Raserei mit Todesfolge von Unschuldigen ist Mord

Der Bundesgerichtshof bestätigt im "Berliner Raser-Fall" im zweiten Rechtsgang die Verurteilung des den Unfall verursachenden Angeklagten wegen Mordes und hebt das Urteil gegen den weiteren, als Mittäter verurteilten Angeklagten auf (Az: 4 StR 482/19 – Urteil vom 18. Juni 2020).

Der u.a. für Verkehrsstrafsachen zuständige 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat über die Revisionen der beiden zur Tatzeit 24 und 26 Jahre alten Angeklagten gegen ein Urteil des Landgerichts Berlin, das im zweiten Rechtsgang ergangen ist, entschieden. Hintergrund des Verfahrens ist ein zwischen den Angeklagten ausgetragenes illegales Straßenrennen, das zum Tod eines unbeteiligten Verkehrsteilnehmers führte.

Das Landgericht Berlin hatte die beiden Angeklagten im ersten Rechtsgang u.a. wegen mittäterschaftlich begangenen Mordes zu lebenslangen Freiheitsstrafen verurteilt. Auf die Revisionen der Angeklagten hatte der 4. Strafsenat das Urteil aufgehoben und die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Landgericht Berlin zurückverwiesen – insoweit wird auf die Presseerklärung vom 1. März 2018 (Nr. 45/2018) verwiesen.  

Im zweiten Rechtsgang hat das Landgericht Berlin die beiden Angeklagten nunmehr erneut u.a. wegen Mordes zu lebenslangen Freiheitsstrafen verurteilt.  

Nach den Feststellungen des Landgerichts hat sich am 1. Februar 2016 folgendes zugetragen: Die beiden angeklagten jungen Männer verabredeten sich zu einem illegalen Autorennen in der nächtlichen Berliner Innenstadt. Sie rasten, jeweils mit dem Willen, das Rennen für sich zu entscheiden, insgesamt ca. 1,5 Kilometer mit hohen Geschwindigkeiten zweispurige Hauptverkehrsstraßen entlang und schließlich auf eine ampelgeregelte, große, für sie nicht einsehbare Kreuzung zu. Die Ampel zeigte für sie rotes Licht. Obwohl die Angeklagten bei Zufahrt auf die Kreuzung bereits aus einer Entfernung von 250 Metern die hochgefährliche und unfallträchtige Situation erkannten, beendeten sie das Rennen nicht. Vielmehr entschlossen sie sich, das Rennen um des Sieges willen unter nochmaliger Steigerung der Geschwindigkeiten und trotz Rotlichts über die Kreuzung hinaus fortzusetzen, und nahmen – so das Landgericht – dabei auch einen Verkehrsunfall im Kreuzungsbereich mit für einen anderen Verkehrsteilnehmer tödlichen Folgen billigend in Kauf. In der Kreuzung kollidierte das Fahrzeug des auf der rechten Spur fahrenden Angeklagten mit einer Geschwindigkeit von etwa 160 – 170 km/h ungebremst mit einem anderen Fahrzeug, dessen Fahrer bei Grünlicht in den Kreuzungsbereich eingefahren war. Dieser starb noch an der Unfallstelle, die sich nach dem Unfall als ein Trümmerfeld darstellte. Der Angeklagte trug nur leichte Verletzungen davon.  

Die Revision des am Unfall unmittelbar beteiligten Angeklagten hat der Senat verworfen. Er hat bei diesem Angeklagten insbesondere den Schuldspruch wegen Mordes bestätigt und lediglich eine Schuldspruchkorrektur vorgenommen.  

Das Landgericht hat maßgeblich aus der außergewöhnlichen Gefährlichkeit des Fahrverhaltens des Angeklagten und der damit einhergehenden und von ihm erkannten Unfallträchtigkeit auf die billigende Inkaufnahme eines schweren Verkehrsunfalls mit tödlichen Folgen für den Unfallgegner und damit auf ein bedingt vorsätzliches Handeln dieses Angeklagten geschlossen. Es ist dabei den hohen Anforderungen an die Prüfung der vorsatzkritischen Aspekte gerecht geworden, die dieser Fall in besonderem Maße aufwarf. Die Strafkammer hat insoweit insbesondere bedacht, dass schon wegen der mit einem Unfall verbundenen Eigengefährdung des Angeklagten das Tatbild von einem typischen vorsätzlichen Tötungsdelikt abwich. Auch mit dem Handlungsmotiv des Angeklagten, den Rennsieg davonzutragen, der durch einen Unfall zwangsläufig vereitelt würde, hat es sich ausreichend auseinandergesetzt.  

Bei Prüfung der Eigengefahr als vorsatzkritischen Umstand hat das Landgericht zu Recht nur auf das tatsächlich eingetretene Unfallgeschehen abgestellt. Es hat tragfähig begründet, dass der Angeklagte diesen Unfallhergang als möglich erkannte, die hiervon ausgehende Gefahr für sich selbst aber als gering einschätzte und hinnahm. Der Senat hat unter diesen Umständen die Erörterung der Frage, ob dem Angeklagten, als er den Entschluss fasste, das Rennen trotz der erkannten Unfallgefahr fortzusetzen, auch andere Unfallszenarien mit einem möglicherweise für ihn höheren Gefahrenpotential vor Augen standen, für entbehrlich erachtet.   

Auch dem Handlungsmotiv des Angeklagten, das Rennen zu gewinnen, hat das Landgericht mit tragfähiger Begründung keine vorsatzausschließende Bedeutung beigemessen. Es hat belegt, dass der Angeklagte erkannte, das Rennen nur bei maximaler Risikosteigerung auch für Dritte unter Zurückstellung aller Bedenken gewinnen zu können, und ihm deshalb die Folgen des bewusst hochriskanten Fahrverhaltens gleichgültig waren.

Auch die Bewertung der Tat als Mord ist im Ergebnis nicht zu beanstanden. Zwar weist die Beweiswürdigung des Landgerichts zur subjektiven Seite des Mordmerkmals der Tötung mit gemeingefährlichen Mitteln durchgreifende Rechtsfehler auf. Da das Landgericht die Mordmerkmale der Heimtücke und der Tötung aus niedrigen Beweggründen rechtsfehlerfrei bejaht hat, wirkt sich dies auf den Strafausspruch aber nicht aus.  

Das Urteil gegen diesen Angeklagten ist damit rechtskräftig.

Auf die Revision des Mitangeklagten, dessen Fahrzeug nicht mit dem des Unfallopfers kollidierte, hat der Senat das Urteil, soweit es diesen Angeklagten betrifft, insgesamt aufgehoben. Die Verurteilung wegen mittäterschaftlich begangenen Mordes konnte keinen Bestand haben, weil die Beweiswürdigung des Landgerichts die Feststellung eines gemeinsamen, auf die Tötung eines Menschen gerichteten Tatentschlusses nicht trägt. Das Landgericht hat sich lediglich mit dem Vorsatz betreffend einen durch den Mitangeklagten selbst verursachten Unfall auseinandergesetzt. Nicht belegt ist die mittäterschaftliche Zurechnung der Tat des Unfallverursachers. Dass die Angeklagten – wie das Landgericht gemeint hat – während des Zufahrens auf die Kreuzung den auf das Straßenrennen ausgerichteten Tatplan konkludent auf die gemeinsame Tötung eines anderen Menschen erweiterten, liegt angesichts ihrer Fokussierung auf das Rennen auch fern.  

Gegen diesen Angeklagten wird das Landgericht deshalb in einem dritten Rechtsgang nochmals zu verhandeln haben.

Vorinstanz: Landgericht Berlin - Urteil vom 26. März 2019 – (532 Ks) 251 Js 52/16 (9/18)  

Statement der DPoIG: Die Deutsche Polizeigewerkschaft (DPolG) begrüßt das Urteil als wichtige Botschaft für die Verkehrssicherheit. DPolG Bundesvorsitzender Rainer Wendt: „Das Urteil ist ein eindeutiges Signal an alle Raser. Ihnen wird klargemacht, dass eine lebenslange Freiheitsstrafe drohen kann, wenn sie bei illegalen Autorennen Menschen töten. Der Rechtsstaat zeigt mit dem BGH-Urteil, dass er entschlossen ist, diesem Treiben Einhalt zu gebieten.  Leider kommt es immer wieder zu solchen illegalen Rennen, bei denen Menschenleben gefährdet werden. Deshalb sind zielgerichtete Gesetze notwendig. Dass die Teilnahme an solchen Rennen mittlerweile eine Straftat darstellen, war überfällig. Wichtig ist es jedoch neben den gesetzlichen Mitteln, derartige Autorennen frühzeitig zu erkennen und zu unterbinden. Dafür braucht die Polizei das entsprechende Personal und spezifische Szenekenntnisse.

In Köln etwa gibt es eine Sonderkommission, die gegen Raser und Rennen aktiv wird. Solche Kommissionen brauchen wir in allen Großstädten. Dort findet solches Kräftemessen vor allem statt. Wenn es einen flächendeckenden Verfolgungsdruck gegen die Raser-Szene gibt, zeigt das deutliche Wirkung.“

Statement des ACE: Deutschlands zweitgrößter Autoclub begrüßt das heutige Urteil des Bundesgerichtshofes (BGH) im "Berliner Raser-Fall". Autorennen und ungebremste Raserei sind keine Kavaliersdelikte. Es handelt sich um ernste Straftaten, die eine entsprechende Bestrafung nach sich ziehen müssen, so der ACE. Kommt dabei ein Unbeteiligter zu Tode, muss sich das auch im Strafmaß wiederspiegeln. Das heutige Urteil des BGH, welches die vorinstanzliche Verurteilung wegen Mordes in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung und mit vorsätzlicher Gefährdung des Straßenverkehres anerkennt, ist für den ACE mit Blick auf die Verkehrssicherheit ein positives Signal.

Stefan Heimlich, Vorsitzender des Auto Club Europa (ACE), erklärt dazu: „Rasen ist kein Kavaliersdelikt. Gerade in Städten wird die Verkehrssicherheit gefährdet. Menschenleben werden aufs Spiel gesetzt! Wer an illegalen Autorennen teilnimmt, setzt sein Fahrzeug als Waffe ein. Verkehrstote werden in Kauf genommen. Die Ablehnung des Revisionsantrags bestärkt das bereits gefällte Urteil des Landgerichts Berlin in seiner Richtigkeit und ist sowohl richtungsweisend als auch gesellschaftspolitisch von Bedeutung. Die Angeklagten fuhren wissentlich und nachgewiesen mit erhöhter Geschwindigkeit, wodurch es ihnen unmöglich wurde, rechtzeitig auf andere Verkehrsteilnehmer zu reagieren.“
Im Zuge der Aufarbeitung fordert der ACE, weitere Maßnahmen umzusetzen, die zur Verbesserung der allgemeinen Verkehrssicherheit beizutragen. Von der Politik fordert der ACE für alle Verkehrsteilnehmer eine sichere Gestaltung des Straßenraums. Neben verstärkter Polizeipräsenz, Fahrzeugkontrollen sowie eine nach Einkommen gestaffelte Anhebung der Bußgelder in Form von Tagessätzen dazu beitragen, das Ziel der Vision Zero effektiv zu unterstützen.

Der Bundesgerichtshof (BGH) entschied abschließend über die Revisionsanträge im „Berliner Raser-Fall“. Nachdem das Landgericht Berlin die zwei Angeklagten bereits wegen Mordes in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung und mit vorsätzlicher Gefährdung des Straßenverkehrs zu lebenslangen Freiheitsstrafen verurteilt hat, bestätigte der BGH heute dieses Urteil gegen einen der Fahrer. Das Urteil gegen den zweiten Fahrer wegen des Vorwurfs der Mittäterschaft wurde durch den BGH aufgehoben und zur erneuten Verhandlung an das Landgericht Berlin zurückverwiesen. Quelle: Bundesgerichtshof / DPoIG / ACE