EU: Einreiseverbot für alle Russen?

„Der Besuch in Europa ist ein Privileg, kein Menschenrecht“, twitterte Estlands Regierungschefin Kaja Kallas vor Kurzem und forderte ihre Amtskolleginnen und Amtskollegen in der EU auf, die Ausstellung von Touristenvisa für russische Staatsbürger zu stoppen. Grund dafür sei der russische Angriffskrieg in der Ukraine. Seitdem ist eine Diskussion über ein Einreiseverbot für russische Touristen in die EU in vielen Ländern in Gang gekommen.

Ohnehin ist der Geschäftsreiseverkehr zwischen den meisten westlichen und Nato-Ländern mit Russland fast auf Null gesunken.  Anders aber der herkömmliche touristische Verkehr. Hunderttausende russische Staatsbürger sonnen sich an den Stränden West- und Südeuropas, während in der Ukraine Schulen und Krankenhäuser dem Erdboden gleichgemacht und die Zivilbevölkerung im Auftrag Wladimir Putins zu Tode gefoltert wird. 

Estland wird ab Donnerstag, 18. August 2022, seine Visa-Regelungen für russische Staatsbürger verschärfen. So dürfen nur noch russische Staatsangehörige einreisen, die ihren ständigen Wohnsitz im baltischen Land haben. Auch sind Russen vom Einreiseverbot ausgenommen, die enge Verwandtschaft in Estland haben sowie russische Bürger, die ein Visum eines anderen EU-Landes besitzen. Estlands Außenminister Urmas Reinsalu in einem TV-Interview: „Der Krieg wurde von der russischen Föderation begonnen. Ohne Zweifel tragen russische Bürger durch ihre Passivität eine moralische Verantwortung für diesen Krieg.“ Russische Bürger sind in Estland definitiv nicht willkommen, so der Minister.

Über den Grenzübergang in der estnischen Stadt Narva kommen seit Wochen wieder deutlich mehr russische Touristen, die ein Schengenvisum besitzen. Die überwiegende Mehrheit von ihnen hat den Flughafen in der Hauptstadt Tallin als Reiseziel. Von dort geht es dann in andere EU-Länder. Beliebte Ziele sind die Mittelmeerländer Frankreich, Griechenland, Italien und Spanien.

Auch die finnische Staatschefin Sanna Marin hält es für nicht richtig, dass russische Bürger ein normales Leben leben und sich frei bewegen können, wenn zur selben Zeit Moskau einen mörderischen Angriffskrieg in Europa führt. Gleichwohl müsse die Frage eines Einreiseverbots russischer Bürger mit den anderen Schengen-Ländern diskutiert werden. Eine Gelegenheit dazu haben die EU-Außenminister bei ihrem informellen Treffen in Prag Ende August.

Dänemark, Belgien, die Niederlande, die Slowakei, Tschechien und Malta erteilen bereits keine Kurzzeit-Visa für Russen mehr. Schweden hat noch keine Entscheidung getroffen. Einwanderungsminister Anders Ygeman bevorzugt eine gemeinsame EU-Entscheidung und will bis dahin abwarten. Lettland hat wie Estland und Litauen die Ausstellung neuer Visa für Russen gestoppt. Deutschland kann sich wie gewohnt nicht entscheiden. Quelle: Handelsblatt / DMM