Professor Stefan Bratzel: Konsolidierung unausweichlich

Man könnte die 6.000 Euro Umweltprämie aufstocken. Vielleicht um 4.000 Euro, die sich wieder Hersteller und Regierung teilen, sodass die Prämie auf 10.000 Euro wächst und viele Elektrofahrzeuge sehr günstig werden lässt. Das würde einiges bringen, sagt Professor Stefan Bratzel, Leiter des von ihm gegründete Center of Automotive Management (CAM) an der Fachhochschule der Wirtschaft und Handel in Bergisch Gladbach.

Im Gespräch mit dem Auto-Medienportal beschreibt Bratzel, wie sich Industrie und Handel in der Corona-Krise behaupten können. Das Interview führte Walther Wuttke.

Wie sieht die aktuelle Situation der Automobilindustrie aus?

Professor Stefan Bratzel: „Nach unseren Analysen wird der globale Automobilmarkt in diesem Jahr um 17 % einbrechen. Damit sinkt die Nachfrage weltweit um 15 Mio. Pkw auf nur noch 68 Mio. Einheiten. In Europa rechnen wir mit einem Einbruch von 21 % auf 12,5 Mio. Fahrzeuge. Für die USA sehen wir einen Rückgang auf 14 Mio. Pkw und leichte Nutzfahrzeuge voraus, während der weltweit größte Markt China vergleichsweise glimpflich davonkommt und um 10 % auf 19 Mio. Pkw sinken wird. Das sind aber immer noch 5 Mio. weniger Einheiten als im Rekordjahr 2017.“

Und wie sieht die Situation in Deutschland aus?

Bratzel: „In Deutschland rechnen wir wie im Rest Europas mit einem Rückgang von gut 20 %. Das wären am Ende des Jahres dann deutlich weniger als 3 Mio. Zulassungen. Die Entwicklung hängt aber auch sehr stark von möglichen Fördermaßnahmen ab.“

Wann rechnen Sie damit, dass sich die Automobilproduktion wieder normalisiert?

Bratzel: „Das ist schwer zu sagen. Wenn wir von der Produktionshöhe vor der Corona-Krise sprechen, könnte das einige Monate und wahrscheinlich sogar länger dauern, weil die aktuelle ökonomische Entwicklung das nicht realistisch erscheinen lässt. Wir gehen davon aus, dass die Produktion Ende April, Anfang Mai wieder hochläuft. Alles andere wäre wirtschaftlich nicht länger vertretbar. Es würde dann einige Woche dauern, bis man wieder in einem normalen Rhythmus unterwegs ist. Normal bedeutet aber nicht, dass man dann die Produktionskapazität vollständig ausschöpfen wird. Das hängt natürlich, und das ist der zentrale Aspekt, auch von der Nachfrage ab. Es geht auch darum, dass die gesamte Wertschöpfungskette wieder in Gang kommt, und hier spielt der Handel, der seine übervollen Lager leeren muss, eine entscheidende Rolle.“

Wie könnte man den Handel unterstützen? Benötigen wir eine Verschrottungsprämie 2.0, um die Menschen in die Autohäuser zu locken?

Bratzel: „Die Verschrottungsprämie hat damals tatsächlich einiges bewirkt. Ob man das angesichts der wirtschaftlichen Situation noch einmal machen kann ist fraglich, aber die Autoindustrie muss man im Blick behalten. Eine Prämie von 3- bis 5.000 Euro wird man wohl zur Stimulierung brauchen. Ich könnte mir vorstellen, dass man die meisten Gelder in eine Aufstockung der Umweltprämie investiert, um gleichzeitig die Elektromobilität weiter zu unterstützen.“

Die Corona-Krise könnte also den Wechsel zur E-Mobilität beschleunigen…

Bratzel: „… das wäre die Idee. Man könnte die 6.000 Euro Umweltprämie aufstocken. Vielleicht um 4.000 Euro, die sich wieder Hersteller und Regierung teilen, sodass die Prämie auf 10.000 Euro wächst und viele Elektrofahrzeuge sehr günstig werden lässt. Das würde einiges bringen. Aber es könnten auch konventionell angetriebene Modelle mit geringeren Mitteln gefördert werden.

Wird die Corona-Krise auch dazu führen, dass die aktuellen Überkapazitäten abgebaut werden?

Bratzel: „Wir haben in Europa große Überkapazitäten, und das wird in den kommenden Jahren dazu führen, dass drei bis fünf Werke in Europa überflüssig sein werden. Honda schließt gerade sine türkische Fabrik. In Italien, wo große Überkapazitäten vorhanden sind, werden einige Werke nicht überleben, und das gilt auch für Frankreich. Ob das Brüsseler Werk von Volkswagen noch lange Zeit weiter existieren kann, ist ebenfalls fraglich. Man wird in Zukunft weniger Produktionsstätten benötigen, keine Frage.

Werden alle Hersteller diese Krise überleben können?

Bratzel: „Wir werden auf jeden Fall eine Konsolidierung erleben, bei der notleidende Hersteller übernommen werden. Die einzelnen Marken werden aber bleiben, wie wir es gerade mit PSA und Fiat Chrysler erleben. Vielleicht werden in den kommenden Jahren einige kleinere Hersteller aus dem Markt gehen.

Und wie sieht die Situation bei den Zulieferern aus?

Bratzel: „Da sieht die Situation schon ernster aus. Viele Unternehmen sind nicht unbedingt im Fokus der Öffentlichkeit, spielen aber eine überaus wichtige Rolle in der gesamten Wertschöpfungskette. Um die großen Konzerne wie Bosch, Continental oder ZF muss man sich trotz ihrer aktuellen Liquiditätsprobleme keine Sorgen machen, aber die kleineren mittelständischen Unternehmen werden Probleme bekommen, wenn die Hilfen der Bundesregierung nicht schnell eintreffen. Sechs bis acht Wochen ist die maximale Länge, die diese Unternehmen überbrücken können, um zu überleben.“

Wie wird der Handel aus der Krise kommen?

Bratzel: „Im Handel sieht es ähnlich aus. Die Branche ist von kleinen und mittelständischen Unternehmen geprägt, und da gab es schon vor Corona wirtschaftliche Probleme. Da werden es viele nicht schaffen, über die Runden zu kommen. Rund ein Drittel der Betriebe befanden sich schon vor der Krise in schwierigen wirtschaftlichen Verhältnissen, und da wird Corona als Katalysator für eine Konzentration wirken. Es werden Standorte von größeren Unternehmen übernommen werden. In fünf bis zehn Jahren werden viele Händler verschwinden, und die Zahl der unabhängigen Unternehmen wird kleiner werden.“

Wird der Online-Handel in Zukunft an Gewicht gewinnen? Oder wollen die Kunden nach wie vor ganz analog ihr neues Automobil vor dem Kauf anfassen?

Bratzel: „In den vergangenen Jahren hat sich Kundenreise schon stark digitalisiert, und Hersteller wie Tesla zum Beispiel haben ihren Vertrieb weitgehend auf Online-Angebote umgestellt. Online wird in Zukunft stärker werden, und viele Unternehmen nutzen die Krise zum Ausprobieren. Hersteller werden verstärkt digitale Kanäle nutzen, um mit dem potenziellen Kunden in Kontakt zu treten. Aber am Ende steht eine hohe Investition, die man sich gut überlegt. Alle Untersuchungen zeigen, dass man nicht auf eine Probefahrt verzichten und den Verkäufer kennen will, dem man am Ende das Geld überweist. Ich glaube vielmehr, dass Instrumente wie Auto-Abos in den kommenden Jahren an Gewicht gewinnen werden. Bis der Autokauf aber vollkommen online abgewickelt wird, wird noch viel Zeit vergehen.“ Quelle: ampnet/ww / DMM