Heikler Überstundenabbau

Viele Arbeitnehmer arbeiten tagtäglich länger, als sie müssten, das gilt auch für nicht wenige Geschäftsreisende, ob im In- oder Ausland. Die geleisteten Überstunden werden zumeist nicht sofort vergütet, sondern auf einem Arbeitszeitkonto angesammelt. Will der Beschäftigte in der Folgezeit einmal freihaben, muss er nicht seinen Urlaub aufbrauchen, sondern er kann bei seinem Chef Freizeitausgleich beantragen und die Überstunden wieder abbauen. In diesem Zusammenhang stellt sich die Frage, ob ein Arbeitgeber seinen Noch-Angestellten nach Ausspruch einer Kündigung unter Anrechnung der Überstundenansammlung freistellen darf – auch wenn dieser arbeitsunfähig erkrankt ist.

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Ein Angestellter wurde nach einer Kündigung am 10.09.2014 von der Arbeit freigestellt. Er erhielt in dieser Zeit zwar noch seine Vergütung, allerdings zog der Arbeitgeber für die Zeit der Freistellung Guthabenstunden von dem Arbeitszeitkonto des Beschäftigten ab, das zur Zeit der Kündigung noch 472 Plusstunden aufwies. Am 04.12.2014 nahm der Arbeitgeber die Kündigung zurück und forderte den Angestellten zur Wiederaufnahme seiner Tätigkeit auf. Kurz darauf verlangte dieser den Ausgleich seines Arbeitszeitkontos. Schließlich sei er vom 13.11.2014 bis zum 05.12.2015 arbeitsunfähig erkrankt gewesen. In dieser Zeit sei es unzulässig gewesen, Plusstunden abzubauen – die Situation sei vergleichbar mit einer Erkrankung während des Urlaubs, bei dem die Krankheitstage nach § 9 Bundesurlaubsgesetz (BUrlG) nicht vom Jahresurlaub abgezogen werden dürfen. Zumindest sei eine vertragliche Vereinbarung nötig, die hier jedoch fehle.

Als der Arbeitgeber einen Kontoausgleich verweigerte, zog der Industriemechaniker vor Gericht. Nach Ansicht des Landesarbeitsgerichts (LAG) Mainz hatte der Beschäftigte keinen Anspruch auf Ausgleich des Arbeitszeitkontos bzw. eine erneute Gutschrift der bereits abgezogenen 66,75 Plusstunden.

Überstunden: Vergütung oder Freizeitausgleich? Grundsätzlich gilt, dass geleistete Überstunden gesondert zu vergüten sind. Alternativ können die Arbeitsvertragsparteien aber auch vereinbaren, dass dem Beschäftigten ein bezahlter Freizeitausgleich zustehen soll. Dann muss allerdings – wie vorliegend – ein Arbeitszeitkonto geführt werden. Hierbei ist jedoch zu beachten, dass der Arbeitgeber den Freizeitausgleich aufgrund des ihm zustehenden Weisungsrechts nach § 106 Satz 1 Gewerbeordnung (GewO) einseitig festlegen darf. Das bedeutet, er kann bestimmen, wann der Beschäftigte arbeiten soll und wann nicht. Einer besonderen Vereinbarung mit dem Angestellten bedarf es – entgegen der Ansicht des Angestellten – nicht.

Chef darf Freizeitausgleich anordnen. Vorliegend war das Interesse des Arbeitgebers, die angehäuften Plusstunden zumindest teilweise mit der Freistellung abzubauen, durchaus nachvollziehbar. Ohne Freistellung unter Anrechnung von Überstunden hätte er nämlich deutlich „draufgezahlt“ – schließlich hätte der Arbeitnehmer in diesem Fall sowohl den „normalen“ Lohn als auch die Vergütung von 427 Überstunden verlangen können. Die Anordnung des Freizeitausgleichs war vorliegend auch nicht unbillig.

Während der Freistellung erhielt der Angestellte weiterhin die vereinbarte Vergütung und konnte seine Freizeit nach Belieben gestalten, ohne noch zur Arbeitsleistung verpflichtet zu sein. Dafür hatte er in der Vergangenheit schließlich Mehrarbeit geleistet, ohne zusätzlich Gehalt zu bekommen. Allerdings trägt er auch das Risiko, wenn seine Freizeitplanung z. B. von einer Krankheit durchkreuzt wird.

Krankheit hat keinen Einfluss auf Überstundenabbau. Das Gericht wies darauf hin, dass eine bezahlte Freistellung unter Anrechnung von Plusstunden nicht vergleichbar mit Urlaub ist. § 9 BUrlG, der eindeutig regelt, dass Krankheitstage nicht vom Jahresurlaub abgezogen werden dürfen, ist beim Freizeitausgleich daher nicht anwendbar. Während nämlich Urlaub der Erholung dienen soll, darf der Beschäftigte beim Freizeitausgleich nur deshalb bezahlt ein paar Tage zu Hause bleiben, weil er diese Zeit bereits „reingearbeitet“ hat. Mit dem Freizeitausgleich wird also nur die vertraglich vereinbarte Arbeitszeit eingehalten – damit soll dem Angestellten weder Erholung noch Entspannung ermöglicht werden.

Es ist also „persönliches Pech“, wenn der Angestellte – wie im vorliegenden Fall – während des Freizeitausgleichs krank wird.

Krankheit war nicht Ursache für Freistellung. Auch ein Verstoß gegen das Entgeltfortzahlungsgesetz (EFZG) war vorliegend nicht ersichtlich. Nach § 3 I EFZG darf ein Beschäftigter bei unverschuldeter Erkrankung die vereinbarte Vergütung verlangen, obwohl er nicht arbeiten kann. Diese Vorschrift stellt somit eine Ausnahme von dem Grundsatz „Ohne Arbeit kein Lohn“ dar. Allerdings muss die Arbeitsunfähigkeit alleinige Ursache dafür sein, dass der Beschäftigte nicht arbeitet. Zur Zeit seiner Erkrankung war der Arbeitnehmer aber bereits seit ca. zwei Monaten wegen einer Kündigung bezahlt von der Arbeit freigestellt worden. Alleiniger Grund für den Arbeitsausfall war damit nicht die Erkrankung, sondern die Freistellung. Eine Anwendung des § 3 I EFZG kam daher nicht in Betracht.

Fazit: Wird ein Arbeitszeitkonto geführt, wird der Arbeitgeber seinen Noch-Angestellten nach einer Kündigung regelmäßig bezahlt freistellen, um die Plusstunden abzubauen und eine (übermäßige) Überstundenvergütung zu vermeiden. Dieses Vorgehen ist selbst dann zulässig, wenn der Beschäftigte während der Freistellung krank wird. LAG Mainz, Urteil v. 19.11.2015, Az.: 5 Sa 342/15.  Quelle: <link http: www.anwalt.de>www.anwalt.de - Jur. Red. Sandra Voigt