Schwindsucht bei der Lehre des Tourismus an Hochschulen in Deutschland

Nur noch vier staatliche Universitäten in Deutschland bieten heute ein Tourismusstudium an. In Zeiten, in denen die Forschung wichtige Antworten zum Beispiel in Bezug auf Tourismus und Nachhaltigkeit liefern könnte, zu wenig, meinen die Grünen. Deren Bundestagsfraktion hat über ihren tourismuspolitischen Sprecher Markus Tressel deshalb nun eine Kleine Anfrage dazu an die Regierung gestellt. 16 Fragen sollen beantwortet werden, u.a., inwieweit die Bundesregierung, oder das BMWi die Zahl der touristischen Hochschulabschlüsse evaluiert, ob es ein Konzept zur Verbesserung der Lage gibt, und wie sich Förderung touristischer Forschungsprojekte seit 2010 entwickelt hat. Über allem schwebt die Sorge, dass die zunehmende Schwächung der Forschung langfristig die Entwicklung des Tourismusstandorts Deutschland gefährdet.

Der Tourismus ist nicht nur in Deutschland, sondern weltweit eine Wachstumsbranche. Allein der Deutschlandtourismus ist auf jährlich fast 500 Mio. Übernachtungen, rund 3 Mio. Beschäftigte und eine direkten Bruttowertschöpfung von über 100 Mrd. Euro angewachsen (vgl. u.a.: www.btw.de/tourismus-in-zahlen/das-tourismusjahr-2018-ein-ueberblick.html). Damit nimmt der Tourismus einen Spitzenplatz im Vergleich mit anderen Wirtschaftsbranchen ein.Gleichzeitig stößt der Tourismus gerade aufgrund seiner schnellen Wachstumsrate an unterschiedliche Grenzen. Da wären nach Ansicht der Fragesteller nur beispielhaft die drängendsten Probleme für die Tourismusbranche, wie die Digitalisierung, der Arbeits- und Fachkräftemangel oder die Ausbildungs- und Beschäftigungssituationen zu nennen.

Immer drängender für die Touristik insgesamt wird aus Sicht der Fragesteller die Frage des Umweltschutzes und der Nachhaltigkeit in der immer größer werdenden Klimakrise. Sie betrifft nicht nur den Umgang der verschiedenen Destinationen mit veränderten klimatischen Bedingungen, wie zum Beispiel die Alpen oder unterschiedliche Gewässer. Es geht vielmehr um die Frage, wie die gesamte Tourismusbranche sich umweltverträglich ausrichten kann. Das gilt auf der einen Seite für die touristische Mobilität, auf der anderen Seite geht es um die Umweltverträglichkeit der Destinationen selbst. Neben dem nachhaltigen Aspekt muss die Touristik ökonomisch profitabel sein. So steht die internationale Touristik vor vielfältigen Herausforderungen. Diesen Herausforderungen stellt sich die internationale Tourismusforschung.

Aber in Deutschland schließen an immer mehr öffentlichen Universitäten die Lehrstühle für Tourismuswissenschaften. Die Hochschulen für angewandte Wissenschaften können diese immer gravierenden Forschungslücken trotz ausgezeichneter Lehr-Expertise nicht mehr füllen. Der Anteil der Projekte „mit Tourismusbezug“ an allen derzeit von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) geförderten Forschungsprojekten beträgt 0,09 Prozent. Für die Zukunftsfragen des Tourismus braucht es aber eine leistungsfähige Forschung und Lehre an den öffentlichen Hochschulen, um wissenschaftlich fundierte Grundlagen und Lösungsansätze für die Bewältigung der Probleme und Herausforderungen zu liefern.Forschung kann – insbesondere wenn sie partizipativ gestaltet ist – innovative Ansätze, neue Ideen und zukunftsfähige Strategien für die Lösung der Herausforderung und Probleme im Tourismus hervorbringen. Darüber hinaus muss für hochqualifizierten wissenschaftlichen Nachwuchs gesorgt werden, um die Innovationskraft, die Wettbewerbs- und Zukunftsfähigkeit des Tourismus als einen der wichtigsten ökonomischen Sektoren in Deutschland zu sichern.

Die Bundesregierung erarbeitet zurzeit eine nationale Tourismusstrategie, um den Tourismus in Deutschland zu fördern (www.bmwi.de/Redaktion/DE/Downloads/E/eckpunkte-tourismusstrategie.pdf?__blob=publicationFile&v=6 sowie dserver.bundestag.btg/btd/19/110/1911088.pdf). Im Zuge dessen ist es wichtig die aktuelle Situation in den Tourismuswissenschaften zu kennen.

Die Bundestagsfraktionen von Bündnis 90/Die Grünen fragt die Bundesregierung:

  1. Wie haben sich nach Kenntnis der Bundesregierung die Institute für Tourismusforschung an den deutschen Universitäten und Fachhochschulen in den vergangenen zehn Jahren entwickelt (bitte die Entwicklung anhand der An-zahl der Studierenden, der Anzahl der Wissenschaftlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, der Anzahl der Lehrstühle, der Anzahl der Professorinnen und Professoren aufzeigen)?
  2. Wie hat sich die Zahl der Bachelorabschlüsse, Masterabschlüsse, Promotionen und Habilitationen in Themenbereichen der Tourismuswissenschaften an deutschen Universitäten und Fachhochschulen in den letzten zehn Jahren nach Kenntnis der Bundesregierung entwickelt?
  3. Verfolgt die Bundesregierung ein Konzept zur Verbesserung der strukturellen und personellen Situation im Bereich der Tourismuswissenschaft? Wenn ja, welche? Wenn nein, warum nicht?
  4. Inwieweit evaluiert bzw. fördert die Bundesregierung bzw. das BMWi die tourismuswissenschaftliche Forschung des Kompetenzzentrum für Touris-mus des Bundes?
  5. Hat die Bundesregierung vor, Sonderprogramme zur Einrichtung von Forschungsschwerpunkten, zur Finanzierung von Lehrstühlen bzw. -professuren sowie von Promotionskollegs oder Promotionsstudiengänge für die Tourismuswissenschaften einzusetzen bzw. entsprechende Mittel zur Verfügung zu stellen? Wenn nein, warum nicht? Wenn ja, wie gedenkt sie in dieser Angelegenheit mit den für Hochschul-politik zuständigen Ländern zusammenzuarbeiten?
  6. Wie hat sich das für Tourismusforschung seitens der Bundesregierung auf-gewendete Haushaltsvolumen seit 2010 entwickelt (bitte aufgeschlüsselt nach den jährlichen Ist- und Soll-Zahlen und relativ zu den Forschungsaus-gaben insgesamt angeben), und welche Forschungsvorhaben hat die Bundesregierung seit 2010 in diesem Bereich gefördert (bitte jeweils mit Angaben des Titels, des federführenden Ressorts, der Förderhöhe, des Zuwendungsempfängers und der Laufzeit)?
  7. Inwiefern sieht die Bundesregierung Ansatzpunkte zur Verbesserung der Forschungsförderung im Tourismus (bitte getrennt darstellen a) für die Hochschulen und Fachhochschulen Deutschlands sowie b) für außeruniversitäre Forschungseinrichtungen)?
  8. Verfügt die Bundesregierung über Monitoring-/Screening-Instrumente, die ihr kontinuierlich und systematisch die personelle Situation von Forschung, Lehre und Kooperationen im Bereich Tourismuswissenschaft sowohl an den Fachhochschulen als auch an den Universitäten aufzeigen, wenn ja, welche, wenn nein, warum nicht?
  9. Verfügt die Bundesregierung über Monitoring-/Screening-Instrumente, die ihr kontinuierlich und systematisch Umfang und Zielrichtungen der Forschungsförderung für Tourismus sowohl an den Hochschulen Deutschlands als auch im Ausland aufzeigen und wenn ja, welche sind das, wie funktionieren sie und welche Ergebnisse erzielten sie in den vergangenen zehn Jahren?
  10. Wie bewertet die Bundesregierung die Entwicklung der Forschungsförderung für Tourismus sowohl an den Hochschulen und Forschungseinrichtungen in Deutschland als auch im internationalen Vergleich seit 2010 und sind in der laufenden Legislaturperiode Förderschwerpunkte im Bereich Forschung und Entwicklung im Tourismus seitens der Bundesregierung in der laufenden Legislaturperiode geplant; Wenn ja, welche, wenn nein, warum nicht?
  11. Inwiefern engagiert sich die Bundesregierung beispielsweise durch Ausschreibung einschlägiger tourismuswissenschaftlicher Forschungsprojekte der Bundesministerien oder Aufträge an Expertengremien, um Vorschläge für eine nachhaltige und international wettbewerbsfähige Tourismusforschungsinfrastruktur zu entwickeln, die den Tourismus in Deutschland als Wirtschaftsbranche, Destination und gesamtgesellschaftliches Phänomen abbildet und weiterentwickelt?
  12. Inwiefern hat die Bundesregierung Kenntnis über Kooperationen deutscher Hochschulen und Forschungseinrichtungen mit ausländischen Wissenschaftseinrichtungen hinsichtlich tourismuswissenschaftlicher Forschungskooperationen?
  13. In welchem Umfang und mit welchen thematischen Schwerpunkten sind in den letzten zehn Jahren öffentliche Ausschreibungen dezidiert für den Bereich Forschung und Entwicklung im Tourismus ausgegeben worden?
  14. Welche Erkenntnisse hat die Bundesregierung hinsichtlich der Abwanderung von Tourismuswissenschaftlerinnen und -wissenschaftlern ins Ausland (Angaben bitte für die letzten zehn Jahre für die Zahl der im Ausland Studierenden und Lehrenden unter Angabe der Destination)?
  15. Welchen Stellenwert nimmt die Stärkung von Forschung und Lehre in den Bereichen Tourismusforschung und -wissenschaft an den Hochschulen Deutschlands bei der anstehenden Erarbeitung der Aktionspläne im Rahmen der zweiten Stufe der Nationalen Tourismusstrategie ein?
  16. Welchen inhaltlichen Stellenwert werden die Tourismusforschung und die Tourismuswissenschaft in der Nationalen Tourismusstrategie einnehmen? Quelle: Deutscher Bundestag / DMM