Nächster Akt im Diesel-Drama

Die Autohersteller müssen um die Zukunft des Dieselmotors bangen. Denn wie am Donnerstag, 30. April 2020 bekannt wurde, sind Fahrzeuge mit Selbstzünderaggregaten ins Visier des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) geraten. Speziell geht es um die Abschalteinrichtungen und ob Thermofenster legal sind oder nicht. EuGH-Generalanwältin Eleanor Sharpston erklärte in ihrem Gutachten, das am Donnerstag veröffentlicht wurde, dass derlei Techniken, insbesondere aber Thermofenster, bei der Abgasreinigung unzulässig sind. (Az: C-693/18).

Das sogenannte Thermofenster ist eine in Dieselfahrzeugen verbaute Technik, die anhand der Außentemperatur die Abgasreinigung beeinflusst. So ist z.B. technisch geregelt, dass bei einigen Dieselfahrzeugen die Abgasreinigung nur bei Temperaturen zwischen 20 und 30 °C ohne Einschränkung arbeitet. Außerhalb dieses Temperaturfensters wird die Abgasreinigung gemindert oder sogar ganz abgeschaltet. Auf den Prüfständen blieb diese Abschalteinrichtung zunächst unentdeckt, da in Prüfsituationen bislang Temperaturen um die 25 °C vorgeschrieben waren.

In Deutschland liegt die Durchschnittstemperatur lediglich an drei Monaten im Jahr über 15 °C. Diesel-Autos mit einem derart eingerichteten Thermofenster halten sich also im Durchschnitt nur drei Monate im Jahr an die Stickoxid-Grenzwerte. Die restlichen neun Monate werden vermehrt schädliche Stickoxide teilweise ungefiltert in die Luft gepustet.

In dem Gutachten der EuGH-Generalanwältin heißt es, Abschalteinrichtungen könnten ausnahmsweise nur dann genehmigt werden, wenn „die Einrichtung notwendig ist, um den Motor vor Beschädigung oder Unfall zu schützen und um den sicheren Betrieb des Fahrzeugs zu gewährleisten. Hingegen rechtfertige das Ziel, den Verschleiß oder die Verschmutzung des Motors zu verzögern, nach Meinung von Sharpstone nicht den Einsatz einer Abschalteinrichtung, meldet das Handelsblatt unter Berufung auf das am Donnerstag, 30. April 2020, veröffentlichte Dossier. Laut Generalanwältin ist es Sache der nationalen Gerichte, im Einzelnen festzustellen, ob die fragliche Vorrichtung unter eine Ausnahme falle.

Das Problem: Die deutschen Autobauer betrachten Thermofenster als zulässige Ausnahme, die dem Schutz der Motoren in bestimmten Nutzungssituationen dienen. Experten des KBA und der nach dem Dieselskandal eingesetzten Untersuchungskommission zufolge wird die gesetzlich mögliche Ausnahme von der Abgasreinigung von allen deutschen Herstellern exzessiv genutzt. Wie alle Medien weltweit bericheten, hatten insbesondere der Volkswagenkonzern und Mercedes in ihre Dieselfahrzeuge eine Software eingebaut, die dafür sorgt, dass die Wagen die Abgasgrenzwerte nur auf dem Prüfstand einhalten. Auf der Straße stoßen sie hingegen ein Vielfaches mehr giftiges Stickoxid aus. Dafür mussten beide Konzerne finanziell stark bluten.

Es ist davon auszugehen, dass der Europäische Gerichtshof sich dem Gutachten anschließen wird. Das dürfte eine neuerliche Klagewelle von Dieselkunden nach sich ziehen, zitiert das Handelsblatt eine namhafte Anwaltskanzlei. Nach Meinung von Verbraucheranwälten stuft Sharpstone auch die „Thermofenster“ als illegal ein. Allein in Deutschland sind mehrere Millionen Fahrzeuge mit „Thermofenstern“ oder anderen Abschalteinrichtungen zugelassen.

Für den Volkswagenkonzern ist aber noch eine andere Nachricht beunruhigend: Denn nch Recherchen des SWR hat das Auto-Imperium nicht nur beim bekannten Skandalmotor EA189 auf Abschalteinrichtungen gesetzt; nach Meinung von führenden Experten ist die sogenannte „Zykluserkennung“, die laut vertraulichen Dokumenten des VW-Konzerns bei Modellen mit dem Motor EA288 eingesetzt wird, eine unzulässige Abschalteinrichtung. Damit erkennt das Fahrzeug genau, ob es sich bei einem Abgastest befindet und reguliert die Einspritzmenge der Abgasreinigung mittels AdBlue. Im Testbetrieb wird dabei mehr AdBlue verwendet als im normalen Straßengebrauch, das Fahrzeug erscheint also sauberer, als es eigentlich ist. Erste Gerichtsverfahren zum Euro-6-Motor mit der Bezeichnung EA288 laufen bereits vor mehreren deutschen Gerichten. Quelle: EuGH / Handelsblatt / DMM