Fahrverbote sind zulässig

Mit zwei Urteilen hat das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig am 27.02.2018 die Sprungrevisionen der Länder Nordrhein-Westfalen und Baden-Württemberg gegen erstinstanzliche Gerichtsentscheidungen der Verwaltungsgerichte Düsseldorf und Stuttgart zur Fortschreibung der Luftreinhaltepläne Düsseldorf und Stuttgart überwiegend zurückgewiesen. Allerdings sind bei der Prüfung von Verkehrsverboten für Diesel-Kraftfahrzeuge gerichtliche Maßgaben insbesondere zur Wahrung der Verhältnismäßigkeit zu beachten.

Das Verwaltungsgericht Düsseldorf verpflichtete das Land Nordrhein-Westfalen auf Klage der Deutschen Umwelthilfe, den Luftreinhalteplan für Düsseldorf so zu ändern, dass dieser die erforderlichen Maßnahmen zur schnellstmöglichen Einhaltung des über ein Jahr gemittelten Grenzwertes für Stickstoffdioxid (NO) in Höhe von 40 µg/m³ im Stadtgebiet Düsseldorf enthält. Der Beklagte sei verpflichtet, im Wege einer Änderung des Luftreinhalteplans weitere Maßnahmen zur Beschränkung der Emissionen von Dieselfahrzeugen zu prüfen. Beschränkte Fahrverbote für bestimmte Dieselfahrzeuge seien rechtlich und tatsächlich nicht ausgeschlossen. 

Das Verwaltungsgericht Stuttgart verpflichtete das Land Baden-Württemberg, den Luftreinhalteplan für Stuttgart so zu ergänzen, dass dieser die erforderlichen Maßnahmen zur schnellstmöglichen Einhaltung des über ein Kalenderjahr gemittelten Immissionsgrenzwertes für NOin Höhe von 40 µg/m³ und des Stundengrenzwertes für NOvon 200 µg/m³ bei maximal 18 zugelassenen Überschreitungen im Kalenderjahr in der Umweltzone Stuttgart enthält. Der Beklagte habe ein ganzjähriges Verkehrsverbot für alle Kraftfahrzeuge mit Dieselmotoren unterhalb der Schadstoffklasse Euro 6 sowie für alle Kraftfahrzeuge mit Ottomotoren unterhalb der Schadstoffklasse Euro 3 in der Umweltzone Stuttgart in Betracht zu ziehen.  

Die verwaltungsgerichtlichen Urteile sind vor dem Hintergrund des Unionsrechts überwiegend nicht zu beanstanden. Unionsrecht und Bundesrecht verpflichten dazu, durch in Luftreinhalteplänen enthaltene geeignete Maßnahmen den Zeitraum einer Überschreitung der seit 1. Januar 2010 geltenden Grenzwerte für NO so kurz wie möglich zu halten.  

Entgegen der Annahmen der Verwaltungsgerichte lässt das Bundesrecht zonen- wie streckenbezogene Verkehrsverbote speziell für Diesel-Kraftfahrzeuge jedoch nicht zu. Nach der bundesrechtlichen Verordnung zur Kennzeichnung der Kraftfahrzeuge mit geringem Beitrag zur Schadstoffbelastung („Plakettenregelung“) ist der Erlass von Verkehrsverboten, die an das Emissionsverhalten von Kraftfahrzeugen anknüpfen, bei der Luftreinhalteplanung vielmehr nur nach deren Maßgaben möglich (rote, gelbe und grüne Plakette).  

Mit Blick auf die unionsrechtliche Verpflichtung zur schnellstmöglichen Einhaltung der NO-Grenzwerte ergibt sich jedoch aus der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union, dass nationales Recht, dessen unionsrechtskonforme Auslegung nicht möglich ist, unangewendet bleiben muss, wenn dies für die volle Wirksamkeit des Unionsrechts erforderlich ist. Deshalb bleiben die „Plakettenregelung“ sowie die StVO, soweit diese der Verpflichtung zur Grenzwerteinhaltung entgegenstehen, unangewendet, wenn ein Verkehrsverbot für Diesel-Kraftfahrzeuge sich als die einzig geeignete Maßnahme erweist, den Zeitraum einer Nichteinhaltung der NO-Grenzwerte so kurz wie möglich zu halten.  

Hinsichtlich des Luftreinhalteplans Stuttgart hat das Verwaltungsgericht in tatsächlicher Hinsicht festgestellt, dass lediglich ein Verkehrsverbot für alle Kraftfahrzeuge mit Dieselmotoren unterhalb der Schadstoffklasse Euro 6 sowie für alle Kraftfahrzeuge mit Ottomotoren unterhalb der Schadstoffklasse Euro 3 in der Umweltzone Stuttgart eine geeignete Luftreinhaltemaßnahme darstellt.  

Bei Erlass dieser Maßnahme wird jedoch - wie bei allen in einen Luftreinhalteplan aufgenommenen Maßnahmen - sicherzustellen sein, dass der auch im Unionsrecht verankerte Grundsatz der Verhältnismäßigkeit gewahrt bleibt. Insoweit ist hinsichtlich der Umweltzone Stuttgart eine phasenweise Einführung von Verkehrsverboten, die in einer ersten Stufe nur ältere Fahrzeuge (etwa bis zur Abgasnorm Euro 4) betrifft, zu prüfen. Zur Herstellung der Verhältnismäßigkeit dürfen Euro-5-Fahrzeuge jedenfalls nicht vor dem 1. September 2019 (mithin also vier Jahre nach Einführung der Abgasnorm Euro 6) mit Verkehrsverboten belegt werden. Darüber hinaus bedarf es hinreichender Ausnahmen, z.B. für Handwerker oder bestimmte Anwohnergruppen.  

Hinsichtlich des Luftreinhalteplans Düsseldorf hat das Verwaltungsgericht festgestellt, dass Maßnahmen zur Begrenzung der von Dieselfahrzeugen ausgehenden Emissionen nicht ernsthaft in den Blick genommen worden sind. Dies wird der Beklagte nachzuholen haben. Ergibt sich bei der Prüfung, dass sich Verkehrsverbote für Diesel-Kraftfahrzeuge als die einzig geeigneten Maßnahmen zur schnellstmöglichen Einhaltung überschrittener NO-Grenzwerte darstellen, sind diese - unter Wahrung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit - in Betracht zu ziehen.  

Die StVO ermöglicht die Beschilderung sowohl zonaler als auch streckenbezogener Verkehrsverbote für Diesel-Kraftfahrzeuge. Der Vollzug solcher Verbote ist zwar gegenüber einer „Plakettenregelung“ deutlich erschwert. Dies führt allerdings nicht zur Rechtswidrigkeit der Regelung.

Der ACE Auto Club Europa begrüßt die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts Leipzig, da diese nicht nur Rechtssicherheit für die Städte Düsseldorf und Stuttgart schafft, sondern auch eine Signalwirkung für alle betroffenen deutschen Städte haben wird. „Dass die Städte nun Fahrverbote in ihre jeweiligen Luftreinhaltepläne aufnehmen müssen, ist eine Maßnahme, die sich keiner gewünscht hat. Dennoch ist es die einzige Maßnahme, die tatsächlich die Emissionen in den Städten reduziert und dies sofort. Außerdem kann sich Deutschland nicht einfach über europäisches Recht und das Bundesimmissionsschutzgesetz hinwegsetzen, welches die Gesundheit der Menschen schützen soll“, so Stefan Heimlich, Vorsitzender des ACE.   

Die Fahrverbote, als Maßnahme für saubere Luft, sollten nach Ansicht des ACE jetzt konsequent umgesetzt werden. Ausnahmen darf es nur für Fahrzeuge mit hoheitlichen Aufgaben geben, wie z.B. für Fahrzeuge der Feuerwehr, der Polizei sowie der Entsorgungsunternehmen. Schließlich führt jede Ausnahmeregelung eher dazu, dass die Ziele des Verbotes nicht erreicht werden. Gleichzeitig sind die Städte und Kommunen aber auch aufgefordert, für eine zügige Erneuerung ihrer Flotten zu sorgen. Im innerstädtischen Verkehr geht es nicht um eine Konfliktlinie zwischen Autofahrern und Anwohnern. Betroffen von der schlechten Luft sind letztendlich auch die Autofahrer selbst, die im Feinstaub- und Stickoxid-Nebel unterwegs sind.

Kurzfristig muss es daher heißen: Stopp für Fahrzeuge mit einem zu hohen Schadstoffausstoß. Die Politik wiederum muss zügig dafür sorgen, dass Hersteller Dieselfahrzeuge der Bestandsflotte umrüsten, über sowohl Software- als auch Hardware-Nachrüstung, und zwar kostenneutral für die Verbraucher. Darüber hinaus fordert der ACE die Umsetzung langfristig wirksamer Maßnahmen für eine saubere, gesunde Luft. Denn auch wenn der Gesundheitsschutz Vorfahrt hat, die Sicherung der individuellen Mobilität und des Gesundheitsschutzes gehören zusammen.

Zu den langfristigen Maßnahmen für saubere Luft zählt der ACE:

  • eine zukunftsfähige Ausgestaltung des ÖPNV – mit mehr Kapazitäten, kürzeren Taktfrequenzen, attraktiven Tarifsystemen und insgesamt einem einfacheren Zugang,
  • den Ausbau des Radverkehrsnetzes, mit Ausbau der Radschnellwege und Schaffung sicherer Abstellanlagen,
  • den Ausbau von Park-and-ride-Parkplätzen für Pendler mit direktem Anschluss an den öffentlichen Nahverkehr, inklusive Schaffung von Stellplätzen für Carsharing-Fahrzeuge sowie Fahrräder; diese Parkplätze gilt es auch an den Knotenpunkten von Autobahnen auszubauen, um z.B. Mitfahrgelegenheiten zu erleichtern,
  • Verkehrsvermeidung durch Verlagerung, intelligente Verkehrsführung und Vernetzung, denn insbesondere im städtischen Verkehr steckt hier viel Potenzial,
  • sowie die Förderung der Elektromobilität.

Die Städte und Kommunen sind hier gleichermaßen gefragt wie die nationale Politik. Die Städte und Kommunen sollten vorangehen, den Schulterschluss suchen und gegenseitig von Best-Practice-Beispielen lernen sowie die Fördermittel im Fonds „Nachhaltige Mobilität für die Stadt“ ausschöpfen. Quelle: BVerwG 7 C 26.16 - Urteil vom 27. Februar 2018, Vorinstanz: VG Düsseldorf, 3 K 7695/15 - Urteil vom 13. September 2016; BVerwG 7 C 30.17 - Urteil vom 27. Februar 2018, Vorinstanz: VG Stuttgart, 13 K 5412/15 - Urteil vom 26. Juli 2017 / ACE / DMM