Tourismusbranche vor weitgehender Erholung???

Der am Dienstag, 08.03.2022 anlaufende ITB Berlin Kongress zeigt sich unbeeindruckt vom räumlich sehr nahen Krieg in der Ukraine. Zusammen mit Statista Q gilt der Blick dem Reisejahr 2022 und der Zukunft der Tourismusbranche.

Bereits 2021 war eine deutliche Entspannung spürbar: 36 % Umsatzwachstum im Vergleich zu 2020. Die Branche setzte im vergangenen Jahr, laut Mobility Market Outlook (MMO) von Statista, global rund 260 Mrd. Euro um. 2022 werden es mehr als 353 Mrd. Euro sein, vorausgesetzt es bleibt nur bei der Drohung Wladimir Putins eines Atomschlags gegen Westeuropa. Bis zur vollständigen Erholung dauert es den Experten des MMO zufolge bis 2024.  

Die Corona-Pandemie hat das Reiseverhalten der vergangenen zwei Jahre maßgeblich beeinflusst und wird das auch in den kommenden Jahren tun. Doch welche Entwicklungen und Trends sind von Dauer? Im Global Consumer Survey (GCS) von Statista aus dem Februar 2022 mit mehr als 2.000 Befragten (freilich vor dem Ukraine-Krieg, insofern mit größter Vorsicht zu genießen) zeigt sich, welche Trends aus dem Markt kommen und wie diese einzuschätzen sind. 

Reisende fordern mehr Flexibilität. Flexibilität ist seit Pandemiebeginn eine Grundbedingung für den Tourismus. Während die Mehrheit der Reisenden in Deutschland für den Antritt internationaler Reisen 2019 noch eine Entscheidungszeit über 3 Monaten brauchte, entscheiden sich mittlerweile 28 % der Touristen innerhalb von 1-3 Monaten. Knapp ein Viertel sogar weniger als vier Wochen vor Reiseantritt. Die Relevanz von Reiserücktrittsversicherungen ist im Vor-Corona-Vergleich um fast 10 % gestiegen, die von Reiseabbruchsversicherungen sogar um über 20 %. Der Kundenwunsch nach Flexibilität drückt sich auch darin aus, dass die Nutzung von Online-Buchungs-Apps um über 40 % im Vergleich mit 2019 zugenommen hat. Im Binnentourismus ist diese Flexibilität schon vor der Pandemie zugegen gewesen: Mehr als die Hälfte der reisenden Deutschen entschieden sich laut GCS maximal drei Monate vor Reiseantritt für Inlandsreisen.

Deutschland-Tourismus verjüngt. Durch Covid befindet sich der Binnentourismus im Höhenflug: Während der Anteil an den Übernachtungen deutscher Gäste im Juni 2019 nach Daten von DESTATIS bei 84 % lag, betrug er sowohl im Juni 2020 und 2021 94 %. Obwohl die erhoffte Rückkehr ausländischer Touristen diesen Anteil senken wird, ist vor allem bei den unter-30-Jährigen eine eindeutige Veränderung sichtbar. Der GCS zeigt: Deutschlandreisen sind beliebter denn je. Auch im nächsten Jahr wollen über 38 % der Reisenden unter 30 Jahren eine Inlandsreise vornehmen, eine Steigerung von fast 25 %. Insgesamt planen 72 % der reisenden Deutschen in den nächsten 12 Monaten einen Inlandsurlaub. 2019 lag dieser Anteil noch bei 39 %. Während 12 % als Grund für den Inlandsurlaub Nachhaltigkeit angeben, sind 37 % der Meinung, dass Deutschland-Urlaub ebenso aufregend wie eine Auslandsreise sein kann.

„Smart Accommodation“, Künstliche Intelligenz und Erkennungstechnologie. Über die Hälfte aller vor dem Krieg befragten Reisenden ist eigenen Angaben zufolge für zukünftige Reisen an neuer Technologie interessiert. Smart-Home-Geräte sind für 21 % der Touristen aus Deutschland, den USA und Großbritannien interessant, etwas weniger beschäftigen sich mit Erkennungstechnologie, Virtueller Realität und individualisierten Reiseempfehlungen durch Künstliche Intelligenz. 

„Workation“. Vor allem für Teile der urbanen Bevölkerung entwickelt sich neben den klassischen Reiseformaten Urlaub, Familienbesuch, Sightseeing und weiteren ein neuer Reisegrund: das Arbeiten. „Working from anywhere“ oder auch „Workation“ genannt. Workation ist ein Kofferwort, das sich aus den beiden amerikanischen Begiffen „work“ und „vacation“, also Arbeit und Urlaub zusammensetzt. Dieses Konzept wurde im Sommer 2021 durch Sundar Pichai, CEO von Google, einer breiteren Masse bekannt, indem er in einer veröffentlichten E-mail verkündete, jedem Mitarbeitenden stünden bis zu vier Wochen „Workation“ zu. Vielleicht entwickelt sich damit eine neue Kundengruppe, die mit völlig neuen Bedürfnissen und einem Geschäftsreise-untypischen Verhalten neue Potenziale entstehen lassen können.

Was bedeutet der Krieg in der Ukraine für den internationalen Tourismus? Laut UNWTO betragen die Ausgaben der Ukraine und Russland für grenzüberschreitenden Reiseverkehr in das Ausland gemeinsam ca. 3,2 % des weltweiten Volumens im Jahr 2019. Die angrenzenden osteuropäischen Staaten tragen ca. 1,8 % zu den weltweiten Aufwendungen bei. Die globalen Gesamtausgaben betragen 2019 insgesamt rund 1.500 Mrd. US-Dollar. An den internationalen Touristenankünften 2019 in Höhe von knapp 1,5 Mrd. haben die Ukraine und Russland einen kumulierten Anteil von ca. 2,6 %, die angrenzenden osteuropäischen Staaten ca. 5,3 %. Quelle: Messe Berlin / DMM