bund muss sich auch an seinen ambitionierten Zielen für den Schienensektor bis 2030 messen: die Verkehrsleistung im Personenverkehr verdoppeln und einen Anteil von 25 % am gesamten Gütertransport erreichen. Diese Ziele sind allerdings außer Reichweite. Zwar kündigte die Bundesregierung 2022 an, die Interessen des Bundes stärker durchsetzen zu wollen. Dem stehen allerdings weiterhin die grundlegenden Probleme im Weg. Damit sollte die Bundesregierung nun offen und ehrlich umgehen.

Was ist zu tun?
„Die Dauerkrise ist nicht allein Folge von Entscheidungen der DB AG. Durch eigene Versäumnisse hat die Bundesregierung wesentlich dazu beigetragen. Nach vier weiteren verlorenen Jahren muss die Bundesregierung endlich entschlossen gegen die Ursachen der Dauerkrise vorgehen und den Konzern wirksam, umfassend und schnell umstrukturieren“, so Scheller. Erforderlich ist dafür:

  • den Gewährleistungsauftrag in einem Gesamtkonzept konkretisieren – mit nachvollziehbaren Zielen für das System Eisenbahn, validen Kostenschätzungen und einem gleichzeitig realistischen und ambitionierten Zeitplan. Es muss klar sein, was für eine Bahn und wieviel Bahn der Bund zu welchen Kosten haben will. 
  • vom Gesamtkonzept ausgehend braucht der Bund die seit langem angekündigte Eigentümerstrategie – um die DB AG auf seine Interessen auszurichten. Kernfrage ist, was in den Konzern gehört, um den Gewährleistungsauftrag zu erfüllen. Management- und Finanzressourcen dürfen nur dort zum Einsatz kommen, wo sie tatsächlich Probleme im Schienennetz und -verkehr lösen. Engagements im Ausland oder in anderen Sparten sind einzustellen.
  • die Struktur des Systems Eisenbahn weiterentwickeln, also die DB AG so ausrichten, dass das System Eisenbahn als Ganzes profitiert. Denn die bisherige Organisation als integrierter Konzern hat sich nicht bewährt. Dabei braucht der Bund die Kontrolle über das Schienennetz, um seinen Gewährleistungsauftrag zu erfüllen. Gleichzeitig sollte er auch durch die Struktur des Systems Eisenbahn den Wettbewerb auf der Schiene fördern. 
  • eine aktive Beteiligungsführung beim DB AG-Konzern, mit der der Bund angemessen Einfluss nimmt. Das heißt
  1. die Eignung verschiedener Rechtsformen prüfen.
  2. den Unternehmenszweck klar festlegen und eingrenzen.
  3. Aufsichtsräte angemessen mit Bundesvertreterinnen und -vertretern besetzen.
  4. eine neue Verschuldungsgrenze einführen.

„Der Bund muss die DB AG aufgleisen – als verkehrspolitischer Gestalter, Alleineigentümer und Geldgeber kann er die Weichen stellen“, sagte Scheller. „Wichtig ist: Was die Schiene nicht stärkt, gehört nicht in den Konzern.“ Quelle: Bundesrechnungshof: https://www.bundesrechnungshof.de/SharedDocs/Downloads/DE/Berichte/2023/db-dauerkrise-volltext.pdf?__blob=publicationFile&v=5 / DMM