Modernisierungsprogramm = Abrissprogramm

Die Deutsche Bahn setzt 2019 das größte Modernisierungsprogramm der Bahngeschichte fort. 10,7 Mrd. Euro fließen in die Schieneninfrastruktur und Bahnhöfe. Gleichzeitig geht das Abriss- und Rückbauprogramm munter weiter.

In den zurück liegenden Jahrzehnten hat die frühere Deutsche Bundesbahn und heutige Deutsche Bahn ihre Infrastruktur mit Ausnahme von Neubaustrecken in Teilen katastrophale. Verfallen lassen. Ein Blick auf dem Fenster in Fernzügen auf den Bestandsstrecken zeigt den beschämenden Zustand unzähliger Bahnhöfe und Gleisanlagen, überwuchert von Unkraut, Sträuchern und Bäumen, verfallene Bahnhofsgebäude und zig Tausende abgebaute Strecken. Schuld daran haben nicht nur unfähige Manager vom Schlage Mehdorn, sondern auch die Politik, die nahezu ausnahmslos auf den Straßenausbau und eine katastrophale Entwicklung im Straßengüterverkehr gesetzt haben.

Und nun tönt Ronald Pofalla, bekannt durch sein unflätiges Benehmen schon zu Zeiten als Politiker und heute Infrastrukturvorstand der Deutschen Bahn AG.: „Wir sind auf dem richtigen Weg. Die Investitionen in das Eisenbahnnetz zeigen Wirkung. Seit 2010 haben wir 16.000 km der Gleise und somit fast die Hälfte des Streckennetzes saniert.“ Auch der Zustand von Anlagen und Brücken habe sich verbessert. 2019 werden rund 1.500 km Gleis, über 300 Brücken und rund 650 Bahnhöfe saniert. Was Pofalla verschweigt: Entgegen der großspurigen Ankündigungen hat das Abrissprogramm der Infrastruktur noch kein Ende gefunden. Bahnsteige werden durch den Konzern gekürzt oder zurückgebaut, Abstellgleise für Reserven entfernt, Züge bei Verbot der Ersatzteilentnahme verschrottet und Anschlussweichen ausgebaut. Der Fahrgastverband PRO BAHN fordert die sofortige Abkehr von dieser Praxis.

Immer mehr Personen- und Güterzüge fahren auf dem Netz, seit 1994 verzeichnet die DB einen Anstieg um über 50 %, heißt es in der Bahnmitteilung. Zur Erinnerung: In den 1960er bis 1980er Jahren fuhren dreimal so viele Güterzüge wie heute und auch mehr Fernzüge als heute, und das zuverlässig bei Wind und Wetter.

„Wir sagen dem Stau auf der Schiene den Kampf an. An den neuralgischen Punkten steuern wir aktiv gegen den Rückstau, der sich auf das gesamte Netz auswirkt. Dabei setzen wir auf ein intensives Engpassmanagement in vier Plankorridoren“, sagt Ronald Pofalla. Die seit 2016 erfolgreichen PlanStart-Teams an den zentralen Eisenbahnknoten werden nahezu verdoppelt und sorgen an rund 20 Bahnhöfen für pünktliche Züge. Das klingt alles gut und schön; aber wenn man vorher Tausende wichtige Weichenverbindungen abbaut, Gleise zum Überholen abbaut, dann lässt sich kaum realisieren, dass der Bahnverkehr pünktlicher wird, so Experten. Bislang hat die DB die planmäßige Abfahrt der Fernverkehrszüge um 21 % verbessert.

Um mehr Kapazität im deutschen Schienennetz zu schaffen, setzt die DB auf die Digitalisierung der Schiene. Sie rechnet bundesweit mit einem Kapazitätszuwachs von bis zu 20 %. Zusätzlich will die DB das radikal zusammengestrichene Schienennetz wieder etwas auf- und ausbauen. 50 Neu- und Ausbauprojekte befinden sich 2019 in Planung und im Bau.

Wirft man einen Blick hinter die Kulissen, so zeigt sich: Bestenfalls das Fahren auf Verschleiß findet ein Ende. Der Abbau bei Infrastruktur und Betriebsmaterial geht aber munter weiter, kritisiert Lukas Iffländer, stv. Bundesvorsitzender des Fahrgastverbands PRO BAHN. Ganz konkret zeigt sich dies in Rastatt, das durch den nahegelegenen Tunnel unfreiwillig berühmt wurde. Hatte man während der Havarie noch dankbar die langen Bahnsteige des Rastatter Bahnhofs genutzt, um Fernzüge enden zu lassen, so ist nun geplant, die Bahnsteige einzukürzen. Lange ICEs werden dort auch im Störungsfall nicht mehr halten können. „Bei einer so kurzsichtigen Aufgabe von Kapazitäten für Störungsfälle fehlen einem die Worte“, so Lukas Iffländer. Tatsächlich zeigt sich: Bei den meisten Bahnhofsmodernisierungen werden die Bahnsteige auf das im Regelbetrieb notwendige Minimalmaß gekürzt. Abstell- und Ausweichgleise, die nicht täglich gebraucht werden, werden entfernt.

Bei den Fahrzeugen wirft man sich sogar innerhalb des DB Konzerns die Knüppel zwischen die Beine. Während DB Netz zwei Diesel ICEs der Baureihe 605 erworben hat, um mit diesen Testfahrten für moderne Technologien durchzuführen, arbeitet man bei DB Fernverkehr daran, dass die anderen 17 ICE-D nicht mehr lange fahren, weil die Ersatzteile ausgehen. Die restliche Flotte ist zur Verschrottung ausgeschrieben, eine Ersatzteilentnahme ist dabei unter Aufsicht von DB Fernverkehr verboten. „Die DB spricht immer von den Synergien des integrierten Konzerns. Hier kann man wohl eher vom Gegenteil sprechen“, ärgert sich Karl-Peter Naumann, Ehrenvorsitzender des Fahrgastverbands PRO BAHN.

Beispiele wie diese lassen sich zahllos finden. Ein Weiteres sind Anschlussweichen für Industrieunternehmen, die, noch während DB Cargo über Neuverträge verhandelte, durch DB Netz ausgebaut wurden. Für den Fahrgastverband ist klar, dass hier nicht miteinander, sondern gegeneinander gearbeitet wird. „Nicht das Gesamtsystem Eisenbahn wird betrachtet, sondern jeder Bereich sucht für sich das vermeintliche Optimum“, ist für Iffländer klar. „Wenn das System Eisenbahn in Zukunft mehr Marktanteil erreichen soll, muss das aufhören und das große Ganze wieder im Vordergrund stehen“, fordert Naumann. Quelle: DB / PRO BAHN / DMM