Geschäftsreisewelt im Umbruch

Kaum ein Sektor war von COVID-19 so beeinträchtigt wie die Reisebranche. Und die Nachwirkungen halten an, jedenfalls was den Bereich Dienstreisen betrifft. Der Ausfall von Messen, die Zunahme von Remote Work und Videokonferenzen statt Vor-Ort-Meetings führte zu einem enormen Rückgang der geschäftlichen Reisen. Doch seit Beginn des Jahres 2022 nehmen die beruflich bedingten Trips wieder deutlich zu.

Die Geschäftsreise-Branche sieht sich wieder im Aufwind. Foto Qantas

Angesichts strikter Corona-Einreiseregelungen und geopolitischer Konflikte ist es wenig überraschend, dass sich die beliebtesten Geschäftsreiseziele außerhalb Europas gegenüber 2019 verändert haben. Hinter den Vereinigten Staaten bildeten China und Russland bis Ende 2019 die Top-Destinationen. In 2022 haben Indien und Mexiko die vormaligen Nr. 2 und 3 abgelöst. Das ist kein Wunder: China verfolgt nach wie vor eine restriktive Einreisepolitik für ausländische Geschäftsreisende. Und Russland hat sich mit dem Krieg selbst aus dem Geschäftsreisegeschehen herausgekegelt. Einen Sonderfall stellt das Vereinigte Königreich dar: Im Zusammenhang mit dem Brexit sind die Einreisebestimmungen komplizierter geworden. Trotzdem bleibt UK ein wichtiges Ziel für deutsche Firmenreisende. Überholt wurde Großbritannien vom neuen Favoriten Spanien.  

Es gibt unterschiedliche Studien zur Entwicklung der geschäftlichen Mobilität. Vollständig freilich bildet keine das Dienstreisegeschehen ab. Insbesondere wird das größte Segment, Dienstreisen mit dem Geschäftswagen, seit vielen Jahren unterschlagen, was die jeweiligen Ergebnisse verfälscht. Denn drei Viertel aller Dienstreisen deutscher Firmen werden mit dem Firmenwagen absolviert. Und deren Betriebskosten tauchen in den Analysen nicht auf, wohingegen die Kosten für Flüge und Bahnreisen sehr wohl berücksichtigt werden. 

Insofern stimmt auch nicht, was die Analyse der über TripActions Liquid getätigten Spesenabrechnungen behauptet: Lagen im ersten Quartal 2021 Fluggesellschaften noch auf Platz 14 der wichtigsten Kategorien für Geschäftsausgaben, erobern sie im ersten Quartal 2022 wieder Rang 1 zurück. In Wahrheit sind nämlich Geschäftswagen die bedeutendste Kategorie für Dienstreiseausgaben. Unbestritten bleibt, dass allein von Januar 2022 bis Ende März 2022 die Ausgaben für Fluggesellschaften um satte 240 % gestiegen sind, und dass auch die Ausgaben für Hotels, Geschäftsessen und Geschäftsreisebüros deutlich zugenommen haben. 

Interessant ist ein Blick auf die Beschäftigungsbereiche: Nach wie vor die stärkste Reisetätigkeit weist der Vertrieb auf gefolgt von Ingenieuren und Operations. Die Abteilungen Betrieb, Personalwesen sowie Finanzen und Verwaltung, die während des Höhepunkts der Pandemie weiterhin (wenn auch reduziert) reisten, sind inzwischen wieder auf ihren Anteil vor der Pandemie zurückgefallen.

Die aktuelle VDR-Geschäftsreiseanalyse 2022 weist eine Zunahme der Ausgaben für Geschäftsreisen im Vergleich zum Vorjahr um 32 % auf. Nach den extremen Einschränkungen des ersten Pandemiejahres zeigt sich der Aufwärtstrend entsprechend auch bei der Anzahl der Geschäftsreisenden – immerhin 5,5 Mio. Business Traveller packten 2021 ihre Koffer. Das sind 67 % mehr als im Vorjahr, allerdings noch weit entfernt zu dem Höchstwert von 13 Mio. Dienstreisenden im Jahr 2019. Insgesamt gab es im vergangenen Jahr 41,4 Mio. Geschäftsreisen und somit einen Zuwachs von 26 %. Die VDR-Geschäftsreiseanalyse 2022 spiegelt damit das Reiseverhalten deutscher Unternehmen und Organisationen des öffentlichen Sektors im Jahr 2021 zumindest in Teilen wider. Denn nicht berücksichtigt sind in der Studie  die rund 100 Mio. Dienstreisen mit dem Geschäftswagen.

„Die Ergebnisse zeigen, die Nachfrage an Geschäftsreisen ist wieder gestiegen. Es gibt einen großen Nachholbedarf, Kundschaft, Kollegium sowie geschäftliche Kontakte persönlich zu treffen. Dieses ist auch in Zukunft wichtig und nicht immer durch Online-Formate ersetzbar. Die Analyse belegt zudem den Trend zu einer längeren Dauer der Geschäftsreisen, der sich bereits im letzten Jahr abzeichnete. Die Beliebtheit der Tagesreisen zu Vorkrisenzeiten ist rückläufig. Jetzt wird weniger gereist, dafür länger und gebündelter. So betrug die Durchschnittsdauer der Geschäftsreisen in allen Unternehmensgrößen in der Regel mindestens zwei Tage“, sagte VDR-Vizepräsidentin Inge Pirner.

Aufwärtstrend. Nach dem Absturz der Business-Reisen im Jahr 2020 von 195,4 Mio. auf 32,7 Mio. konnte 2021 immerhin ein Anstieg auf 41,4 Mio. Geschäftsreisen verzeichnet werden (Zuwachs ca. 26 %). Diese positive Tendenz war insbesondere für die deutschen Supplier wie z.B. Hotellerie, Gastronomie, Transportdienstleister sowie Reisebüros überlebenswichtig. Überdurchschnittlich trugen vorrangig die Unternehmen mit mehr als 500 Mitarbeitern zu dieser Erholung bei – mit einer Zunahme von 39 % an Geschäftsreisen. Komplett darauf verzichteten noch 15 % der Firmen. Im öffentlichen Sektor waren bereits wieder 88 % der Organisationen dienstlich unterwegs. Und auch im Jahr 2021 führte die Mehrheit aller Geschäftsreisen mit 80 % ins Inland. Viele davon aber mieden zwangsweise die Top-Länder USA und China. Die USA hatten sich stark abgeriegelt und noch viel schlimmer trieben es die Chinesen, die Geschäftsreisende, sofern die wenigen überhaupt ins Land durften, mit wahren Torturen überzogen. 

Trend zu längerer Reisedauer. Waren Kurztrips von einem Tag in der Vorkrisenzeit bei den Geschäftsreisenden sehr beliebt, so scheint sich im Jahr 2021 insbesondere im Mittelstand der Gegentrend zu etablieren. Da geschäftliche Termine seltener auswärts stattfinden, sind dafür eher längere Business-Trips geplant. Die Durchschnittsdauer der Geschäftsreisen stieg in allen Unternehmensgrößen an und betrug insgesamt 2,3 Tage. Bei über 1.500 Mitarbeitern dauerte jede fünfte Geschäftsreise sogar vier Tage und mehr. Tagesreisen ohne Übernachtung machten im Jahr 2021 die Hälfte aus – sowohl in der Privatwirtschaft als auch im öffentlichen Sektor.

Ganzheitliche Mobilität gewinnt an Bedeutung. Die Komplexität der Aufgaben von Geschäftsreiseverantwortlichen hat immer mehr zugenommen. Ausgaben-Effizienz, Digitalisierung, Sicherheitsfragen, Nachhaltigkeit sind nur einige der Themen. Vernetzende Spezialisten sind gefragter denn je. Die Mehrheit der Unternehmen bündeln daher bereits die zahlreichen Verantwortlichkeiten rund um die betriebliche Mobilität oder plant dieses in den nächsten ein bis zwei Jahren. Während das ganzheitliche Mobilitätsmanagement in kleineren Firmen mit 71 % im Verantwortungsbereich der Geschäftsführung liegt, wird dieses in größeren Unternehmen zusätzlich zur Geschäftsführung (57 %) öfter mit 51 % vom Travel- bzw. Mobilitätsmanagement abgedeckt. 

Nachhaltigkeit. Mit der voraussichtlichen Erweiterung der EU-Richtlinie „Corporate Sustainability Reporting Directive“ (CSRD) werden große und börsennotierte Unternehmen noch stärker als bisher in die Pflicht genommen, über nachhaltiges Handeln und Wirtschaften zu berichten. Dennoch zeigte die Analyse, dass ein Nachhaltigkeitsreporting bei immerhin noch 28 % der Unternehmen mit über 500 Mitarbeitern „kein Thema“ ist. Bei Kleineren ist dieser Anteil mit 41 % noch größer. Insgesamt zeigt die diesjährige Auswertung aber auch, dass die Anzahl der Firmen, die sich aktiv für mehr Nachhaltigkeit im Geschäftsreisebereich einsetzen, weiter steigt, wenn auch nicht im berauschenden Tempo. Nachhaltiges Planen wird in der Wirtschaft immer mehr zur Regel und somit ist auch bei den kleineren Firmen lediglich noch jede fünfte untätig. Der Einsatz von Maßnahmen für eine optimierte CO2-Bilanz verbesserte sich bei den größeren Firmen in den letzten zwei Jahren deutlich von 72 % auf aktuelle 89 % – nur noch 11 % setzten keinerlei Themen diesbezüglich um. Auch der öffentliche Sektor ist hier mit 80 % ähnlich aktiv. 

Dennoch bleibt eine Lücke zwischen Anspruch und Umsetzung der Aktivitäten zugunsten Umwelt und Klima. Nachdem sich das Engagement im Bereich Nachhaltigkeit von 2020 auf 2021 zwar gesteigert hatte, stagnierten 2022 einzelne Maßnahmen hierzu oder gingen sogar leicht zurück. Signifikante Anstiege sind bei Einsatz und Planung eines nachhaltigen Mobilitätsbudgets mit einem Zuwachs von 43 auf 66 % im Vergleich zu 2021 zu verzeichnen und auch nachhaltige Mitarbeiterangebote wie etwa das JobRad oder das JobTicket für Pendler fördern oder planen bereits drei Viertel aller Unternehmen (2021: 67 %). 

Die Anzahl von Geschäftsreisen wird aktuell oder künftig in 83 % aller Firmen reduziert. Zudem hat sich der Wechsel vom Flugzeug zum Zug innerdeutsch mittlerweile durchgesetzt. Auch wenn der Wert 2021 noch etwas höher war, sind immer noch 62 % der befragten Unternehmen auf Fahrten mit der Bahn umgestiegen und mit 14 % planen es in etwa gleich viele in Zukunft. Auf CO2-Kompensation setzen 45 % der Befragten und 30 % haben es ins Auge gefasst.

Digitalisierung der Arbeitswelten. Digitalisierung in Kommunikation und Zusammenarbeit wurde pandemiebedingt in 82 % der Firmen beschleunigt. Zudem sagen ebenfalls 82 %, dass weiterhin neue flexible Arbeitszeitmodelle umgesetzt werden sollen, sofern die Tätigkeit online von einem anderen Ort als dem Firmensitz erledigt werden kann. Hybride Arbeitsmodelle sind zukünftig nicht mehr wegzudenken und bringen nicht nur der Umwelt einen Nutzen durch weniger Verkehr, sondern können auch durch mehr Flexibilität in der Gestaltung des Arbeitstages für eine bessere Work-Life-Balance sorgen. Sofern die ArbeitnehmerInnen nicht unbedingt an den Firmenstandort und Präsenzzeit gebunden sind, setzen sich „mobiles Arbeiten“ und „remote work“-Modelle ebenfalls immer stärker durch. Daher wird die Arbeit vom Wunschort aus mit Einschränkungen von 54 % der Firmen gestattet und jede vierte Firma will ihren Angestellten die uneingeschränkte Wahl des Arbeitsortes weltweit ermöglichen.

Thema TMC. Gemäß der Studie hat sich die Zusammenarbeit mit TMCs vor allem in größeren Unternehmen auf hohem Niveau gefestigt. So werden 82 Prozent von TMCs unterstützt. Insgesamt werden Beratungsfunktion und Information rund um einen Business Trip immer umfangreicher. So rechnet beispielsweise jeder Klimarechner zur Ermittlung des CO2-Fußabdrucks bislang anders. Quelle: DMM / VDR