Neuer SBB-Zug rüttelt wirklich

Sechs Jahre hat der Fernverkehrs-Doppelstöcker der SBB von Bombardier nun schon Verspätung. Der FV Dosto sorgt nicht nur für rote Köpfe, weil er noch immer enorm pannenanfällig ist, sondern auch weil er im Obergeschoss so stark schüttelt, dass es sogar einem Barkeeper aus einem James-Bond-Film zu viel wäre. Was viele Passagiere schon am eigenen Leib erfahren und kundgetan haben, ist jetzt per Messung bestätigt.

Durchgeführt hat die Messung der Mathematiker Gerhard Wesp (45) aus Adliswil ZH für BLICK. Und zwar so: Er ist acht Mal vom Flughafen Zürich nach Winterthur ZH und retour gefahren. Mal im Dosto, mal im Vorgänger-Doppelstöcker IC2000, jeweils im Obergeschoss. An unterschiedlichen Tagen.

Das Gerät zur Messung der sogenannten Laufruhe ist das Samsung-Smartphone, Modell Galaxy S4 Active. Bei jeder Fahrt klebt es Wesp mit beidseitigem Klebeband auf einen Tisch im Obergeschoss, das obere Ende in Fahrtrichtung. Mit der App „AccDataRec“ misst er, wie fest es den Passagier während der Fahrt von links nach rechts durchschüttelt. Der Wert wird in Metern pro Sekunde hoch drei (m/s^3) angegeben, dem Maß für den Ruck. Das ist ein physikalischer Begriff – man versteht ihn auch, ohne die Materie studiert zu haben. Das Resultat des Ruck-Tests: Nach Fahrten im Bombardier-Zug kommt Wesp im Schnitt auf einen Ruck von rund 9 m/s^3, im IC2000 auf 4,3 m/s^3. Das heißt, dass der neue Doppelstöcker ungefähr doppelt so stark schüttelt wie der alte.

Kann so ein Handy-Test glaubwürdig sein, Herr Wesp? „Natürlich. Solche Smartphones haben mittlerweile Messsensoren drin, für die man vor wenigen Jahren noch eine teure Spezialapparatur gebraucht hätte.“ Zudem sei er die Strecken nicht nur ein Mal abgefahren, sondern mehrmals und immer auf fast das gleiche Resultat gekommen. „Die Messungen sind eindeutig signifikant.“

Die Strecke zwischen dem Flughafen und Winterthur eigne sich gut für den Test, weil sie bloß zweigleisig ist und der Zug in den Bahnhöfen normalerweise auf dem gleichen Gleis ankommt. „Das macht den Test glaubwürdiger“, erklärt Wesp. „Wenn man zum Beispiel das Schütteln bei der Einfahrt in den Zürcher HB messen würde, würde man bei jeder Fahrt über andere Weichen fahren. Dann würde man Äpfel mit Birnen vergleichen.“

Konfrontiert mit den Ergebnissen, bestätigen die SBB, dass der Dosto auch nach eigenen Messungen stärker schüttelt. Zahlen geben sie aber keine heraus. Sie erklären es unter anderem mit dem Unterschied zwischen Zügen mit Lokomotive wie dem IC2000 und Triebzügen wie dem Dosto, bei dem der Antrieb auf die Waggons verteilt ist. Beim IC2000 kämen die Schwingungen und Geräusche des Antriebs nur auf der Lok vor.

Das ist aber bloß eine Erklärung, keine Entschuldigung für das Schütteln nach vielen Jahren Verspätung inklusive Nachbessern. „Der Fahrkomfort des FV Dosto wurde für den Geschwindigkeitsbereich 160 bis 200 km/h auf entsprechender Schienen-Infrastruktur ausgelegt, der Zug erfüllt die Vorgaben“, schreibt Bombardier. Nun untersuchen die Kanadier, wie sie die Laufruhe auch bei tiefen Geschwindigkeiten hinkriegen. Ein Ansatz: die sogenannte Wankkompensation. Mit dieser kann der Zug Kurven bis zu 15 % schneller befahren als etwa der IC2000, ohne jedoch den Wagenkasten zu neigen. Die Hoffnung ist nun, dass die Wankkompensation bei tiefen Geschwindigkeiten auch hilft, das Schütteln zu mindern.

Die SBB selbst schreiben, dass in den letzten Monaten erfolgreich das Radprofil geändert, die Software zur Steuerung der Wankkompensation optimiert sowie Dämpfer und Federn im Drehgestell angepasst wurden. „Diese Maßnahmen sind aber noch nicht auf den fahrplanmäßig eingesetzten Zügen umgesetzt worden und sind für die Kunden deshalb noch nicht spürbar.“ Die Bahn weist zudem darauf hin, dass auch der Dosto-Vorgänger IC2000 bei der Einführung vor Jahrzehnten für negative Schlagzeilen sorgte und nicht reibungslos anrollte. Heute gelte er als Rückgrat des Fernverkehrs. Quelle: Blick.ch / DMM