SBB will ihre Skandal-Züge los werden

Die Schweizer Bundesbahnen (SBB) wollen ihre Neigetechnik-Züge der Reihe ETR 470 loswerden. Bei Geschäftsreisenden trugen die flinken Pendolinos die wenig schmeichelhafte Bezeichnung „Kotzzüge“. Die Wagenkastenneigung der neunteiligen Hochgeschwindigkeitszüge wird hydraulisch gesteuert und erreicht einen maximalen Neigungswinkel von 8°. Bei den Schweizer Fahrgästen aber auch bei den deutschen waren die ETR 470 ziemlich verhasst. Sie standen für Unwohlsein, Unpünktlichkeit, wenig Sauberkeit und höchste Unzuverlässigkeit. Deswegen stand die Schweizer Bahn auch ständig im Streit mit dem Hersteller und Trenitalia.

Ausgemustert, mit unschöner Graffity verunziert und ziemlich verschmutzt steht einer dieser Züge an der Züricher Goldküste am Bahnhof Uetikon herum und wartet auf bessere Zeiten, so die Zürichsee-Zeitung. Der ETR 470 (von italienisch ElettroTreno Rapido) ist ein von den SBB und von Trenitalia betriebener Mehrsystem-Neigezug von Alstom, der in Italien, der Schweiz, Deutschland und Österreich zugelassen ist. Über Jahre hinweg bescherte der Pannenzug den SBB Negativschlagzeilen und den Reisenden mieserablen Fahrkomfort.

"Bis Ende 2015 werden alle unsere Züge vom Typ ETR 470 vom Netz genommen", erklärte nun SBB-Sprecher Daniele Pallecchi. Die ETR-470 wurden zwischen September 1996 und Dezember 2014 für den Verkehr von der Schweiz nach Italien eingesetzt. Sie verkehrten über die Simplonroute auf den Strecken Genf–Mailand und Basel–Bern–Mailand, sowie über die Gotthardbahn von Zürich und Basel nach Mailand. Von März 1998 bis Dezember 2006 wurden einige Kurse der Gotthardroute von Zürich über die Gäubahn mit Zwischenhalten in Singen und Rottweil bis Stuttgart verlängert. In Stuttgart fielen die Züge stets dadurch auf, dass sie verspätet ankamen und ebenso verspätet wieder Richtung Zürich starteten. Die Freude bei Geschäftsreisenden, die diesen Zug nutzen mussten, hielt sich sehr in Grenzen, wie DMM des Öfteren berichtete.

Durch die Einführung der Pendolinos konnte die Reisezeit zwischen Zürich und Mailand zwar um nahezu eine Stunde verringert werden (32 Minuten durch schnellere Kurvenfahrt, 21 Minuten durch Wegfall des bei lokbespannten IC notwendigen Lokwechsels in Chiasso), aber es war nie sicher, ob die Züge auch ihr Ziel erreichten. Unterwegs klemmten die Türen, Licht und Heizung fielen aus, die Neigetechnik, die selbst nach Jahren der Verbesserungen gerne ihren Dienst quittierte, bereitete so oder so wenig Reisevergnügen. Funktionierte sie, mussten sich viele Passagiere wegen der Schaukelei übergeben. Deshalb nannte der Volksmund den ungeliebten ETR 470 „Kotzzug“ oder „Schrottkiste“.

Top waren die ETR 470 nur in einem Punkt: der Verspätungsanfälligkeit. Weil nichts richtig funktionierte, kam so gut wie keiner der Triebzüge halbwegs pünktlich an. Und die Sauberkeit ließ während der Zeit, als die Trenitalia noch dafür beauftragt war, mehr als zu wünschen übrig.

Am 19. November 2001 setzte die DB Reise & Touristik AG auf Veranlassung des Eisenbahn Bundesamts (EBA) die zulässige Höchstgeschwindigkeit der Züge im deutschen Netz auf 130 km/h herab, nachdem eine Bauartüberprüfung der Radsätze durch das EBA ergab, dass die verwendeten Radsätze bei dauerndem Einsatz mit höheren Geschwindigkeiten überlastet werden und dadurch das Risiko eines Achsenbruchs entsteht. Das freilich erlebte die Deutsche Bahn dann mit ihrem Flaggschiff ICE 3 und dem Diesel-ICE bei Gutenfürst. 

Die Wartung der vier Schweizer Einheiten erfolgte durch Trenitalia in Mailand, wurde jedoch für die SBB-Züge aufgrund schlechter Erfahrungen ab 2010 in Basel durchgeführt. Wegen ihrer ausnahmslosen Pannenanfälligkeit waren die ETR 470 in den Medien ein regelmäßig wiederkehrendes Thema. Laut Statistiken wiesen im Zeitraum 9. Dezember 2007 bis 13. Dezember 2008 von den 5.936 geplanten Fahrten 665 eine Verspätung von mehr als 15 Minuten auf, mit einer durchschnittlichen Verspätung von 28 Minuten, Ausfälle nicht mitgezählt. Mehr als 80 % der Verspätungen betraf die Richtung Italien–Schweiz. 83 Fahrten erreichten hierbei nie ihr Ziel. In 70 % der Fälle betrafen die Ausfälle die Fahrtrichtung Italien–Schweiz. Die Statistiken zeigen zudem, dass die Verspätungsquote der CIS-Pendolinos aus Italien kommend mit 18,4 % fast vier Mal so hoch war wie bei herkömmlichen EuroCity-Zügen in der gleichen Fahrtrichtung. Alleine am 07. Januar 2009 erreichten von den 26 Cisalpino-Fahrten 13 nie ihr Ziel. Weitere fünf verzeichneten Verspätungen von mehr als 20 Minuten, in drei Fällen mehr als eine Stunde mit einem Spitzenwerten von 103 Minuten.

Im Dezember 2010 urteilte Edwin Dutler, Präsident von Pro Bahn Schweiz, dem Verband Schweizer Bahnbenutzer, über die ETR 470: „Die SBB reden von einer anspruchsvollen Flotte, doch es handelt sich um Schrott.“ Weil die Züge italienischer Machart zu keinem Zeitpunkt zuverlässig verkehrten und sie zudem sehr wartungsintensiv waren, beschloss das SBB-Management, sie bis Ende 2014 aus dem Verkehr zu nehmen. Ob die SBB für die vier Skandalzüge einen Käufer findet, ist fraglich. Weder will das Hauptquartier in Bern darüber sprechen noch über den möglichen Verkaufspreis. Immerhin wissen so gut wie alle Bahngesellschaften um die legendären Krankheiten des ETR 470. Quelle: SBB / DMM