Jesus hätte eine Bahncard gehabt

Während die Umwelt-Enzyklika von Papst Franziskus in der weltweiten Umweltszene ein großes Echo hervorgerufen hat, fielen die Reaktionen aus dem Verkehrssektor seit dem Erscheinen der streitbaren Schrift im Juni sehr verhalten aus.

Nach Ansicht des Verkehrsbündnisses Allianz pro Schiene hat der Heilige Vater in seiner Lehrschrift "Laudato si" den Finger in "eine ganz große Wunde gelegt, als er alle Treibstoff-getriebenen Transportsysteme (Benzin und Diesel sind gemeint) als Teil eines globalen Verblendungszusammenhangs beschrieben hat." Der Geschäftsführer der Allianz pro Schiene, Dirk Flege, verwies jetzt in Berlin auf die aktuellsten Klimadaten des Bundesumweltministeriums: "Alle Sektoren – die Industrie, die privaten Haushalte, die Energieerzeuger - konnten seit 1990 ihre Klima-schädlichen Emissionen senken. Nur der Verkehrssektor zeigt als Klimasünder Nummer eins keinerlei Einkehr."

Flege erinnerte daran, dass der Papst nach seiner Wahl zum Oberhaupt der katholischen Kirche im März 2013 nicht in die wartende Mercedes-Limousine gestiegen sei, sondern gemeinsam mit den Kardinälen den Bus genommen habe. "Wenn Franziskus in seiner Umwelt-Enzyklika dem öffentlichen Verkehr den Vorrang einräumt und die Politik zum Ausbau umwelt- und sozialverträglicher Verkehrsnetze auffordert, dann spricht da keiner, der Wasser predigt und permanent Wein trinkt", sagte Flege. Das auffällige Schweigen der Verkehrsbranche zur engagierten Denkschrift des obersten Katholiken verrate vor allem eine Strategie des "Weiter so", die der Papst auch weitsichtig analysiert habe, sagte Flege. So sei etwa Abschnitt 26 der Papst-Schrift ein Plädoyer für eine Energiewende, der dringend auch eine Verkehrswende zu folgen habe. Wörtlich schreibt der Papst: "Viele von denen, die mehr Ressourcen und ökonomische oder politische Macht besitzen, scheinen sich vor allem darauf zu konzentrieren, die Probleme zu verschleiern oder ihre Symptome zu verbergen, und sie versuchen nur, einige negative Auswirkungen des Klimawandels zu reduzieren. (…)Trotzdem sind in einigen Ländern Fortschritte erzielt worden, die beginnen, von Bedeutung zu sein, auch wenn sie weit davon entfernt sind, eine beachtliche Proportion zu erreichen. Es gab auch einige Investitionen in Produktionsweisen und Transportarten, die weniger Energie verbrauchen und geringere Mengen an Rohstoff erfordern."

In Abschnitt 153 fordert der Papst dann explizit den Vorrang des öffentlichen Verkehrs und dessen Ausbau: "Die Lebensqualität in den Städten hat viel mit den Verkehrsverhältnissen zu tun, die oft Grund für große Leiden der Bewohner sind. In den Städten fahren viele Autos umher mit nur einem oder zwei Insassen. Dadurch wird der Verkehrsfluss erschwert, der Grad der Verschmutzung ist hoch, es werden enorme Mengen von nicht erneuerbarer Energie verbraucht, und es wird notwendig, weitere Autobahnen und Parkplätze zu bauen, die das städtische Gefüge beeinträchtigen. Viele Fachleute stimmen darin überein, dass man den öffentlichen Verkehrsmitteln den Vorrang geben muss."

Dass Jesus und seine Jünger in der heutigen Zeit die Bahncard gehabt hätten, glaubt auch Gisela Sauter-Ackermann, Bundesreferentin bei der Konferenz für kirchliche Bahnhofsmission in Deutschland. "Die Botschaft des Papstes gibt unserer Arbeit enormen Auftrieb", sagte Sauter-Ackermann. "Die Ego-fixierte Denkweise der letzten hundert Jahre hat die Menschheit bis knapp vor den Abgrund gebracht. Nun müssen wir gemeinsam und global umsteuern. Eine Abkehr vom Individualverkehr und eine Hinwendung zu einem umweltfreundlichen und möglichst allen zugänglichen System, wie es die Eisenbahn ist, könnte einen neuen Gemeinsinn für eine mobile Menschheit stiften", sagte Sauter-Ackermann. Es sei großartig, dass der Papst alle Menschen, Christen und Nichtchristen, zu einem neuen Dialog aufruft. Daran sollten sich auch die für den Verkehr zuständigen gesellschaftlichen Akteure beteiligen. Vielleicht führt dieser Vorstoß dazu, dass die UN-Klimakonferenz im November in Paris neue Wege beschreitet – endlich auch beim Thema Verkehr. Quelle: Allianz pro Schiene / Bahnhofsmission / DMM