Klimatische Änderungen nicht umkehrbar

Die globalen Anstrengungen gegen den Klimawandel haben zwar endlich ein wenig an Fahrt aufgenommen, sind aber immer noch unzureichend. Das belegt nicht zuletzt der 6. Sachstandsbericht des Weltklimarates IPCC, der letztes und dieses Jahr in mehreren Teilen erschienen ist. Einen wichtigen Punkt hieraus, der medial wenig Aufmerksamkeit erhalten hat, hat ein Forschungsteam aus Südkorea und den USA in einer Studie im Fachblatt Nature Climate Change deutlich herausgearbeitet: Viele klimatische Änderungen sind nicht reversibel.

Das heißt: Selbst wenn wir die Treibhausgas-Emissionen wie geplant bis Mitte des Jahrhunderts auf Null senken und es sogar schaffen, irgendwann danach negative Emissionen zu erreichen und die Treibhausgas-Konzentration wieder auf ein früheres, niedriges Niveau zu senken, wird die Natur nicht in den Zustand aus dieser früheren Zeit zurückkehren.

Denn die Klimaerwärmung setzt zahlreiche Prozesse in Gang, die dem physikalischen Prozess der Hysterese entsprechen und die nicht einfach umkehrbar sind. Das einfachste Beispiel für eine solche Hysterese ist ein Stück Eisen, das sich durch Anlegen eines äußeren Magnetfeldes magnetisieren lässt. Schaltet man das äußere Feld wieder ab, bleibt das Eisen magnetisch und kehrt nicht in seinen Ausgangszustand zurück.
Das Forscherteam hat nun mehrere Prozesse identifizieren und quantifizieren können, bei denen das globale Klimasystem ebenfalls solche komplexen Abhängigkeiten von seiner Vorgeschichte aufweist. Hierzu haben sie zunächst ein detailliertes Computermodell der Erdatmosphäre entwickelt, bei dem der Kohlendioxidgehalt schrittweise über Jahrzehnte auf das Vierfache des Wertes von 1999 ansteigt und anschließend langsam wieder absinkt. Dann haben sie mit dieser Simulation eine Reihe wichtiger klimatischer Prozesse untersucht, die auf steigende und sinkende Treibhausgas-Konzentrationen in unterschiedlicher Weise reagieren.

Dazu gehörten Meeresströmungen in den Ozeanen sowie die großen Zirkumpolarströmungen. Außerdem untersuchten die Forscher den Einfluss steigender Temperaturen auf die Eisbedeckung der Erde, vor allem die mächtigen Eisschilde in der Antarktis und auf Grönland, aber auch das arktische und antarktische Meereis sowie die Gletscher der Hochgebirge.

Ein bereits gut bekanntes irreversibles Klimaphänomen ist das Abschmelzen des Eisschildes auf Grönland, des zweitgrößten nach demjenigen in der Antarktis. In den letzten Eiszeiten ist diese Eiskappe im Zentrum auf bis zu über drei Kilometer Höhe angewachsen. Wenn dieses Eis durch den Klimawandel abtaut und an Höhe verliert, gerät seine Oberfläche in immer tiefere und wärmere Lagen, so dass das Eis noch schneller schmilzt. Auch starker Schneefall kann diese Verluste dann nicht mehr ausgleichen.

Irgendwann ist die braune Erde erreicht, die das Sonnenlicht nicht wie das Eis zurück ins Weltall reflektiert, sondern sich weiter erwärmt. Auch die Rückkehr zu niedrigen Treibhausgas-Konzentrationen würde den Eisschild dann nicht mehr wachsen lassen. Dafür bräuchte es eben eine neue Eiszeit - ein typischer Hysterese-Effekt.

In den Simulationen der Wissenschaftler zeigten sich solche Effekte über Jahrhunderte, und zwar auch dann, wenn die Treibhausgas-Konzentrationen schon lange wieder auf das Anfangsniveau gesunken waren. Auf insgesamt 89 Prozent der Erdoberfläche änderten sich die Temperaturen und auf 58 Prozent die Niederschlagsmuster irreversibel. Dabei waren allerdings nicht alle Weltregionen gleichermaßen betroffen.
Da die Hysterese-Effekte stark mit dem Einfluss des Wasserhaushalts und mit der Eisbedeckung zusammenhängen, sind die irreversiblen Auswirkungen am stärksten auf den Ozeanen, in der Arktis und Antarktis sowie in niederschlagsreichen Regionen. In Regionen mit stark kontinentalem Klima wie Nordamerika, Sibirien und Zentralasien sowie in ausgedehnten Wüstengebieten wie in der Sahara oder in Australien sind die Hysterese-Effekte geringer.

Das bedeutet wohlgemerkt nicht, dass der Klimawandel in diesen Regionen keinen großen Schaden anrichten kann. Aber es bedeutet, dass das Klima dort einfacher wieder zu früheren Bedingungen zurückkehren kann, wenn die Treibhausgas-Konzentrationen wieder sinken. Im globalen Mittel würden sich nach dieser Simulation die Temperaturen ungefähr ein Grad über dem Stand von 1999 einpendeln.

Der Niederschlag wäre ebenfalls spürbar gestiegen, mit entsprechend erhöhter Gefahr für Starkregen und Überschwemmungen. Auch der artenreiche tropische Regenwald kann von veränderten Niederschlagsmustern stark betroffen sein. Und gerade in einigen weniger entwickelten Weltregionen wie der Sahelzone, in Südamerika und in Südasien dürften die irreversiblen Effekte über Jahrhunderte erhalten bleiben.

Wie diese Analyse zeigt, ist es deshalb von höchster Wichtigkeit, einer weiteren Erhöhung der Treibhausgas-Konzentration in der Atmosphäre frühzeitig entgegenzuwirken. Die Vorstellung, es werde sich schon alles von selbst wieder einpendeln, wenn wir heute weiterhin Treibhausgase ausstoßen und irgendwann in der Zukunft diese Substanzen durch Aufforstung oder Sequestrationsverfahren wieder aus der Luft holen, ist demnach primitiv.

In vielen Bereichen der Natur - und insbesondere auch beim eng mit dem Klimawandel verknüpften Artenschutz - spielen irreversible Prozesse eine entscheidende Rolle. Es ist ein wichtiges Verdienst der neuen Studie, diese Effekte beim Klimawandel eindeutig belegt zu haben.
Dabei erweisen sich die bisherigen Bemühungen der globalen Politik und Wirtschaft als völlig unzureichend: Nach einer anderen Studie, die das Carbon Disclosure Project vorgelegt hat, werden die G7-Länder ihre selbst gesteckten Klimaziele massiv verfehlen und anstelle der in Paris vereinbarten 1,5 Grad auf eine Klimaerwärmung von 2,7 Grad zusteuern.

Um jedes Zehntelgrad kämpfen. Das ist ein katastrophales Szenario, das um jeden Preis vermieden werden sollte. Und wenn schon die Industrieländer mit ihrem hohen Pro-Kopf-Ausstoß an Treibhausgasen derart scheitern: Woran sollen sich dann erst die Entwicklungsländer orientieren, die ihrer wachsenden Bevölkerung ein Minimum an Wohlstand versprechen müssen? Und wer soll all die notwendigen neuen klimafreundlichen Technologien entwickeln und auf den Weltmarkt bringen, wenn nicht die forschungsstarken Industrieländer?

Wer die Art und Weise, wie manche Klimaaktivisten protestieren, für infantil oder sogar kontraproduktiv hält, sollte bedenken, dass nach der Studienlage definitiv ein viel massiverer öffentlicher Umschwung erforderlich wäre, als ihn die bisherige internationale Klima-, Handels- und Investitionspolitik bislang erzielt hat. Anstatt sich gegenseitig zu loben, wie es die Diplomatinnen und Diplomaten bei den Abschlusskundgebungen der großen Klimakonferenzen zu tun pflegen, müssten sie nach all den vergeudeten Jahren eigentlich viel härter mit sich und den anderen ins Gericht gehen. Wie der 6. IPCC-Report klar und eindeutig darlegt, lohnt es sich, um jedes Zehntelgrad weniger Erwärmung zu kämpfen. Wir wissen es heute mit Sicherheit: Unsere Nachkommen werden uns noch in Jahrhunderten dafür dankbar sein. Quelle: golem / IPCC / DMM