OLG Frankfurt: Bahn.de und DB Navigator müssen reguliert werden

Die in der DB Navigator App voreingestellte Suchfunktion „Schnellste Verbindung anzeigen“ ist wettbewerbswidrig, da nicht in jedem Fall die absolut schnellste Verbindung angezeigt wird (OLG Frankfurt/M., Beschluss vom 21.9.2023, Az. 6 W 61/23).

 

Das Oberlandesgericht Frankfurt/M. hat eine gegenteilige Entscheidung der Vorinstanz aufgehoben und der DB untersagt, die bisherige Variante der Funktion „schnellste Verbindungen anzeigen“ in bahn.de und der App DB Navigator weiter zu verwenden. Diese sei „irreführend und unlauter“. 

Die Parteien streiten um die bei der über www.bahn.de und die DB Navigator App voreingestellte Suchfunktion „Schnellste Verbindung anzeigen“. Der dahinterliegende Algorithmus springt bei der Ergebnisanzeige von der absolut schnellsten Verbindung jeweils vorwärts (bei Eingabe der Abfahrtszeit) oder rückwärts (bei Eingabe der Ankunftszeit) zu den jeweils zeitlich folgenden zweitschnellsten Verbindungen. Nicht angezeigt werden kürzere Verbindungen, deren Abfahrts- bzw. Ankunftszeit vor der jeweiligen Uhrzeit der absolut schnellsten Verbindung liegt. Mit heute veröffentlichter Entscheidung hat das Oberlandesgericht Frankfurt/M. (OLG) der Tochter der Deutschen Bahn wegen Irreführung das Anbieten dieser Suchoption untersagt. Die Beklagte hat während des Eilverfahrens ein Informationssternchen an die Suchfunktion angebracht, in der die Vorgehensweise des Algorithmus erläutert wird.

Die Antragstellerin bietet Transportleistungen im Schienenpersonennahverkehr an. Sie wendet sich gegen die Gestaltung und Funktionsweise der Suchoption „Schnellste Verbindungen anzeigen“ auf der von der Antragsgegnerin betriebenen Fahrplaninformations- und Reiseauskunftsmedien www.bahn.de und in der App DB Navigator. Die Antragsgegnerin stellte dort den Verbrauchern eine Suchmaske zur Verfügung, die insbesondere die Eingabe von Start und Ziel, Datum sowie der Abfahrts- oder Ankunftszeit erlaubt. Standardmäßig voreingestellt war die Suchaktion „Schnellste Verbindung anzeigen“. Als Ergebnis werden in der Regel drei Verbindungen angezeigt. Der zu Grunde liegende Algorithmus ermittelte im Fall der Eingabe einer Abfahrtszeit dabei zunächst von der gewählten Abfahrtszeit aus die absolut schnellste Verbindung. Anschließend wurde die danach abfahrende zweitschnellste Verbindung angezeigt. Ausgehend von der schnellsten Verbindung fand eine zeitliche Vorwärtssuche statt. Eine zweitschnellste Verbindung, deren Abfahrtszeit vor der der absolut schnellsten Verbindung liegt, wurde damit nicht angezeigt, auch wenn sie schneller als die nach der absolut schnellsten Verbindung abfahrende zweitschnellste Verbindung war.

Das Landgericht hat den Unterlassungsantrag zurückgewiesen. Die Beschwerde der Antragstellerin hatte vor dem OLG Erfolg. Die Ausgestaltung der Verbindungsauskunft sei irreführend und damit unlauter, begründete das OLG seine Entscheidung.

„Verbraucher werden (…) davon ausgehen, dass es sich bei den angezeigten Verbindungen, wie beworben, um die (…) schnellsten Verbindungen zu ihrer Suchanfrage handelt, auch weil das primäre Ziel des Verkehrs bei einer Verbindungsabfrage ist, möglichst schnell von A nach B zu kommen“, führt das OLG näher aus.

Das erweckte Verständnis stimme jedoch nicht mit den tatsächlichen Verhältnissen überein, so dass die Suchfunktion irreführend sei. Angezeigt werde zwar zunächst die absolut schnellste Verbindung. Ausgehend von dieser springe das Programm dann aber entweder vorwärts (Abfahrtssuche) oder rückwärts (Ankunftssuche) zu den nächsten absolut schnellsten Verbindungen. Die in der Ergebnisliste an zweiter und fortlaufender Stelle angezeigten Verbindungen seien damit nicht die nächst schnelleren im Hinblick auf die objektive Gesamtfahrdauer, sondern die nächst schnelleren nach der schnellsten Verbindung. Im Fall einer einstündigen schnellsten Verbindung könne dies dazu führen, dass eine eine Minute davorliegende Verbindung mit einer Dauer von 1:01 Stunden gar nicht, die eine Minute nach der schnellsten Verbindung abfahrende Verbindung mit einer Dauer von 2:00 Stunden dagegen als zweitschnellste ausgewiesen werde.

Die im Eilverfahren ergangene Entscheidung ist nicht anfechtbar.

(vorausgehend Landgericht Frankfurt/M., Beschluss vom 30.05.2023, Az. 2-06 O 216/23)

Zum Urteil mofair-Präsident Martin Becker-Rethmann: „Dass sich die DB vor Gericht für unlauteres Handeln verantworten muss, zeigt, dass sie entweder die Wirkungsweisen ihrer Algorithmen selbst nicht durchschaut, oder dass sie diese bewusst einsetzt, um ihr eigenes Angebot zu bevorzugen und damit den Wettbewerb zu schwächen. Beides unterstreicht die Notwendigkeit, die großen Portale bahn.de und den Navigator angesichts ihrer marktbeherrschenden Stellung unter die Regulierung der Bundesnetzagentur zu stellen.“ 

Die Entscheidung ist ein wichtiger Schritt zu einem fairen Wettbewerb im Schienenverkehr. Aber es müssen weitere Themen, auch im Kontext zur Errichtung der gemeinwohlorientierten Schieneninfrastrukturgesellschaft („InfraGO“), angegangen werden. Zwar ist der Fahrausweisvertrieb kein Teil der Infrastruktur wie Gleisnetz, Bahnhöfe oder das Bahnstromnetz. Vertriebssysteme sind grundsätzlich, anders als die bauliche Infrastruktur, reproduzierbar. Aufgrund des historisch geschützten Monopols der DB und ihres Verhaltens gegenüber Wettbewerbern war dies in Deutschland bisher jedoch zu volkswirtschaftlich akzeptablen Kosten nicht möglich. 

Ein fairer Wettbewerb zwischen verschiedenen Anbietern (das können neben den Verkehrsunternehmen auch unabhängige Vertriebsdienstleister sein) kann den Zugang zum System Schiene deutlich erleichtern und damit einen Beitrag zum Klimaschutz leisten. Das haben andere europäische Länder wie beispielsweise Spanien oder Italien bereits gezeigt. 

Dafür gibt es zwei Grundvoraussetzungen:

  1. Alle betrieblich und vertrieblich relevanten Daten müssen allen Anbietern zur Verfügung gestellt werden, die Fahrausweise verkaufen wollen. Gerade die für den fahrplanbasierten Onlinevertrieb so entscheidenden Echtzeitdaten müssen von den Infrastrukturunternehmen – denn nur diese wissen, wo sich die Züge gerade befinden, auf welchem Gleis sie abfahren, etc. – weitergeleitet werden. Und zwar ohne weiteren Filter. Die Übertragung des Fahrplandatenmanagements an die DB Fernverkehr vom 01. April 2023 war ein absoluter Irrweg, der umgehend korrigiert werden muss. Dass ein Eisenbahnverkehrsunternehmen letztlich entscheiden kann, welchen Mitbewerbern es welche Daten zur Verfügung stellt, ist inakzeptabel.
  2. Die großen Portale wie bahn.de und die DB Navigator-App müssen von der Bundesnetzagentur reguliert werden. Dazu gehört auch deren Öffnung für die Produkte anderer Verkehrsunternehmen.

Die Regulierungsbehörde hat hier einschlägige Erfahrungen aus dem Netzzugang zur physischen Infrastruktur. Regulierung kann etwa bei der Überprüfung diskriminierender Algorithmen schneller greifen als der mühsame Weg über die nichtspezialisierte allgemeine Gerichtsbarkeit.
Dass die DB-Portale so stark im Markt vertreten sind, liegt nicht in ihrer Qualität per se begründet, sondern darin, dass die DB es bisher immer wieder verstanden hat, den Vertriebsmarkt abzuschotten und die Konditionen gegenüber unliebsamen Wettbewerbern ohne gesetzliche Regelungen selbst festzulegen. Die Komplexität des Marktes und seiner Funktionsweise hat ein Übriges getan. Quelle: OLG Frankfurt/M. vom 02.10.2023 / Mofair / DMM