Nationale Tourismusstrategie auf dem Weg

Leisure- und geschäftlicher Tourismus ist für Deutschland ein wichtiger Wirtschaftsfaktor - sein Potential ist aber noch lange nicht ausgeschöpft. Deshalb hat die Bundesregierung im Koalitionsvertrag vereinbart, eine nationale Tourismusstrategie zu erarbeiten. Deren Eckpunkte hatte das Kabinett im April 2019 beschlossen. Letzte Woche debattierten die Fraktionen im Bundestag über das Konzept der Bundesregierung für eine nationale Tourismusstrategie ziemlich kontrovers.

Die touristische Nachfrage – leisure wie geschäftlich – sorgt für fast 3 Mio. Arbeitsplätze - was einem Anteil von 6,8 % an der inländischen Gesamtbeschäftigung entspricht. Die Bruttowertschöpfung liegt bei über 105 Mrd. Euro und damit 3,9 % der gesamten Bruttowertschöpfung in Deutschland. Die nationale Tourismusstrategie soll dazu beitragen, dass die Entwicklungschancen der Branche noch stärker genutzt werden - und zwar im Einklang mit den drei Dimensionen der Nachhaltigkeit: Wirtschaftliche Leistungsfähigkeit, soziale Verträglichkeit und ökologische Verantwortung.

Aus dem Koalitionsvertrag: "Wir vereinbaren unter Beachtung der föderalen Grundsätze der Tourismuspolitik (gemeinsam mit den Ländern) und der Kompetenzen des Bundes für die Tourismuswirtschaft einen ganzheitlichen wirtschaftspolitischen Ansatz in Form einer nationalen Tourismusstrategie."

In der Debatte der Fraktionen am 08.11.2019 geißelten Redner der Opposition den Entwurf der Bundesregierung für eine nationale Tourismusstrategie als ambitionslos und verlangten andere Akzentsetzungen. Koalitionsvertreter hingegen sprachen von einem einzigartigen Projekt und einem „guten Tag für den Tourismus“. Mit den Stimmen der Koalition gegen Grüne, Linke, Liberale und AfD stimmte das Parlament einem gemeinsamen 48-Punkte-Antrag von CDU/CSU und SPD mit dem Titel „Mit nationaler Tourismusstrategie den Standort Deutschland weiter stärken“ (19/11088) zu. Keine Mehrheit fand ein Gegenantrag von Bündnis 90/Die Grünen mit dem Titel „Nationale Tourismusstrategie fair, sozial, ökologisch und klimafreundliche gestalten“ (19/11152). Nur Die Linke unterstützte noch den Antrag der Grünen, die übrigen Fraktionen votierten dagegen. Der Entscheidung lag eine Beschlussempfehlung des Ausschusses für Tourismus (19/14163) zugrunde.

Regierung: Ein einmaliges Projekt. Der zuständige Parlamentarische Staatssekretär im Wirtschaftsministerium Thomas Bareiß (CDU) würdigte einleitend das Vorhaben der Regierung als „einmaliges Projekt“. Vergleichbare Konzepte zur Tourismusförderung seien bisher nur auf regionaler, nie auf nationaler Ebene entwickelt worden. Reisen sei ein Freiheitsrecht, das zu schützen und auch weniger Wohlhabenden zu ermöglichen sei. Bareiß wies auf die beschlossene Einführung des digitalen Hotelmeldescheins hin, die dem Beherbergungsgewerbe jährliche Kosten von 100 Millionen Euro erspare. Das Anliegen der nationalen Tourismusstrategie beschrieb er mit dem Satz: „Was können die Politik und die Branche gemeinsam tun, dass die erfolgreiche Wertschöpfung steigt?“

AfD kritisiert „Schneckentempo“ der Regierung. Für die AfD hielt der Vorsitzende des Tourismusausschusses Sebastian Münzenmaier Regierung und Antragstellern vor, wieder einmal nicht über das zu reden, was die Menschen wirklich bewege. Das sei die Frage, wie die Geschädigten der Thomas-Cook-Pleite ihr Geld zurückbekommen können. Statt dessen leiste sich der Bundestag eine Debatte über eine „unfertige nationale Tourismusstrategie“. Hier werde deutlich, „wie wenig wir die Sorgen unserer Menschen ernst nehmen“. Den Regierungsfraktionen hielt Münzenmaier entgegen: „Diese Ignoranz ist genau der Grund, warum Ihnen bei Wahlen die Menschen weglaufen.“ Er geißelte zudem das „Schneckentempo“ der Regierung. Sie habe fünf Monate gebraucht, um das Vorhaben einer nationalen Tourismusstrategie im Koalitionsvertrag festzuschreiben und weitere 15 Monate, um Eckpunkte zu erarbeiten, die nichts weiter seien als „Worthülsen ohne Inhalt“.

SPD: AfD und Tourismus ein Widerspruch in sich. „AfD und Tourismus ist ein Widerspruch in sich“, reagierte die Abgeordnete Gabriele Hiller-Ohm (SPD). Tourismus lebe von Aufgeschlossenheit, Weltoffenheit, Toleranz: „Das passt nicht in Ihr Konzept.“ Die Menschenverachtung der AfD sei „das größte Schreckgespenst für die Tourismusentwicklung“.
Das Vorhaben der Regierung würdigte Hiller-Ohm als „eine richtig große Sache“. Eine vergleichbare Strategie mit Zielbestimmungen, wie sich der Tourismus entwickeln solle, habe es bisher nie gegeben: „Wir bringen sie erstmals in der Geschichte der Bundesrepublik auf den Weg. Das hat noch keine Koalition geschafft.“ Die Debatte im Plenum würdigte Hiller-Ohm mit den Worten: „Heute ist ein richtig guter Tag für den Tourismus.“

FDP gegen Anhebung der Luftverkehrsteuer. Für die FDP ließ der Abgeordnete Dr. Marcel Klinge dann wieder kein gutes Haar am Konzept der Regierung und dem Antrag der Koalitionsfraktionen. Es sei „eine Leistung, in 48 Punkten dermaßen weit an den wahren Bedürfnissen vorbeizureden“. Vor allem kleine und mittlere Betriebe seien es, die im Reisesektor Jahr für Jahr 300 Milliarden Euro erwirtschafteten: „Es ist eine Ehrensache, dass wir diese fleißigen Menschen unterstützen.“ Statt dessen werfe die Regierung ihnen „ständig neue Knüppel zwischen die Beine“. Scharf wandte sich Klinge gegen die geplante Anhebung der Luftverkehrsteuer, die er „die größte Steuererhöhung in der Geschichte der Reisebranche“ nannte.

Linke sieht neue Länder vernachlässigt. Die Linke Kerstin Kassner hielt der Regierung vor, ihr Konzept genüge offenbar nicht einmal den Koalitionsfraktionen, die sich sonst kaum bemüßigt gesehen hätten, „mit eigenen Vorschlägen nachzulegen“. Sie beklagte, dass von den öffentlichen Mitteln für Forschung und Entwicklung im Tourismussektor nur zwei Prozent auf die neuen Länder entfielen.

Grüne wollen „sanften Tourismus“. Markus Tressel (Bündnis 90/Die Grünen) sprach sich für „sanften Tourismus“ aus. Er wandte sich gegen das Prinzip des „Höher, Weiter, Schneller“: „Man darf Zweifel haben, dass die Reisenden das auch wollen.“Die Grünen forderten in ihrem Antrag, den klima- und umweltfreundlichen Tourismus zu fördern, indem Fördermittel vorrangig für Tourismusprojekte sowie für die Erstellung und Umsetzung von Tourismuskonzepten vergeben werden, die sich am Umwelt- und Klimaschutz orientieren. Konzepte des sanften Tourismus sollten bevorzugt behandelt werden. Den Ausbau von nachhaltigen Tourismusangeboten wollte die Fraktion durch Bundesmittel fördern. Auch sollten die finanziellen Rahmenbedingungen für energetische Sanierungen, die zum Einsparen von Betriebsmitteln führen, verbessert werden. Unternehmen wollten die Grünen beim ökologischen Wandel unterstützen und den Klima- und Ressourcenschutz vorantreiben, indem attraktive Bedingungen für energieeffiziente Investitionen und erneuerbare Energien eingeführt werden.

CDU/CSU: Auto-, Flug- und Kreuzfahrtreisen nicht verteufeln. Indes wandte sich die Christdemokratin Astrid Damerow dagegen, Auto-, Flug- und Kreuzfahrtreisen als Klimasünden zu verteufeln. Dies sei nicht der Weg, um die Attraktivität des Tourismusstandorts Deutschland zu steigern.

Angenommener Antrag von CDU/CSU und SPD. Zur Förderung des Tourismus verlangt der Bundestag, den Zielfahrplan für den Deutschland-Takt der Deutschen Bahn AG in einzelne Realisierungsschritte aufzugliedern und mit den erforderlichen Infrastrukturausbauten so umzusetzen, „dass auf wichtigen Hauptachsen der Halbstundentakt bereits vor dem Jahr 2030 eingeführt werden kann“. Zu prüfen sei darüber hinaus die Einführung eines bundesweit gültigen Tourismus-Tickets für den Personennahverkehr. Die Bundesregierung solle auch dafür sorgen, dass touristische Ziele vor allem in ländlichen Regionen einfacher mit dem Zug zu erreichen sind. Von der Bahn werden „weitere Maßnahmen“ erwartet. Der Antrag umfasst einen Katalog von 46 Empfehlungen, um die Rahmenbedingungen für das Tourismusgewerbe in Deutschland zu verbessern. Dazu zählen Veränderungen im Steuerrecht, die den Unternehmen Anreize bieten sollen, ihren Beschäftigten verbilligten Wohnraum zur Verfügung zu stellen, eine vereinfachte Visa-Vergabe für Urlaubs- und Geschäftsreisen, generell der Abbau „unnötiger bürokratischer Belastungen“ auch auf europäischer Ebene sowie mehr Unterstützung für die Kreuzfahrtbranche, um ihre Schadstoffemissionen zu verringern.  Quelle: Bundestag / Bundesregierung / DMM