Opel: Vor 70 Jahren Neustart ins Luxussegment

„Nur sehr ungern" erinnerte sich der Konstruktionschef aus früheren Jahrzehnten, Karl Stief, an die Entstehung eines großen Opels. Das Konstruktionsbüro leitete damals Fritz von Opel. 1929 hatte der amerikanische Automobil-Konzern General Motors die Mehrheit an der deutschen Automobilfabrik Opel in Rüsselsheim gekauft. 1932 übernahmen die Amerikaner die restlichen 20 %.

 

Opel Kapitän aus dem Jahr 1938. Foto: Opel

Opel Kapitän A 1966 (l.) und Diplomat (1976). Foto: Opel

In der Hoffnung, Deutschland einen Konkurrenten zu den amerikanischen Cadillacs zu bieten, entstand zu dieser Zeit bei Opel eine große Limousine mit einem 6,0 l-Achtzylinder-Motor im Bug, der 110 PS leistete und den Wagen auf eine Spitze von 120 km/h brachte – der Opel Regent. Doch die Weltwirtschaftskrise in den USA hatte den Markt für große Automobile über Nacht zusammenbrechen lassen. Alle Marken, die sich mit repräsentativen Automobilen schmückten, mussten herbe Verluste hinnehmen – darunter auch Generals Motors. Vor diesem Hintergrund traf der Zorn aus den USA die Führungsriege in Rüsselsheim voll. Im Oktober 1929 wurde auf ihr Geheiß hin die Produktion eingestellt.

Innerhalb von nur sechs Monaten waren vom Opel Regent insgesamt 25 Exemplare hergestellt worden. Alle Wagen, die bereits das Werk verlassen hatten, mussten zurückgekauft und verschrottet werden. Opel sollte lieber Autos der Mittelklasse bauen. Die verkauften sich nämlich bestens.

Vor diesem Hintergrund las der damals neue Chefkonstrukteur Karl Stief die Hausmitteilung des Vorstandes mit Skepsis, weil die wieder nach einem großen Opel verlangte. Stief und sein Team schufen eine viertürige Luxus-Limousine nach der neuesten Auto-Mode. So entstand vor genau 80 Jahren der Kapitän. Das Schrägheck trug eine zweigeteilte Rückscheibe, unter einer Blechklappe lag versteckt das Reserverad schräg im Kofferraum, durch Chromleisten von außen erkennbar. Die Front war mit einem spitzen Katzenbart-Kühler geschmückt, die Rundscheinwerfer waren schon in die Kotflügel eingebaut. Die Kotflügel selbst standen noch vom Karosseriekörper getrennt. Die Bugscheibe war ebenfalls zweigeteilt. Trittbretter waren noch selbstverständlich. Die vorderen Seitentüren öffneten nach hinten, die hinteren nach vorn. Im Bug arbeitete ein seidenweich laufender Sechszylinder mit 2,5 l Hubraum, der 55 PS leistete. Nur in einem Punkt blieb der Kapitän konventionell: Er trug nicht jene selbststragende Karosserie, wie sie ab 1936 der Opel Olympia besaß. Stief gab ihm vorsichtshalber eine halbselbsttragende Bauweise. Denn die Konkurrenz verkündete damals lautstark, dass der Opel Olympia mit seiner leichten Bauweise bei starker Beanspruchung auseinanderbrechen würde.

Im März 1938 – zum Genfer Autosalon – feierte der Kapitän seine öffentliche Premiere. Opel lieferte ihn als Zwei- oder als Viertürer. Die Kunden schätzten den Kapitän. Und er verdiente Geld, hatten doch die General-Motors-Manager durchgesetzt, dass der brandneue Opel Blitz-Lastwagen, der im ebenfalls nagelneuen Lkw-Werk in Brandenburg gebaut wurde, denselben 2,5 l-Motor erhielt. Nur etwas mehr als ein gutes Jahr wurde der Kapitän gebaut, dann verbot die nationalsozialistische Regierung Opel die Produktion mit der Begründung, die Sechszylinder würden alle für den Lkw-Bau gebraucht. Im September 1939 zeigte sich dann, wofür. Hitler hatte den zweiten Weltkrieg begonnen und benötigte für seine Wehrmacht dringend Opel Blitz-Lastwagen.

im Oktober 1948, etwas mehr als drei Jahre nach dem Ende des Kriegs, beendeten die Alliierten die Reglementierung, nach der die deutsche Automobilindustrie nur Pkw mit Motoren bis 1,5 l Hubraum herstellen durfte. Somit war auch für das Opel-Werk der Weg frei, sein vor dem Zweiten Weltkrieg entwickeltes Flaggschiff wieder zu bauen. Der Wiedereinstieg des 2,5 l-Sechszylinders mit 55 PS gestaltete sich schwierig, weil eine zahlungskräftige Kundschaft im verarmten Deutschland völlig fehlte. So wurde der Kapitän anfangs ausschließlich für den Export gebaut.

70 Jahre ist es her, dass er seine Wiederauferstehung feierte. Die zweitürige Ausführung gab es nicht mehr. Die Karosseriefabrik Joseph Hebmüller im rheinischen Wülfrath stellte 1952 ein zweitüriges Cabriolet mit zwei Sitzen auf der Basis des Opel Kapitäns her. Man hoffte auf eine kleine Serienproduktion, doch es blieb beim Prototyp; denn der Kapitän hatte eine inzwischen antiquierte Form. Aus der Auto-Mode gekommen waren inzwischen das geteilte Rückfenster, die hervorstehenden Kotflügel, die geteilte Frontscheibe, das Fließheck mit dem darunterliegenden Reserverad-Schutz. Auch das Schrägheck fand bei den Nachkriegs-Käufern keine Bewunderer mehr. Bis Herbst 1949 wurden insgesamt 25 371 Exemplare gebaut.

Immer öfter mussten die Opel-Händler erfahren, dass sich Kunden des Designs wegen keinen Kapitän zulegen wollten. Der Sturm der entrüsteten Händler trieb Opel dazu, ein neues Modell zu entwickeln. Im August 1951 erschien der „Kapitän 52". An der Grundkonzeption mit halbselbsttragender Karosserie und hinterer Starrachse änderte sich nichts. Allerdings stand das Modell 52 des Kapitäns auf 15 statt auf 16 Zoll-Reifen. Die Leistung des 2,5 l-Sechszylindermotors stieg von 55 auf 58 PS an.

Von der 9.600 D-Mark teuren Limousine wurden bis Herbst 1953 genau 48.562 Exemplare gebaut. Der Opel Kapitän trug nun eine breite Chrom-Schnauze am Bug, hatte eine größere Heckscheibe und einen und rundlichen Kofferraum-Deckel. Im Innern trug der neue Kapitän ein weißes Lenkrad mit verchromten Signalring als Hupe und verchromt eingerahmte Instrumente. Die Vordersitze standen eng zusammen. Viel später stellte sich heraus, dass der Kapitän 52 ein innerhalb des GM-Konzerns zu den Akten gelegtes Projekt von 1941 handelte. Nach der Premiere kam es zu einem Aufstand innerhalb der Opel-Organisation, der allerdings nicht an die Öffentlichkeit drang: Die Kunden wanderten ab; denn inzwischen gab es Automobile in Pontonform, etwa den Borgward Hansa 1500, den großen Borgward, den Ford Taunus 12 M. Und selbst unter den Kunden mit dicker Brieftasche war der Besitz eines amerikanischen Straßenkreuzers etwas zu exklusiv.

Nicht nur das: Plötzlich tauchten in den Händler-Werkstätten Vertreter auf, die passend für den Kapitän, komplette Karosserien liefern wollten. Überliefert ist der Fall der Passat-Werke in Gelsenkirchen, die einen hochmodernen Limousinen-Aufbau an die Kapitän-Kunden verkaufen wollten: eine viertürige Limousine mit geschlossener Front, mit gerundeter Frontscheibe und hinten sanft abfallendem Buckelheck. Die ungeliebte Kapitän-Karosserie sollte in Opel-Werkstätten gegen das neue Blechkleid ausgetauscht werden. Initiator des ganzen war der Landmaschinen-Vertreter Romanus Müthing, der ins Auto-Geschäft drängte und den Kleinwagen „Pinguin“ herstellen wollte, was aber nicht gelang. Nicht überliefert ist, ob die Passat-Werke tatsächlich Kapitän-Kunden fingen und ob Opel nicht mit rechtlichen Mitteln gegen die Gelsenkirchener vorging.

Immerhin schlugen damals, 1952 und 1953, die Wellen so hoch, dass General Motors eingriff und den Rüsselsheimern jene finanziellen Mittel gewährte, mit denen die Deutschen dann einen hochmodernen Kapitän entwickelten: mit selbsttragender Pontonkarosserie, mit dreiteiliger Heckscheibe, mit Lenkradschaltung, mit einteiliger Frontscheibe und sogar schon mit durchgehender vorderen Sitzbank. Sein 2,5 l-Sechszylinder leistete zunächst 68, später 71 PS. Der Wagen trug kleine vordere Dreieck-Ausstellfenster, größere Rückleuchten auf den hinteren Kotflügeln und einen nach innen gezogenen Kühlergrill.

Entwickelt wurde das Nobelmodell von Friedrich Wilhelm Lohr, der seine Karriere 1940 als Werkzeugmacher-Lehrling bei Opel begann und es bis zum Vice President GM Europe und in dem General-Motors-Aufsichtsrat brachte. Der Opel Kapitän 54, der im August 1954 erschien, hatte wieder Anschluss an die Konkurrenz gefunden. Und er verkaufte sich so gut, dass er in den folgenden Jahren immer mit den neuesten Details der Automode ausgerüstet wurde. Zwei Jahrzehnte lang besetzte Opel damit die Lücke des besonders modischen, hochkarätigen Automobils. Doch die Zeiten haben sich geändert. Und die ücke ist bis heute leer geblieben. Quelle: Hanns-Peter von Thyssen-Bornemissza / DMM