Tourismus trägt an der globaleren Erwärmung größere Schuld

„Wir haben die Maßstäbe für Wertigkeit verloren. Jeder glaubt, billig überall hinkommen zu können. In der Tourismusbranche ist aber die Ökonomie selbst ein gutes Argument, denn kurzfristige Sichtweisen nach dem Motto: ‚Wir nehmen mit, was geht‘ verhindern bleibende Wertschöpfung“, sagt Claus-Peter Hutter, Präsident der Stiftung NatureLife-International und Autor zahlreicher Bücher und Publikationen zu Umwelt- und Verbraucherthemen.

Etwa 8 % des weltweiten Ausstoßes von Treibhausgasen wird offenbar durch Leisure-Reisende verursacht. Zu diesem Ergebnis kam eine Forschergruppe um den Physiker Manfred Lenzen von der Universität Sydney in der Zeitschrift „Nature Climate Change“. Bislang wurde davon ausgegangen, dass der Tourismus für höchstens 3 % verantwortlich sei. Auch stellten die Autoren ein Wachstum der Tourismusbranche mit rund 4 % pro Jahr fest. Das ergab eine Analyse von 160 Ländern (Stand: 2018).

Die Reisewirtschaft spielt auch eine wichtige Rolle zur Erreichung der Nachhaltigen Entwicklungsziele der Vereinten Nationen (SDGs). In der Agenda 2030 wird der Tourismus mit drei konkreten Zielvorgaben (Goal 8, 12 und 14) ausdrücklich erwähnt: Bis 2030 sollen politische Rahmenbedingungen geschaffen werden, die einen nachhaltigen Tourismus fördern, der Arbeitsplätze schafft sowie lokale Gemeinschaften unterstützt. Zudem sollen nachhaltige Konsum- und Produktionsmuster etabliert und Instrumente entwickelt werden, die die Auswirkungen des Tourismus auf eine nachhaltige Entwicklung der Welt dokumentieren.

Aktuell gibt es im nachhaltigen Tourismus noch eine Vielzahl großer Herausforderungen. Das belegt auch eine Nachhaltigkeitsstudie der TUI-Gruppe vom Frühjahr 2017. Es wurden über 3.000 Personen befragt, die in den vergangenen zwei Jahren mindestens eine Reise unternommen hatten. Untersucht wurde die Einstellung zum nachhaltigen Reisen in Deutschland, Großbritannien, Frankreich, Schweden, Belgien und den Niederlanden. Das Ergebnis: Bereits jeder zehnte europäische Urlauber (11 %) bucht umweltfreundliche Hotels. Überdurchschnittlich liegen die Ferienunterkünfte mit Nachhaltigkeitsfaktor bei Deutschen und Franzosen im Trend.

Die Untersuchung zeigt auch Hürden auf dem Weg zu einem stärkeren nachhaltigen Tourismus: So bemängeln 55 % der Befragten fehlende Informationen und Angebote. Die Mehrheit aller Befragten von 66 % ist der Meinung, dass eine höhere Verantwortung zur nachhaltigen Gestaltung von Reisen bei den Touristikunternehmen als bei ihnen selbst liegt (in Deutschland 70 %). In den Hotels beispielsweise ist Gästen mit Blick auf die Nachhaltigkeit wichtig, dass Reiseveranstalter auf lokal oder regional bereitgestellte Lebensmittel achten – aber auch darauf, dass Essen nicht verschwendet wird.

Für 84 % der Teilnehmer ist es wichtig, dass jeder dazu beiträgt, den CO2-Reise-Fußabdruck zu reduzieren. 68 % gaben an, sie dass sie für das Wohl der Umwelt bereit seien, auch Kompromisse in ihrem Lebensstil zu machen. Hauptmotive bei den grundsätzlichen Einstellungen zum Thema Nachhaltigkeit sind der Schutz der Umwelt und das Wohl von Tieren.

2015 hat die TUI-Gruppe ihre Nachhaltigkeitsstrategie „Better Holidays, Better World 2015-2020“ beschlossen, bis 2020 auf allen Ebenen des Unternehmens das Thema zu verankern. Unter anderem ist vorgesehen, jährlich 10 Mio. nachhaltigere Reisen anzubieten. Bis 2020 soll hier Europas emissionseffizienteste Airlines betrieben und die CO2-Intensität der Geschäftstätigkeit um 10% gesenkt werden.

Viele deutsche Touristen betonen, dass sie nachhaltiger verreisen würden, wenn ihnen entsprechende Labels dabei helfen würden. Im Deutschland-Tourismus gibt es zwar eine Vielzahl davon, aber sie sind den meisten nicht bekannt. Deshalb hat der Bundesverband Die VERBRAUCHER INITIATIVE e. V. in der Studie „Anforderungen an Unternehmenszertifizierungen für nachhaltigen Tourismus in Deutschland“ (2017) gemeinsam mit dem ZENAT 36 Zertifizierungssysteme auf Grundlage internationaler Richtlinien untersucht und dabei ihre inhaltlichen Ansprüche sowie ihre Transparenz und Prozesse anhand von 69 Kriterien analysiert. Ergebnis: Die meisten Zertifikate werden für Hotels vergeben, seltener für Reiseveranstalter. Lediglich vier Labels (TourCert für Reiseveranstalter und Unterkünfte, Travelife Gold und Green Sign/Infracert) erfüllen über 75 % der strengen Kriterien. Weitere elf erreichten über 50 %. Bei den meisten Zertifikaten werden jedoch zwei Drittel der entsprechenden Kriterien erfüllt – allerdings bleiben die inhaltlichen Ansprüche häufig hinter den Ansprüchen eines nachhaltigen Tourismus zurück. Vor allem soziale Kriterien (z.B. die Zufriedenheit der Mitarbeitenden) werden oft vernachlässigt. Besser steht es im Bereich Umwelt- und Ressourcenschutz, wo das EU Ecolabel und die internationalen Umweltmanagement-Standards EMAS und ISO 14000 weit vorn liegen.

Das Gemeinschaftsprojekt „Green Travel transformation“ hat eine einheitliche Kennzeichnung für nachhaltige Reiseangebote eingeführt. Durch die neue Markierung werden für Reisebüros nachhaltig zertifizierte Hotelangebote zum ersten Mal großflächig im deutschlandweit meistgebuchten Beratungs- und Angebotssystem „Bistro Portal“ sichtbar und buchbar. Studien ergaben, dass bis zu 71 % der deutschen Reisenden an nachhaltigen Reiseangeboten interessiert sind, aber nur 33 % nachhaltige Aspekte bei der Buchung berücksichtigen, weil entsprechende Informationen nicht zur Verfügung standen. Mit der neuen einheitlichen Kennzeichnung soll sich das ändern.

Der Deutsche Tourismusverband führte 2016 gemeinsam mit dem Bundesumweltministerium und dem Bundesamt für Naturschutz einen Praxisleitfaden zur „Nachhaltigkeit im Deutschlandtourismus“ ein. Zeitgleich registrierte das Forum anders Reisen, ein Zusammenschluss von etwa 130 kleinen und mittelständischen Reiseveranstaltern, die das sozial- und umweltverträgliche Reisen fördern, ein durchschnittliches Umsatzwachstum von 14,25 %. Quelle: Dr. Alexandra Hildebrandt (Nachhaltigkeitsexpertin und Wirtschaftspsychologin) / DMM