Reisen und Klima in Einklang bringen

Klima-Experten sehen das Reiseverhalten kritisch. Sie fordern einen Kulturwandel. Das Reisen in ferne Länder, Sandstrand unter Palmen und bedient zu werden, sei ein "total schräges Wertemodell", sagt der Klimaforscher Johannes Orphal vom Karlsruher Institut für Technologie. "Gerade Flugreisen hauen beim CO2 enorm rein", warnt Orphal.

Der CO2-Rechner des Umweltbundesamtes (UBA) zeigt: Ein Hin- und Rückflug von Frankfurt nach Florida hat eine Emissionsbilanz von etwa 3,5 Tonnen CO2 pro Kopf. Um klimaverträglich zu werden, müsse der CO2-Ausstoß allerdings auf unter eine Tonne pro Kopf pro Jahr kommen - und das nicht nur für das Reisen, sondern insgesamt. In einer Publikation des UBA aus dem Jahr 2019 wird der Anteil der Treibhausgas-Emissionen, die durch den weltweiten Tourismus verursacht werden, derzeit auf 8 % geschätzt, Tendenz steigend.

"Der Tourismus lebt von einer intakten Natur, doch gleichzeitig belastet er die Natur stark", so Anja Wollesen vom Deutschen Institut für Tourismusforschung. Nachhaltiges Reisen betreffe nicht nur die Anreise zum Zielort, sondern auch die Beherbergung, den Aufenthalt und Transporte vor Ort; außerdem die Arbeitsbedingungen, das gastronomische Angebot oder etwa die Aktivitäten in der Natur. Aus Wollesens Sicht muss sich die Branche schneller verändern als dies bisher geschieht. Der Tourismus ist ein wichtiger Wirtschaftsfaktor, doch ohne nachhaltiges Management könne ein Unternehmen auf Dauer nicht überleben. Allerdings brauche es dafür klare gesetzliche Vorgaben, damit Nachhaltigkeit zur Pflicht werde.
"Nachhaltigkeit ist und bleibt unser Leitmotiv", heißt es bei der Lufthansa. Der Konzern habe sich zum Ziel gesetzt, bis 2050 CO2-neutral zu sein, so eine Unternehmenssprecherin. Dabei setze Lufthansa u.a. auf den Einsatz nachhaltiger Flugkraftstoffe, was bisher aber so gut wie nicht geschieht. Auch der Reiseveranstalter TUI wirbt mit Nachhaltigkeit, hat sogar Nachhaltigkeitsbeauftragte wie Kuzey Alexander Esener. Auch hier liege ein Fokus auf neuen Kraftstoffen. TUI biete auch keine Kurzstreckenflüge - sprich: keine Stadtverbindungen - an, so Esener.

An Biokraftstoffen und am Wasserstoffantrieb wird auch am Karlsruher Institut für Technik geforscht. Diese Verfahren seien noch teuer, und bis sie vollständig aus erneuerbaren Energien hergestellt würden, werde es noch zehn bis 15 Jahre dauern, so Klimaforscher Orphal. Wenn die CO2-Bepreisung steige, würden auch die alternativen Kraftstoffe in Zukunft wettbewerbsfähig.

"Reisen Sie lieber weniger, aber dafür richtig", wirbt Manfred Häupl, Geschäftsführer von Hauser Exkursionen. Der Reiseanbieter ist Mitglied beim "Forum anders Reisen", einem Verband für nachhaltigen Tourismus. "Reisen unter 800 Kilometer bieten wir nur mit dem Zug an. Für Reisen ab 3.800 km gibt es einen Mindestaufenthalt von zwei Wochen", erklärt Häupl. Außerdem kompensiere sein Unternehmen alle Europaflüge mit 110 % - das heißt: Ein Klimaschutzprojekt werde unterstützt. 12 % seiner Kunden kompensierten zusätzlich noch freiwillig, sagt Häupl.

Bei den meisten Veranstaltern aber muss sich der Kunde selbst um die Kompensation kümmern. Und nach Schätzungen von Atmosfair, einem der führenden Anbieter für die Kompensation von Flügen, haben vor Corona ungefähr 1 % der Privat- und Geschäftsreisenden deutschlandweit ihren Flug kompensiert.

Die Experten sind sich einig: Dem Klima würde es helfen, wenn seltener gereist würde und dafür länger. Tourismusforscherin Wollesen meint, am besten wäre es, bei Fernreisen sogar zwei, drei Monate einzuplanen. Da aber müssten die Arbeitgeber mitspielen. Nachhaltiger Tourismus, sagt sie, sei komplex und umfasse eben viele Bereiche.
CO2-Preis muss steigen. Wolfgang Strasdas, Forschungsleiter des Zentrums für Nachhaltigen Tourismus an der Hochschule Eberswalde, forscht seit 30 Jahren im Bereich Tourismus. Kunden, Unternehmen und die Politik seien gleichermaßen gefragt. "Die Unternehmen können einiges tun", sagt er - und schlägt konkret folgende Maßnahmen vor: "Ihr Portfolio umstellen, Flüge kompensieren, den Zug statt den Flug anbieten oder auch die Kosten pro Reisetag aufzeigen." Dann werde für die Kunden ersichtlich, dass längere Reisen pro Reisetag günstiger seien.

Den wichtigsten Faktor jedoch müsse die Politik angehen: Der CO2-Preis müsse steigen, so Strasdas. Letztlich funktioniere alles nur über den Preis. Und auch Klimaforscher Orphal sagt: "Das wird die Mammutaufgabe der Politik: die CO2-Bepreisung höherzufahren - und das sozial verträglich umzusetzen."

Flugreisen müssten das Fünffache kosten. 65 Cent Steuer auf Benzin zahlen wir als Autofahrer, die Bahn zahlt ebenfalls - in Form einer Stromsteuer. Nur Kerosin ist steuerbefreit, und für internationale Flüge fällt nicht mal die Mehrwertsteuer an. Der finanzielle Vorteil für den Flieger: fast 12 Mrd. Euro pro Jahr. Wenn eine Kerosinsteuer in gleicher Höhe wie beim Benzin draufkäme, würde beispielsweise der Inlandsflug von Stuttgart nach Berlin und zurück um etwa 24 Euro teurer. Auf der Strecke Frankfurt-Mallorca würde der Preis um rund 60 Euro steigen. Bekanntlich plant die EU-Kommission die Einführung der Besteuerung auch von Kerosin. Doch dagegen wehren sich die Luftfahrtverbände sowie Airlines in Deutschland mit Händen und Füßen. Sie befürchten, dass internationale Airlines beim Wegfall des Wettbewerbsvorteils nicht mehr über beispielsweise Frankfurt als Drehkreuz fliegen, sondern gleich über Dubai oder Amsterdam. Diese Regelung zu streichen, ginge also höchstens im EU-Verbund. Internationale Abkommen müssten dafür geändert werden, was ziemlich unrealistisch ist.

Deshalb fordert Umweltministerin Svenja Schulze, die Luftverkehrsabgabe zu erhöhen. Derzeit fallen zwischen sieben und 40 Euro an Abgabe an - je nach Strecke. Eine Verdoppelung würde auch die Tickets entsprechend teurer machen. Fraglich ist aber, ob das die Passagiere in die Zügetreibt. Ein Bahnticket, etwa für die Strecke Stuttgart-Berlin, kostet zu einer tagsüber ca. 160 Euro im "Supersparpreis". Mit dem Flieger sind es 89 Euro. Ein paar Euro mehr ändern an diesem grundsätzlichen Missverhältnis kaum etwas. Dabei belastet der Flug das Klima deutlich mehr als die Bahnfahrt, auch wenn ein eng bestuhlter Billigflieger ähnlich viel Sprit verbraucht wie umgerechnet ein ICE - zwei Liter pro Passagier und 100 km. Aber der immens negative Klimaeffekt in der Luft ist bis zu fünfmal so groß wie am Boden. Da spielen eine Menge physikalischer Effekte eine Rolle. Wenn es um Klimaschutz ginge, müsste also der Aufschlag für den Flug bis zu fünf Mal so hoch sein wie bei anderen Verkehrsmitteln. Quelle: SWR/Julia Henninger / Werner Eckert, ARD-Umweltexperte / DMM