Versäumnis rächte sich - Premierenfahrt ging schief

Zum Fahrpanwechsel am Sonntag, 13. Dezember 2020, sollte die Aufnahme des elektrischen Betriebs zwischen München und Zürich im Abschnitt Geltendorf-Lindau eigentlich gefeiert werden. Doch einer der ersten Hochgeschwindigkeitszüge der SBB wurde am Bahnhof Hergatz auf das nicht elektrifizierte Gleis 1 geleitet. Dabei ging der Stromabnehmer des Triebzuges zu Bruch, die Oberleitung wurde beschädigt. Die Fahrgäste mussten in Regionalzüge umsteigen, die Fernstrecke musste gesperrt und der Superzug mit einer Diesellok abgeschleppt werden.

Gleich bei der zweiten Fahrt zur Premiere der elektrifizierten Allgäubahn (München-Memmingen-Lindau) von Zürich nach München wurde im Bahnhof Hergatz am Sonntag ein Schweizer Hochgeschwindigkeitszug auf ein nicht-elektrifiziertes Gleis geleitet. Dabei wurde die Oberleitungsanlage im Abzweig zum fahrdrahtlosen Gleis beschädigt und die Fernstrecke musste gleich mal gesperrt werden. Foto: BR24

30 Minuten schneller von Lindau nach München – das sollte dank der Elektrifizierung der Bahnstrecke Geltendorf-Lindau ab Sonntag, 13.12.2020, möglich sein. Nach 24 Jahren Planungs- und Bauzeit endete die Premierenfahrt allerdings abrupt auf einem falschen Gleis, ohne Oberleitung. Die erste Fahrt eines Schweizer ETR 610 auf der neu elektrifizierten Strecke von München nach Lindau verlief noch problemlos. Auf der Rückfahrt wurde der aus Zürich kommende Fernzug der Schweizerischen Bundesbahnen (SBB) dann allerdings unplanmäßig im Bahnhof Hergatz (Landkreis Lindau) gestoppt. Ein Fahrdienstleiter hatte den Zug auf ein Gleis ohne elektrische Oberleitung geleitet. So kam der Triebzug im Bahnhof Hergatz zum Stillstand. "Als der Lokführer gemerkt hatte, dass er fehlgeleitet wird, ließ er den Zug noch weiterrollen, so dass er Zug vollständig am Bahnsteig stand", erläuterte ein Bahnsprecher.

Bei dem Zwischenfalls wurde infolge der Fehlleitung die Oberleitung beschädigt, so dass die Strecke gesperrt werden musste. Dem Triebfahrzeugführer des ECE gelang es nicht, den Stromabnehmer schnell genug zu senken, so dass beim Überleiten auf das stromlose Gleis 1 die Fahrleitung im Bereich des Abzweigs beschädigt wurde. Die Passagiere des ECE stiegen auf Regionalzüge um. Der Fernverkehr auf der betroffenen Strecke wurde nach der Panne in beiden Richtungen eingestellt. Ein Reparaturtrupp wurde nach Hergatz geschickt. Am Montag konnte die Bahn den Schaden noch nicht abschätzen und auch nicht sagen, ab wann die Fernverkehrsstrecke wieder nutzbar sein wird. Der Regionalverkehr, der im Abschnitt Lindau-Hergatz-Memmingen noch Dieselzügen betrieben wird, ist nicht betroffen. Jedoch seien Verspätungen möglich. Wie es zu der Panne kam, war zunächst unklar.

Für Bahnexperten und den Fahrgastverband PRO BAHN offenbart dies, dass beim Ausbau der Strecke an den falschen Stellen gespart wurde. „Das Gleis 1 wurde aus nicht nachvollziehbaren Gründen nicht mit einer Oberleitung  versehen und ermöglicht auch keine Ausfahrten in Richtung Memmingen, weil dazu die Weichen fehlen. Flexibler Betrieb, z.B. eine unplanmäßige Überholung, wird dadurch deutlich erschwert“, moniert Lukas Iffländer, stv. bayerischer Vorsitzender des Fahrgastverbands. „Hätte man dieses eine Gleis im Bahnhof Hergatz ebenfalls mit Fahrleitung ausgestattet, müsste man den Bahnhof nicht nochmal umbauen, wenn die vom Verband und der Region geforderte Elektrifizierung der Allgäubahn über Kempten und Immenstadt nach Hergatz folgt.“

Der Fahrgastvertreter fordert daher, nicht nur durch eine intensive Schulung der Fahrdienstleiter elektrische Einfahrten auf Gleis 1 zu verhindern, sondern auch bei der Infrastruktur nachzulegen: „Die DB Netz muss die Versäumnisse bei der ‚Elektrifizierung Light‘ nachholen, das Gleis 1 ebenfalls mit Fahrleitung zu überspannen und zusätzliche Weichen schaffen, um sowohl von Gleis 1 nach Memmingen als auch von Gleis 3 nach Kempten ausfahren zu können.“ Auch die anderen Bahnhöfe der Strecke müssen überprüft werden.

Timm Kretschmar, Beisitzer im bayerischen Landesvorstand, geht noch einen Schritt weiter: „An den beiden Bahnhofsköpfen braucht es aus unserer Sicht Abstellgleise, die bisher fehlen, um Züge bei Störungen und Bauarbeiten in Hergatz flexibel enden und beginnen lassen zu können und Güterzügen ein Umspannen zu ermöglichen und den Dieselanteil weiter zu reduzieren.“ Quelle: Pro Bahn / DMM