Chaos an den Airports ist hausgemacht

Nun rächen sich die Massenentlassungen kurz nach Beginn der Corona-Pandemie. Airlines und Airports führten teils so etwas wie einen personellen Kahlschlag durch. Jetzt, da sich das Reisegeschäft spürbar erholt, ist das Gejammer über chaotische Zustände in den Flughafenterminals, über Verspätungen und Flugausfälle infolge fehlenden Personals groß.

Auch von Geschäftsreisenden ist von unmöglichen Warteschlangen zu hören. Aber die haben ja die Möglichkeit, zumindest innerdeutsch, auf die Bahn oder den Geschäftswagen auszuweichen. Schuld sind alle Beteiligten, heißt es in einem Bericht der Wirtschaftswoche: die Airlines, die Flughäfen, die Abfertigungsfirmen, die Behörden und natürlich die Reisenden selbst. 

Bekannt ist, dass die Lufthansabilligtochter Eurowings an manchen Tagen 40 Flüge und mehr absagen musste und zahlreiche Flüge waren teilweise mehrere Stunden verspätet. Und wer flog, musste statt der gebuchten direkten Reise teilweise umsteigen und kam somit deutlich später an. Wessen Flug regulär ging, stand vor der Kofferabgabe oder Sicherheitskontrolle oft in einer mehrere hundert Meter langen Warteschlange. Und waren die Passagiere nach bis zu gut zwei Stunden endlich am Flugsteig, war oft die Maschine weg. Nach der Landung war und ist es derzeit es kaum besser. Stundenlanges Warten auf das Gepäck war und ist noch die Regel. Der Grund war und ist überall der gleiche: „In allen Bereichen herrscht Personalmangel“, klagt Ralf Beisel, Chef des Flughafenverbands ADV. Er schätzt den Mangel auf bis zu 20 %.  „Und das Schlimmste ist: es war ein Chaos mit Ankündigung, denn alle Beteiligten von den Airlines bis zu den Behörden wussten was kommt, aber nicht alle haben sich darauf eingestellt.“

Dabei ist es ein schwacher Trost, dass es im europäischen Ausland noch schlimmer war. Nachdem etwa in Manchester oder Amsterdam die Warteschlangen teilweise bis in die Parkhäuser vor den Terminals reichten, sagten British Airways und Easyjet teilweise mehr als 100 Flüge pro Tag ab. Die niederländische KLM stellte gar für manche Reiseorte tageweise den Ticketverkauf komplett ein. Ryanair-Chef Michael O’Leary rief gar danach, die Personallücken an den Flughäfen mit Hilfe der irischen Armee zu schließen. 

Weil das Chaos Urlaubern die Ferien und Geschäftsreisenden die Terminplanung störte, beschimpften sich vor allem in Großbritannien die Flugunternehmen und die Behörden gegenseitig. In Deutschland hingegen hielten sich alle Beteiligten mit gegenseitigen Vorwürfen auffällig zurück. Aus gutem Grund: „Im Nachhinein ist klar: Von den Flughäfen über die Abfertigungsdienstleister und die Behörden bis zu den Passagieren hat jeder seinen Teil dazu beigetragen“, so ein Branchenmanager. 

Die fünf Gründe für das Reisechaos: 

  1. Die Fluglinien haben den Buchungsboom unterschätzt. Lufthansa & Co. hatten bereits vor zwei Jahren auf dem Tiefpunkt der Krise eine deutliche Erholung für den Sommer 2022 vorhergesagt. Dass sie nun trotzdem teilweise zu wenig Leute hatten, lag zum einen an den umfangreichen Entlassungswellen, die sich jetzt als übertrieben herausstellen. Dazu haben die Airlines zwar früh ihr Angebot hochgefahren aber erst deutlich später auch genug Personal und Flugzeuge eingeplant. Schlecht für die Airlines und Flughäfen. Nach dem unwürdigen Rauswurf zig Tausender Angestellter haben sich diese neue Jobs gesucht. Und die Rekrutierung neuer MitarbeiterInnen zieht sich hin.
  2. Die Branche hat für viele Arbeitnehmer ihren Reiz verloren. Vor der Covidkrise interessierten sich viele Arbeitnehmer für die Luftfahrt. Es gibt relativ viele Jobs für un- und angelernte Arbeitnehmer. Dazu bieten die Airports dank der großen Flugzeuge und dem Hauch von Fernweh etwas Glamour. Und weil die Passagierzahlen über Jahrzehnte auch in Krisen kräftig weiterwuchsen, erschienen die Jobs extrem sicher. Das Image ist in sich zusammengebrochen. Viele langjährig Beschäftigte an den Flughäfen haben in der Krise entdeckt, dass es nicht zuletzt in der Logistik Jobs gibt, die besser bezahlt sind und von den Anforderungen angenehmere Bedingungen bieten.
  3. Starke Regulierung macht die Branche unflexibel. In wenigen Branchen sind die Auflagen für neue Mitarbeiter strenger als in der Luftfahrt. Jeder, der an Bord oder am Flughafen im Sicherheitsbereich arbeitet, muss neben seiner Ausbildung auch eine Zuverlässigkeitsüberprüfung durch die Sicherheitsbehörden hinter sich bringen. Das soll vor allem Kriminelle oder politisch motivierte Gewalttäter von den Flugzeugen und ihrer oft wertvollen Fracht fernhalten. Doch die Vorschriften begrenzen auch die Zahl der Bewerber. Besonders für die körperlich anstrengen Jobs wie bei Wind und Wetter Flugzeuge zu beladen, interessieren sich traditionell wenige Deutsche, aber umso mehr Arbeitssuchende mit Migrationshintergrund. Doch die brauchen ein europäisches Führungszeugnis oder eine Straffreiheitsbescheinigung ihres Gastlandes. Das bringen die meisten nicht bei. 
  4. Die zuständigen Behörden sind oft weltfremd. Zudem bremsen die deutschen Behörden die Neueinstellungen. Das beginnt bei den Sicherheitsüberprüfungen. Dauerten diese Background-Checks früher nur sechs Wochen, können nun mehrere Monate vergehen. Dem Vernehmen nach soll es Personalmangel auch bei den Behörden geben. Noch größer ist das Problem bei der Organisation der Sicherheitskontrollen. Zuständig ist hier mit Ausnahme von Bayern die Bundespolizei, die für die Kontrollen Unternehmen wie Kötter oder Securitas engagiert. Die Behörde bezahlt sie nach einem System, das Warteschlangen geradezu provoziert. Geld bekommen die Dienstleister nur nach der Zahl der geprüften Passagiere. Praktisch keine Rolle spielt hingegen Qualität ihrer Arbeit, genauer die Wartezeiten. Ob Passagiere zwei Minuten oder zwei Stunden anstehen, der Dienstleister bekommt das gleiche Geld“, so ein Airportmanager. „Also lohnt es sich für die Unternehmen nicht, mehr Leute einzustellen.“ Zudem muss die Behörde oder die Dienstleister nicht geradestehen, wenn Reisende wegen unerwartet langer Wartezeiten ihren Flug verpassen. Die Folge: Obwohl die Flughäfen in der Regel der Bundespolizei Wochen im Voraus melden, wie viele Kontrollspuren in einem bestimmten Viertelstundenintervall gebraucht werden, sind gerade zu Spitzenzeiten in der Regel zu wenig Checkpoints offen. Besonders ärgert die Flughäfen, dass die Bundespolizei auch sehr zögerlich in neue Technologie wie moderne Kontrollspuren investiert. So nutzen fast alle deutschen Flughäfen noch alte Systeme, bei denen nur jeweils ein Passagier Handgepäck oder Jacke auf das Band legen kann. „Dabei gibt es nicht nur im Ausland, sondern längst auch in Deutschland erprobte Systeme, wo mehrere Kunden auflegen können, so dass eine Spur pro Stunden im Schnitt bis zu doppelt so viele Reisende schafft“, ärgert sich ein Flughafenmanager.
  5. Viele Kunden haben das Fliegen verlernt. Am Ende tragen auch die Kunden zu mehr Warteschlangen und Verspätungen bei. Zum einen haben viele nach der langen Coronapause die Reiseregeln nicht mehr vor Augen. Weil mehr Passagiere als früher Flüssigkeiten nicht in einem Beutel haben oder zu große Fläschchen nutzen, dauern die Sicherheitskontrollen derzeit im Schnitt länger als früher. Das verlängert die Staus vor den Checkpoints. Zur Überraschung der Airlines geben in diesem Jahr mehr Reisende als vor der Pandemie einen Koffer auf, statt nur mit Handgepäck zu reisen. Darum stellen sich nicht nur mehr Menschen an den Check-in-Schaltern an. Das sorgt für mehr Wartezeit. Auch das Be- und Entladen der Flugzeuge dauert nun länger. Quelle: Wirtschaftswoche / DMM