Alle EU-Länder, das Vereinigte Königreich, die Schweiz und auch Kanada haben russischen Fluggesellschaften verboten ihr Hoheitsgebiet zu überfliegen oder zu landen. Umgekehrt hat dies auch der Kreml angeordnet.
Abgesehen von einem deutlichen weißen Fleck in der Flugverkehrskarte Osteuropas und des europäischen wie asiatischen Bereichs Russlands war die Beeinträchtigung des Langstreckenverkehrs bis Sonntag minimal. Sogar russische Flugzeuge, die den internationalen Luftraum über dem Atlantik nutzen, waren nicht betroffen, obwohl das Gebiet von britischen Flugsicherungsdiensten verwaltet wird.
Aber was ist mit Flügen nach Ostasien? In den frostigsten Tagen des Kalten Krieges bedeutete die Umgehung Russlands nördlich um Grönland herum nach Alaska zu fliegen, in Anchorage aufzutanken und dann um die Beringstraße herum nach Japan zu gelangen. Flüge nach China umgingen das Schwarze Meer und den Kaukasus, vermieden Afghanistan und flogen über Zentralasien nach China ein.
Wie das Reisen durch die Invasion in der Ukraine beeinflusst wird. Zu Beginn des Konflikts am 24. Februar, als das russische Militär mit seinen zahlreichen Mord-Kommandos mit Bombardements und Bodentruppen den Bruderstaat Ukraine angriff, erteilte die US-Luftfahrtbehörde NOTAM (Notice To Air Missions) Anweisungen an US-Fluggesellschaften, Überflüge der gesamten Ukraine, Weißrusslands und westlicher Teile Russlands zu vermeiden. Nur wenige US-Carrier überfliegen seit jeher Russland, und Nonstop-Flüge nach Indien werden nach der mehr oder weniger ausgesetzten Luftfahrt während der Covid-Pandemie nur langsam wieder aufgenommen. Die asiatischen Netzwerke von British Airways und Virgin Atlantic wurden unterdessen größtenteils nicht wiederhergestellt, seit sie infolge Corona eingestellt worden waren. Die relativ geschlossenen Grenzen Japans, Chinas und anderer Länder für internationale Ankünfte bedeuten, dass die Passagierdienste der britischen Fluggesellschaften weiterhin eingeschränkt sind.
Nord-Süd-Umleitungen. Die Hauptprobleme dürften bei den Überflugrechten liegen. Die meisten Passagierflüge zwischen Europa und Ost- oder Südostasien überflogen bisher Russland aus rein geografischen Gründen. Von London oder Frankfurt oder München nach Tokyo z.B. dauert ein Flug etwa 11 bis 12 Stunden, wobei normalerweise nordeuropäische Länder und Russland überquert werden.
- Die erste Option für Fluggesellschaften, die Russland meiden, besteht darin, nach Süden auszuweichen, das Schwarze Meer und den Kaukasus südlichen zu umfliegen, bevor sie Zentralasien überfliegen. Dies wäre eine leicht modifizierte, postsowjetische Version der während des Kalten Krieges geflogenen Strecken London-Indien-Hongkong. Je nachdem, wie weit südlich des Schwarzen Meeres Passagierjets fliegen müssten, würde dies den Nonstop-Zeitplan London-Tokyo um etwa zwei bis drei Stunden verlängern, wäre aber 60 Minuten kürzer als die zweite Option über Alaska.
- Besagte zweite Option über Alaska besteht darin, nach Norden über Grönland und den hohen Norden Kanadas nach Alaska und zur Beringstraße zu fliegen und Ostrussland zu vermeiden. Dies war die Standardsituation für Flüge zwischen Großbritannien und Japan während eines Großteils des Kalten Krieges, als viele Fluggesellschaften einen Tankstopp in Anchorage, Alaska, für Flüge zwischen Europa und Ostasien einlegten.
Entfernung vs. Zeit. Aus heutiger Sicht würde diese Alaska-Route etwa 1.500 bis 2.000 Seemeilen zur kürzesten Great Circle-Route zwischen London und Tokyo hinzufügen, anders formuliert: Der Flug von London oder auch Frankfurt würde etwa drei bis vier bzw. vier bis fünf Stunden länger dauern. Dabei müssten moderne Flugzeuge wie ein A350-900, eine B 777-300ER oder ein Dreamliner B 787-9 vermutlich nicht einmal in Anchorage einen Zwischenstopp einlegen. Eine relativ großzügige Streckenführung von London nach Tokyo über Nordalaska, die Aleuten und um die Kurilen herum beläuft sich auf 6.500 bis 7.000 Seemeilen also 12.000 bis 13.000 km. Die genannten Langstreckenjets können solche Entfernung nonstop bewältigen, wie ca. 20 Flugrouten in der Vor-Corona-Zeit beweisen: Da gab es bereits Non-Stopp-Verbindungen von Dubai nach Houston, San Francisco, Los Angeles und Auckland oder von Hongkong nach Boston und New York. Diese Flüge werden oder wurden regelmäßig von Flugzeugen wie dem Airbus A380 oder der Boeing 777-300ER geflogen, die technisch rund 20 Jahre alt sind. Flugzeuge, die mehr als ein Jahrzehnt neuer sind, wie die Boeing 787 und Airbus A350 oder A330neo, die jetzt alle weit verbreitet sind, wären noch besser in der Lage, diese Strecken zu fliegen.
Keine ETOPS-Probleme. Es ist unwahrscheinlich, dass diese Langstrecken auf Probleme im Zusammenhang mit ETOPS stoßen würden. Nach den Standardregeln (also ohne Berücksichtigung von ETOPS) dürfen Flugrouten einen Höchstabstand zum nächsten Ausweichflughafen nicht überschreiten. Dieser Abstand wird in Flugminuten gemessen. Damit soll erreicht werden, dass bei einem Triebwerksausfall immer noch ein Ausweichflughafen sicher erreicht werden kann. Die ETOPS-Regularien geben nun die Möglichkeit, diese Zeit zum Ausweichflughafen zu „verlängern“, so dass Fluggesellschaften die Route des Fluges verkürzen können. Um dennoch eine hohe Sicherheit für den Flug gewährleisten zu können, werden mit den ETOPS-Vorschriften strenge Anforderungen an die Konstruktion der Flugzeuge und der Triebwerke, an die Wartung der Maschinen, die Flugvorbereitung und die Flugdurchführung gestellt. Moderne Jets sind für dieses Zeitlimit von über sechs Stunden zertifiziert, und Flughäfen in Grönland, Nordkanada, Alaska und Japan sind mehr als in Reichweite.
Fragezeichen China. Nachdem die Retourkutsche des Kreml, Lande- und Überflugverbote für aktuell 36 Länder, Fakt ist, stellt sich die Frage, wie China reagiert, das sich einer Verurteilung Russlands vor dem UN-Sicherheitsrat enthalten hat (ebenso wie Indien und die Vereinigten Arabischen Emirate). Während chinesische Fluggesellschaften derzeit Russland mit Ziel Westeuropa überfliegen dürfen, könnte durchaus eintreten, dass Moskau auch den Chinesen Überflüge verbietet, sofern die Ziele in der EU, in UK, der Schweiz etc. liegen. Das würde so manche Ideen der Lufthansa sowie aller Frachtairlines über den Haufen werfen bzw. stark verkomplizieren.
Finanzielle Auswirkungen. Die gegenseitigen Lande- und Überflugverbote werden gravierende finanzielle Auswirkungen auf viele Fluggesellschaften haben, aber auch für die Wirtschaft Russlands. Immerhin verdient Moskau allein an den Überflugrechten Jahr für Jahr mehrere hundert Mio. US-Dollar. Bis Sonntag, 27. Februar 2022, gab es Dutzende von Flügen aus der EU nach Asien, die täglich den russischen Luftraum passierten. Dabei handelte es sich durchwegs um Großraumjets oder große Cargo-Jets, die für Moskau ansehnliche Tageseinnahmen generierten. Durch die nun notwendigen Umleitungen entstehen den Airlines infolge weniger wirtschaftlicher Routen Mehrkosten, die höher sein werden als die Zahlungen für die Überflugrechte. Experten schätzen, dass Passagiere und Spediteure schon in Bälde mit Zuschlägen rechnen müssen.
Wie sich das Fliegen 2022 verändern wird. Die Planungen von Lufthansa & Co sehen vor, dass die meisten Flüge nach Süden umgeleitet werden und die Rückflüge möglicherweise über Alaska erfolgen. Die Luftfahrt hat heute Zugriff auf viel genauere Wetterberichte, und es könnte sein, dass es bei gutem Rückenwind am besten ist, nach Osten die südliche Route von der EU nach Asien zu nehmen und zurück von Asien über Alaska nach Osten in die EU zu fliegen.
Was auch immer die nächsten Entwicklungen in Bezug auf die Auswirkungen dieses verbrecherischen Kriegs auf die kommerzielle Luftfahrt sein werden – sie könnten am Ende die Art und Weise, wie in Zukunft geflogen wird, auf Dauer verändern. Quelle: DMM