Stuttgart21 schafft Gäubahn-Ärger

In Baden-Württemberg gibt es um die jahrlange Abkoppelung der Gäubahn (Stuttgart-Rottweil-Singen-Zürich) Riesenärger. Denn im Zuge der Inbetriebnahme des neuen Tiefbahnhofs Stuttgart 21 wird der Abschnitt der Gäubahn zwischen Stuttgart-Vaihingen und dem Stuttgarter Hauptbahnhof (Panoramabahn) außer Betrieb genommen. Folge: Bis zur voraussichtlichen Fertigstellung des Pfaffensteigtunnels 2032 steht keine umsteigefreie Anbindung für Fahrgäste aus dem Raum südlich von Herrenberg über die Gäubahn zum Stuttgarter Hauptbahnhof zur Verfügung. Das ist auch für Geschäftsreisende eine Zumutung, die sich möglicherweise mehr als ein Jahrzehnt hinziehen kann.

Um die Auswirkungen aus dieser Unterbrechung darzustellen und mögliche Verbesserungspotentiale zu identifizieren, wurden im Rahmen eines Faktenchecks fünf Alternativen diskutiert und bewertet. Für die in diesem Zeitraum vorgesehene Kappung in Vaihingen mit Umstieg auf die S-Bahn und Weiterführung der Gäubahn an einen zu bauenden Nordhalt gibt es keine Alternativen – so das Ergebnis des Faktenchecks. Eine mögliche Verbesserung besteht darin, zusätzlich eine Verlängerung der S-Bahn bis nach Horb zu prüfen.

Ab Mitte 2025 sollen die Züge des Regional- und Fernverkehrs grundsätzlich erst mal nur bis Stuttgart-Vaihingen verkehren. Dort können die Reisenden alle 15 Minuten in Richtung Flughafen/Messe und im Schnitt alle drei bis vier Minuten zur S-Bahn in Richtung Hauptbahnhof umsteigen. Ein Umstieg in die Stadtbahnen der SSB ist ebenfalls möglich. Voraussetzung für diese Variante ist der bereits fertiggestellte neue Regionalbahnsteig sowie die Umsetzung weiterer Infrastrukturmaßnahmen im Bahnhof Stuttgart-Vaihingen.

Für eine Verlängerung von Zügen bis Stuttgart-Nord muss zunächst der Weiterbetrieb der Panoramabahn gesichert und der Nordhalt realisiert werden. Dazu muss insbesondere die Frage geklärt werden, wer als Infrastrukturbetreiber die Panoramabahn von der DB Netz AG übernimmt. Für den Nordhalt laufen die Planungen bereits. Sie werden gemeinsam durch das baden-württembergische Verkehrsministerium, die Landeshauptstadt Stuttgart und den Verband Region Stuttgart betreut. Die Geschäftsstelle hat Zweifel ob – bei Einhaltung der Regelprozesse – eine Inbetriebnahme des Nordhalts vor dem Jahr 2027 erfolgen kann.

Ergänzend zum bisherigen Angebot könnten S-Bahnen weiter bis nach Horb fahren. Dadurch hätten mehr Bahnfahrgäste bis zur Inbetriebnahme des Pfaffensteigtunnels eine umsteigefreie Anbindung an den Stuttgarter Hauptbahnhof. Als Vorzugsvariante ist derzeit die stündliche Verlängerung der heute in Herrenberg endenden S1 vorgesehen. Diese würde an allen Unterwegshalten einen Stopp einlegen. 

Grundlage für eine Weiterführung der S-Bahn bis Horb ist die noch erforderliche Erhöhung der Bahnsteige in Gäufelden. Zur möglichen Finanzierung dieses zusätzlichen Angebots laufen bereits erste Abstimmungsgespräche zwischen dem Verband Region Stuttgart und dem Land. Eine auch im Rahmen des Faktenchecks diskutierte Weiterführung der S-Bahn über Horb hinaus wird von der DB Netz AG, der DB Regio AG und der Geschäftsstelle kritisch beurteilt. Zum einen bedürfe es dafür mehr Fahrzeuge, die an anderer Stelle durch Angebotsreduzierung eingespart werden müssten. Zum anderen ist die Betriebsstabilität aufgrund der langen eingleisigen Abschnitte für die S-Bahn nicht mehr gewährleistet. Zudem haben die modernen S-Bahnzüge der Baureihe 430 sinnigerweise keine Toiletten an Bord, sodass der Einsatz von S-Bahn-Fahrzeugen weder sinnvoll noch wirtschaftlich ist.

Untersucht wurde im Rahmen des Faktenchecks auch die Führung ausgewählter Gäubahnzüge ab Böblingen ohne Halt über Renningen und Stuttgart-Zuffenhausen in den neuen Stuttgarter Hauptbahnhof. Diese wird nicht empfohlen, da sie bei kleinsten Verspätungen zu hohen Verspätungsübertragungen auf den Fern- und Regionalverkehr führen. Die Führung der Züge über Tübingen oder durch die S-Bahn-Stammstrecke ist technisch problematisch. So können auf der Stammstrecke aus technischen Gründen ausschließlich S-Bahnfahrzeuge der Baureihe 423 und 430 verkehren. Die Führung über Tübingen würde eine kostspielige und zeitaufwendige Teilelektrifizierung erfordern. Zudem käme es zu einer halbstündigen Fahrzeitverlängerung.

Stimmen der Fraktionen
Laut Rainer Ganske (CDU/ÖDP) sei allgemein bekannt, dass Mischverkehre dazu neigten, Verspätungen zu produzieren. Eine Verlängerung nach Horb mit einer Länge von 20-30 km berge daher ein hohes Verspätungsrisiko. Zudem gebe es einen Mangel an verfügbarem Personal. Für ihn sei daher die oberste Prämisse: „Wir wollen die Verlängerung der S-Bahn bis nach Horb, aber nicht zu Lasten unserer Fahrgäste.“ Die über 300.00 S-Bahnfahrgäste täglich hätten Priorität gegenüber der potenziellen 900. „Themen, wie die Schließung der Taktlücken und geplante Verbesserungsmaßnahmen können nicht hintenanstehen“, so Ganske.

Laut Prof. Dr. André Reichel (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) handle es sich bei der Thematik um ein selbst gemachtes Problem von Stuttgart 21. „Wir haben hier einen Teil der Verantwortung, weil wir als Verband Projektpartner sind“, so Reichel. Aus Sicht seiner Fraktion sei der Faktencheck kein Faktencheck, sondern eine DB Präsentation und Faktenfarce. Deswegen sei eine Wiederholung durch externe Gutachter nötig. „Wir haben hier ein selbstverursachtes Problem, für das wir pfiffige Lösungen finden müssen.“

Bernhard Maier (Freie Wähler): „Die Region ist Träger der S-Bahn und die S-Bahn ist nicht unterbrochen. Die politische Verantwortung liegt nicht bei uns.“ Er fragte sich, warum das Problem so groß gemacht werde. „Für 900 Leute, die zum Hauptbahnhof wollen, soll ein ganzes System auf den Kopf gestellt werden.“ Seine Fraktion werde keiner Lösung zustimmen, die auch nur in geringen Teilen eine Einschränkung der S-Bahn bedeute.

Für Thomas Leipnitz (SPD) gebe es eine Reihe weitere Fragen zu klären, wie den Ergänzungsbahnhof, der für S-Bahn und Panoramabahn Schwierigkeiten bereiten werde und dessen Beerdigung dringend notwendig sei. Einer S-Bahn bis Horb wäre die SPD gegenüber nicht abgeneigt, wenn die Rahmenbedingungen, wie z. B. die Barrierefreiheit, Technik und Finanzierung geklärt seien.

Armin Serwani (FDP) könnte sich mit einer Verlängerung nach Horb anfreunden. Aufgrund der Fahrzeit bezweifle er jedoch die Attraktivität der Verbindung.

Laut Michael Knödler (DIE LINKE/PIRAT) löse eine S-Bahnverlängerung nach Horb nicht die Probleme. „Wenn wir dafür den Takt verschlechtern müssen oder Verbindungen verkürzen müssen, ist es keine Alternative“, so Knödler. Quelle: VRS / DMM