Strafvereitelung bei Stuttgart 21

Zwei Juristen und Gegner des Bahnprojekts „Stuttgart 21“, Dr. Eisenhart von Loeper und Dieter Reicherter, haben Strafanzeige gegen zwei Berliner Staatsanwälte erstattet, weil die angeblich jegliche Ermittlungen wegen des Tatverdachts der Untreue gegen Bahn-Konzernchef Rüdiger Grube und Bahn-Vorstandsmitglied Volker Kefer verweigert haben. Auch Bahn-Aufsichtsräte, Staatssekretäre sowie Ex-Kanzleramtsminister Ronald Pofalla und Ex-Wirtschaftsminister Philipp Rösler scheinen gegen die Strafverfolgungsbehörden immun zu sein, so die Anzeige-Erstatter. Dank der frappierenden Untätigkeit der zuständigen Hauptstadt-Staatsanwälte – vorerst zumindest, heißt es auf der Website „http://stuttgart21.strafvereitelung.de/“.

In der Strafanzeige – Tatverdacht des Vergehens der Strafvereitelung im Amt nach § 258 a StGB. – vom 12.11.2015 (liegt DMM vor) wird den Beschuldigten vorgeworfen, dass sie wissentlich als Amtsträger strafrechtliche Ermittlungen verweigert haben, den Tatvorwurf strafbarer Untreue wegen bestehenden Anfangsverdachts aufzuklären, der sich daraus ergibt, dass der Aufsichtsrat der Deutschen Bahn AG am 05. März 2013 den Weiterbau des Bahnprojekts „Stuttgart 21“ trotz eingestandener Unwirtschaftlichkeit beschlossen hat und auch aufgrund der mit erneuter Strafanzeige vom 29. Juni 2015 vorgelegten neuen Dokumente – namentlich aus dem Bundeskanzleramt - tatsachenfundierte Anhaltspunkte dafür sprechen, dass die Tatverdächtigen Dr. Rüdiger Grube, Dr. Volker Kefer, Prof. Dr. Dr. Utz-Hellmuth Felcht, Michael Odenwald, Dr. Bernhard Heitzer, Patrick Döring, Dr. Philipp Rösler und Ronald Pofalla als Folge ihrer Einwirkung auf den Weiterbau von Stuttgart 21 Vermögensnachteile zu Lasten der Deutschen Bahn in Kauf genommen haben.

Das Kanzleramt selbst hat den Anzeigeerstattern inzwischen Dokumente freigeben müssen die untermauern, wie sehr die vormalige schwarzgelbe Bundesregierung 2013 mit aller Macht die gewünschten Entscheidungen des Bahn-Aufsichtsrats herbeigeführt hat. Allem zum Trotz und entgegen dem unwirtschaftlichen Weiterbau von Stuttgart 21. Anzeigeerstatter Eisenhart von Loeper, Rechtsanwalt und Sprecher des „Aktionsbündnisses gegen S 21“ und Dieter Reicherter, selbst ehemaliger Staatsanwalt und Vorsitzender Richter am Landgericht Stuttgart a.D., haben Rückenwind durch ein neues Urteil des Bundesgerichtshofs: Denn dieser erklärt staatsanwaltliche Ermittlungen bereits für geboten, wenn sich die beschuldigten „Vortäter“ auch nur möglicherweise der Straftat schuldig gemacht haben.

Rechtsanwalt Eisenhart von Loeper nennt das Ermittlungsverfahren gegen die Verantwortlichen des Weiterbau-Beschlusses zu S 21 jetzt „unausweichlich“. Das Brisante dabei: Die Berliner Staatsanwaltschaft und die Generalstaatsanwaltschaft hätten deshalb nicht ermittelt, weil die Angezeigten durch den Weiterbau von S 21 nicht nachweislich eine Schädigung der Bahn in Kauf genommen hätten. „Niemand kann aber das mögliche Verschulden der Tatverdächtigen ernsthaft in Zweifel ziehen, so dass jede weitere Verweigerung der Ermittlungen eine Strafvereitelung bedeuten würde“, erklärt Eisenhart von Loeper.

Dieter Reicherter, prominenter Mit-Anzeigeerstatter, hält es aufgrund seiner langjährigen Erfahrung als Strafrichter für „sehr ungewöhnlich“, dass die Strafverfolgungsbehörde umfangreiche Dokumente und Eingeständnisse ausgerechnet des Kanzleramts, die zusammen mit anderen Faktoren ein „erdrückendes Beweismaterial“ für eine weitere Aufklärung ergäben, völlig ignoriere. Rechtsanwalt von Loeper hat deshalb den Berliner Justizsenator Thomas Heilmann um den gesetzlich gewährten Informationszugang zu allen Berichten ersucht, die zwischen der Senatsverwaltung und den ihr nachgeordneten Berliner Stafverfolgungsbehörden im Zusammenhang mit den erstatteten Strafanzeigen gewechselt wurden. Drei Staatssekretäre der Bundesregierung aus dem Verkehrs-, Finanz- und Wirtschaftsressort hatten, weil die Deutsche Bahn Aktiengesellschaft im bundeseigenen Besitz liegt, dort als Aufsichtsräte kraft Gesetzes weisungsunabhängig ihre Entscheidung allein am Wohl dieses Unternehmens zu orientieren.

Nachdem ein Dossier as dem Bundesverkehrsministerium durchgesickert war, das die Berechnungen der Bahn zu den Ausstiegskosten von S 21 für „nicht belastbar“ erklärt und Verhandlungen mit den Projektpartnern über den Ausstieg befürwortet hatte, war das Kanzleramt darüber hochgradig alarmiert, wie dessen Dokumente belegen. Bundeskanzlerin Angela Merkel hatte sich, wie die Vermerke ihrer Mitarbeiter hervorheben, nachhaltig „zu S 21 bekannt“ und ließ nun auf breiter Front vorbehaltlos und definitiv den Weiterbau des Großprojekts verkünden, als wenn der Bahn-Aufsichtsrat nichts zu entscheiden hätte. Die Staatssekretäre gerieten dadurch in ein Dilemma, das ihnen der Sprecher des Aktionsbündnisses gegen S 21 in mehreren Schreiben persönlich vor Augen geführt hatte: Wenn sie ihre Entscheidung gesetzwidrig nicht am Unternehmenswohl der Deutschen Bahn ausrichten würden, werde das strafrechtliche Konsequenzen nach sich ziehen. Allerdings ist vom damals maßgeblichen Ex-Kanzleramtschef bekannt, dass mit Abweichlern vom Fraktions- oder Regierungskurs nicht zimperlich umgegangen wird. In neuerer Zeit ist auch Unionsfraktionschef Volker Kauder mit dieser Haltung aufgefallen. Ronald Pofalla hatte Fraktionsabweichler Wolfgang Bosbach deshalb schon einmal erklärt, er könne „seine Fresse nicht mehr sehen“. Außerdem: „Ich kann deine Scheiße nicht mehr hören.“  

Bekannt ist auch, dass die Bundeskanzlerin S 21 eine „übergroße Bedeutung“ beimisst und sich insoweit auf ihre grundgesetzliche Richtlinienkompetenz beruft (so noch jüngst deren Anwaltskanzlei im Prozess um die weitere Entschwärzung der Vermerke zu S 21 vor dem Verwaltungsgericht Berlin, obwohl keine Richtlinienkompetenz einen Rechtsbruch gestattet). Hätten sich die Staatssekretäre also gegen die Regierungslinie des unbedingten Weiterbaus von Stuttgart 21 gestellt, hätte sie dies voraussichtlich ihr Amt innerhalb der Regierung gekostet. Das Großprojekt Stuttgart 21 mit damals gut 2 Mrd. Euro Kostendefizit wäre aber ohne das Einverständnis der Staatssekretäre nicht weitergebaut worden, weil sie im Aufsichtsrat eine führende Stellung inne hatten. Ziemlich genau lässt sich inzwischen beurteilen, wie das Stimmverhalten der drei Staatssekretäre der Bundesregierung beim Beschluss über Stuttgart 21 am 5. März 2013 zustande kam: Verkehrs-Staatssekretär Michael Odenwald hatte Gespräche mit Ex-Kanzleramtschef Ronald Pofalla (seit diesem Jahr Mitglied des Vorstands der Deutschen Bahn) zu führen. Dazu hat er laut Kanzleramt schon im Voraus eruieren wollen, ob ein Ausstieg aus S 21 politisch akzeptabel sei, was unvereinbar war mit seiner Stellung als Bahn-Aufsichtsrat. Der Wirtschafts-Staatssekretär wurde nach einem präzisen Bericht der „Wirtschaftswoche“ nach einer Krisensitzung einzelner Aufsichtsräte noch kurz vor dem Termin des Aufsichtsrats von Ex-Wirtschaftsminister Philipp Rösler „auf Linie gebracht“. Bedeutet: politisch umgedreht.

Einzig der Finanz-Staatssekretär hat sich dem Dilemma zwischen drohendem Amtsentzug und Strafverfolgung durch plötzliche Krankmeldung entzogen, ohne von seinem gesetzlichen Recht auf ein schriftliches Votum Gebrauch zu machen. All diese Fakten und sehr viel mehr haben die Anzeige-Erstatter der Berliner Staatsanwaltschaften vorgetragen und untermauert. Doch diese verweigern die Ermittlungen, weil angeblich „tatsachenfundierte Anhaltspunkte“ für ein Verschulden der Angezeigten fehlen würden. In Wahrheit wussten die Staatssekretäre, nicht minder die Bahn-Vorstände und Ex-Minister, entgegen den Berliner Staatsanwälten nach monatelanger Debatte sehr genau, dass sie die Schädigung des Unternehmens Deutsche Bahn durch den unwirtschaftlichen Weiterbau von S 21 in Kauf nehmen sollten, weil es politisch „von ganz oben“ so gewollt war.   Alle originalen Dokumente des Kanzleramts zur Causa, die, die Schriftwechsel zwischen den Anzeigeerstattern und der Berliner Staatsanwaltschaft  sowie weitere relevante Schriftstücke und Hintergrund-Infos zum Thema sind auch im Internet unter <link http: www.stuttgart21.strafvereitelung.de>www.stuttgart21.strafvereitelung.de zu finden. Quelle: DMM