Gedanken zum Sanierungsfall Daimler

"30.000. So lautet die Zahl der Mitarbeiter, die Daimler weltweit loswerden will. Ähnlich wie bei der Lufthansa läuft auch beim Stuttgarter Autobauer Daimler der größte Kahlschlag, den es in der Konzerngeschichte je gegeben hat", schreibt Dr. Dieter Lederer, Startup-Investor, Veränderunbgsexperte, Keynote-Speaker und Inhaber der Dr. Leserer Consulting GmbH.

Nachfolgend ein Beitrag Dr. Lederers zum Fall Daimler. „Jeder zehnte Arbeitsplatz wird abgebaut, generalstabsmäßig orchestriert und dirigiert von Wilfried Porth, seines Zeichens Personalvorstand und Arbeitsdirektor der Daimler AG sowie stv. Aufsichtsratsvorsitzender des Fußballclubs VfB Stuttgart. Soweit wäre das lediglich eine dramatische Nachricht aus der deutschen Wirtschaft in ohnehin unruhigen und unsicheren Zeiten. Die Lage bei Daimler ist ernst, der ehemalige CEO Dieter Zetsche hat ein sanierungsbedürftiges Unternehmen hinterlassen, Innovationen im Bereich der E-Mobilität und des autonomen Fahrens sowie der Abbau von Überkapazitäten in den Werken wurden verschlafen. Als wäre das nicht schon Belastung genug, hat obendrein die Corona-Pandemie zu einem massiven Absatzrückgang geführt – im ersten Halbjahr 2020 um gut ein Viertel gegenüber dem Vorjahr –, der die Bilanz vollends in Schieflage gebracht hat. Dass der Vorstand darauf entschlossen reagieren muss, steht außer Frage, das wissen auch die Mitarbeiter. Brisant wird der Stellenabbau durch die Art und Weise, wie er durchgeführt wird. Darin liegt das eigentliche Problem. Und dafür steht eben jener Herr Porth.

Punkte für Sparerfolg. Das erdachte System ist perfide und geht bis hin zur Zermürbung oder gerichtlichen Auseinandersetzung, so ist es ausdrücklich in den Maßnahmenplänen vorgesehen. Besonders befremdlich mutet es an, dass der „Sparerfolg“ der einzelnen Führungskraft mit Punkten honoriert wird, von denen es umso mehr gibt, je höherrangig der freigesetzte Mitarbeiter ist. „Kopfprämie“ ist das einzig richtige Wort dafür, das die Granden bei Daimler natürlich nie in den Mund nehmen würden.

Dazu kommt, dass bereits feststeht, wer gehen muss, und die jeweiligen Vorgesetzten zur Exekution verdonnert sind, überzeugendes Vertreten und individuelles Begründen der Entscheidung eingeschlossen – es soll ja nicht nach purer Willkür aussehen. Die Standard-Begründungen kommen über Lapidares nicht hinaus: von der Feststellung der Kritikalität der Lage über ständige Transformation von Prozessen und Strukturen bis hin zu nicht zukunftsfähigen Kompetenzen. Zieht all das nicht, soll unverhohlen gedroht werden: dann werde sich „alles verändern“. Im Klartext heißt das Kaltstellen und Mobbing, angeordnet vom Arbeitsdirektor höchstpersönlich. Sich querstellende Mitarbeiter haben das in der Vergangenheit bereits erfahren: sie fanden sich in Einzelbüros ohne Aufgaben wieder.

Was um alles in der Welt ist in Wilfried Porth gefahren, dass er glaubt, eine zugegeben schwierige und herausfordernde Situation mit einer derart menschenverachtenden Handlungskulisse bewältigen zu können? Daimler hat sich Integrität, Achtung, Respekt und Transparenz in seinem Programm „Leadership 2020“ auf die Fahnen geschrieben. Doch schon bei der ersten Feuerprobe scheinen diese Werte keine Bedeutung mehr zu haben. Eines ist sicher: die Menschen, die all das als Betroffene oder Zuschauer miterleben, werden es nicht vergessen. Welchen Dienst sich ein strukturell strauchelnder und dringend auf Innovation angewiesener Konzern in einem hoch umkämpften Arbeitsmarkt damit erweist, wird die Zukunft zeigen.

Allgemeinplätze und Fehlentscheidungen. Befragt zur idealen zeitgemäßen Führungskultur, kommt Porth über Allgemeinplätze nicht hinaus. Er lege Wert auf Authentizität, das Erarbeiten von Respekt und das Bewusstsein für die Verantwortung, die man übernimmt. Vermutlich wird jeder dazu nicken und es im nächsten Moment schon wieder vergessen haben. Was lässt sich damit reißen im Sinne des Aufbrechens verkrusteter Führungsprinzipien und des Schaffens eines Übergangs hin zu einem hoch produktiven und vernetzten Miteinander – basierend auf kollektiver Verbundenheit und individueller Potenzialentfaltung, wie es die wissenschaftlichen Erkenntnisse der Neurobiologie nahelegen? Darin läge ein Quantensprung für Daimler, doch dafür braucht es mehr als Allgemeinplätze.

„Wo Van-Vorstand Wilfried Porth mitmischt, geht es schief“ befand das Manager-Magazin vor ziemlich genau einem Jahr. Gemeint ist damit die Zeit, in der der Arbeitsdirektor der ehemals hochprofitablen Transporter-Sparte vorstand und durch eine Reihe mutmaßlicher Fehlentscheidungen die Basis für ihren Ruin legte. Das Desaster gilt als die neben dem Dieselskandal teuerste Baustelle im Konzern. Man könnte glatt versucht sein, Herrn Porths Augenmaß für unternehmerische Entscheidungen in Frage zu stellen – wie auch bei der Handhabung des derzeitigen Kahlschlags.

Zweierlei Maß. Mit Verwunderung darf man sich auch die Augen reiben ob der folgenden Episoden, die in Zusammenhang mit dem Personalvorstand stehen. Die illustre Folge beginnt mit der Liaison zu einer Mitarbeiterin. Um den „Regeln guter Unternehmensführung“ genüge zu tun, die amouröse Verbindungen zwischen Führungskräften und ihren Mitarbeitern nicht dulden, wurde schnurstracks umorganisiert. Ja, Sie haben richtig gelesen.

War es Zufall, dass vor anderthalb Jahren sowohl Porths Sohn als auch dessen Freundin in das begehrte INspire-Programm des Autobauers aufgenommen wurden, das als Karriereturbo gilt? Ein Compliance-Verstoß wurde selbstredend nicht festgestellt, so Verfasser Dr. Lederer. Und weiter: "Ist es angebracht, die Fans des VfB Stuttgart in der Daimler-Belegschaft per Intranet im Kampf um die Club-Präsidentschaft zu mobilisieren? Der Arbeitsdirektor jedenfalls hielt das für ein adäquates Mittel, um seinen eigenen Interessen Vorschub zu leisten." Wie sagt der Volksmund so schön: Bier ist Bier und Schnaps ist Schnaps. Wenn jedoch Bier Schnaps ist oder umgekehrt, wird es schwierig. Falls Herr Porth Position und Einfluss, die dem Unternehmen dienen sollen, tatsächlich für persönliche Anliegen genutzt hat, dann wurde mit zweierlei Maß gemessen und es ist ein Fragezeichen hinter seine Integrität zu setzen.

Prädikat: unwürdig. Im Licht all dieser Hintergründe hinterlässt der vorgesehene Umgang mit Menschen im Rahmen des derzeitigen Arbeitsplatzabbaus einen schalen Nachgeschmack. Es ist nicht statthaft, so mit Menschen umzugehen, die ihrem Arbeitgeber jahrelang vertraut und sich für ihn eingesetzt haben. Sie hätten Würdigung verdient, auch wenn ihre Arbeitsplätze nicht erhalten werden können. Der Umgang, der ihnen stattdessen zuteil wird, ist schlicht unwürdig." Quelle: Dr. Lederer Consulting / DMM