Droht doch ein zweiter Lockdown?

Angesichts der sprunghaft gestiegenen Coronavirus-Infektionszahlen hat der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) eindringlich vor einem erneuten generellen Herunterfahren der deutschen Wirtschaft gewarnt. "Ein zweiter Lockdown wäre existenzgefährdend für zahlreiche Unternehmen in Deutschland", sagt BDI-Präsident Dieter Kempf.

Nun hält aber der Vorsitzende des Weltärztebunds, Frank Ulrich Montgomery, in Deutschland einen Lockdown für nötig, wenn die Schwelle von 20.000 Neuinfektionen am Tag überschritten wird. Bei dieser Zahl "gerät die Lage außer Kontrolle", sagte er der "Rheinischen Post". "Dann wäre es für Gesundheitsämter nicht mehr möglich, die Infektionsketten nachzuverfolgen und zu unterbrechen. Dann droht uns ein zweiter Lockdown, weil sich das Virus anders nicht mehr bremsen lässt." Und heute, Freitag, 23. Oktober 2020, meldet Berlin, dass es die Behörden tatsächlich nicht mehr schaffen, angesichts der Flut an Neuinfektionen alle Kontaktpersonen ausfindig zu machen und zu informieren. Jetzt liege die Verantwortung vollständig bei den Bürgern.

BDI-Hauptgeschäftsführer Joachim Lang äußert, die Krise sei noch lange nicht vorbei. Und weiter: „Deutschland darf sich nicht in falscher Sicherheit wiegen. Die deutsche Industrie produziert viele Investitionsgüter und hat einen hohen Exportanteil. Die weltweite Konjunkturschwäche und ausbleibende Investitionen sind für die exportorientierte Wirtschaft ein kräftezehrender Stresstest. Die beschlossene Verlängerung der Absicherung von Exportgeschäften ist ein wichtiger Schutzschirm für unsere Unternehmen, um diese schwere Krise zu überwinden.“

Kempf verlangt von Berlin eine „besonnene Herbststrategie mit einem klugen Mix aus passgenauen Maßnahmen von Bund und Ländern“. Oberstes Ziel für die Bundesregierung und die Regierungen der Bundesländer müsse bleiben, „Lockdowns zu verhindern, selbst wenn sie zeitlich befristet stattfinden sollten“. Dazu brauche es umfassende Schutzvorschriften. Der BDI-Präsident appellierte zudem an die Eigenverantwortung der Bürger: Sie könnten mit diszipliniertem Verhalten vermeiden, öffentliches Leben und wirtschaftliche Aktivität zu gefährden und so gleichzeitig für den Erhalt ihrer Arbeitsplätze sorgen.

Gemeinsam mit den Verbänden DIHK, BDA, DEHOGA, DRV, HDE und ZDH plädiert der BDI für eine abgewogene und verhältnismäßige Strategie bei den Reisebeschränkungen. Die Wirtschaft ist sich bewusst, dass Reisebeschränkungen ein Instrument der Politik zur Eindämmung der Pandemie sind. Sie bergen jedoch die Gefahr, dass sie wirtschaftliche Aktivitäten wie Handel und Investitionen in große Mitleidenschaft ziehen.

Die jüngsten Verlängerungen und Ausweitungen von Reisebeschränkungen zur Bekämpfung der Corona-Pandemie und ihre mangelnde Koordination zwischen den EU-Mitgliedstaaten haben vielfältige negative wirtschaftliche Auswirkungen, die weit über die Einschränkung touristischer Reisen hinausgehen. Sie treffen viele Unternehmen in einer wirtschaftlich sehr fragilen Phase – denn im Unterschied zum Beginn der Pandemie sind die Liquiditäts- und Kapitalreserven mittlerweile vielfach aufgezehrt. Die geschäftlichen Verbesserungen gegenüber der Situation im April und Mai dürfen nicht darüber hinwegtäuschen, dass viele Unternehmen weiter unter massiven Umsatzrückgängen leiden oder sogar von einer Insolvenz bedroht sind.

Zu häufige und kurzfristige Veränderungen der Regeln bei Teststrategie, Quarantänevorgaben und Reisewarnungen schaffen Unsicherheit und erhöhen wirtschaftliche Risiken, so ein Statement des Industrieverbands. Zudem steigern unterschiedliche Vorschriften in den einzelnen EU-Ländern den Informations- und Planungsaufwand für die deutschen Unternehmen insbesondere im Binnenmarkt. Zu einer abgewogenen Strategie gehört, bei den weltweiten Reisebeschränkungen die sehr unterschiedlichen Situationen in verschiedenen Ländern zu berücksichtigen. Zudem ist eine bessere Koordination der EU-Mitgliedstaaten notwendig, um die Funktionsfähigkeit des Binnenmarktes aufrechtzuerhalten. Für einen funktionierenden europäischen Binnenmarkt sind Arbeitnehmerfreizügigkeit, grenzüberschreitende Dienstleistungserbringung und unkomplizierte Dienstreisen unverzichtbar. Auch ist immer wieder zu prüfen und auch nachvollziehbar darzustellen, ob tatsächlich die individuelle Reisetätigkeit generell ein Risiko darstellt oder ob nicht vielmehr die Nichteinhaltung der AHA-Regeln z.B. bei privaten Feiern im In- und Ausland die Ursache für höhere Infektionen ist.

In die Abwägung im Vorfeld politischer Weichenstellungen in diesem Bereich müssen die wirtschaftlichen Folgewirkungen mit einbezogen werden. Wichtig ist die Suche nach Lösungen, die Gesundheitsschutz und wirtschaftliche Aktivitäten zugleich fördern. So setzen viele Unternehmen ihre Hoffnungen auf Schnelltests, die Reisebeschränkungen und Quarantänezeit vielleicht reduzieren könnten. Um das Risiko für Urlauber und Geschäftsreisende sowie für die Allgemeinheit zu minimieren, sollten für Reiserückkehrer aus Risikogebieten ausreichend Testkapazitäten zur Verfügung gestellt werden. Auch sollten vorhandene Mittel effektiv eingesetzt werden. Das beinhaltet u. a., wo immer möglich veterinärmedizinische und anderweitige Labordienstleister einzubeziehen sowie neue Schnelltestverfahren und Ressourcen schonende Pooling-Ansätze bei Tests sinnvoll zu nutzen. Um eine Abwägung zwischen Gesundheitsschutz und wirtschaftlicher Aktivität sicherzustellen, sollte innerhalb der Bundesregierung neben dem Gesundheits- und Innenressort auch das Bundeswirtschaftsministerium bei der Vorbereitung von Reisebeschränkungen und anderen Pandemie-Maßnahmen durchgängig beteiligt werden. Bei der Einordnung von Staaten und der Entscheidung über Reisehinweise und Reisewarnungen durch das Auswärtige Amt muss die wirtschaftliche Folgenabschätzung ebenfalls ein Bestandteil der Erwägungen sein.

Die Folgen treffen weite Teile der Wirtschaft und viele verschiedene Branchen. Diese führen die Verbände DIHK, BDA, BDI, DEHOGA, DRV, HDE und ZDH in ihrer gemeinsamen Erklärung aus. Quelle: BDI / DMM