Volvo-Test: Raserei bringt nur Nachteile

In keinem Land der Welt darf man so schnell fahren wie in Deutschland. Ein offizielles Tempolimit gibt es nicht. Und so verwundert nicht, dass die meisten schweren Verkehrsunfälle auf unangepasste Geschwindigkeit zurückzuführen sind, so Statistiken von Polizei und Versicherungen. Volvo ist der erste Automobilhersteller, der alle neuen, seit Juni 2020 produzierten Modelle nur noch mit einer auf 180 km/h abgesicherten Höchstgeschwindigkeit ausliefert. Dieses klare Statement des schwedischen Premium-Automobilherstellers für mehr Sicherheit und Umweltschutz wurde über Monate in der Öffentlichkeit intensiv und kontrovers diskutiert.

Volvo Deutschland ließ einen Test durchführen mit Fahrzeugen, die neuerdings auf 180 km/h begrenzt sind und Automobilen, die noch schneller fahren konnten. Das Ergebnis: Raserei jenseits der 180 km/h bringt nur Nachteile. Fotos: Volvo

Überwiegend schnell fahren bedeuet einen wesentlich höheren Treibstoffverbrauch, der mächtig ans Geld geht.

Der medizinische Check hinterher ergab einen teils höheren Stresslevel der Schnellfahrer. Die Wissenschaft besagt, dass damit die Unfallgefahren potenziert werden.

Dass dies letztendlich „eine ausschließlich emotionale Diskussion“ ist, wie Volvo Car Germany Geschäftsführer Thomas Bauch formuliert, spiegelt sich in den Ergebnissen von Vergleichsfahrten wider, die jetzt von unabhängigen Medienvertretern durchgeführt wurden – mit baugleichen Fahrzeugen ohne und mit Absicherung. Der geringe Zeitgewinn wurde überwiegend mit höheren Verbräuchen und teilweise auch mit mehr Stress bezahlt. Die Fahrfreude indes blieb ungetrübt.

Die in der zweiten Juli-Hälfte durchgeführten Vergleichsfahrten erfolgten mit dem beliebtesten Modell der Marke: Die eingesetzten Mittelklasse-SUV Volvo XC60 waren jeweils mit einem 173 kW (235 PS) starken B5 AWD Mild-Hybrid Dieselmotor unterwegs. Das Fahrzeug aus dem Modelljahr 2020 erreichte noch eine Höchstgeschwindigkeit von 220 km/h. Alle neuen Fahrzeuge des aktuellen Modelljahres 2021 verfügen dagegen unabhängig von der Motorisierung über eine Absicherung bei 180 km/h.

Geringe Zeitersparnis, mehr Verbrauch. Die Ergebnisse der Vergleichsfahrten spiegeln die Erwartungen von Hersteller und Importeur wider: Die insgesamt geringe Zeitersparnis wurde zum Teil mit einem deutlichen Plus beim Kraftstoffverbrauch und teilweise auch mit mehr Stress bezahlt, was zwangsläufig negative Auswirkungen auf die körperliche und geistige Leistungsfähigkeit hat. Am Ende aller durchgeführten Fahrten lag der größte Zeitunterschied auf der 458 km langen Strecke gerade einmal bei zwölf Minuten zugunsten des nicht abgesicherten Modells. Der durchschnittliche Zeitvorteil betrug lediglich vier Minuten, zwei Teams kamen sogar zeitgleich ins Ziel.

Im Gegenzug belief sich der Mehrverbrauch nach 458 km in der Spitze auf 10,21 Liter Diesel. Im Durchschnitt verbrauchten die nicht abgesicherten Fahrzeuge 5,22 Liter mehr als die abgesicherten, aber kaum langsameren Fahrzeuge. Die erzielte Durchschnittsgeschwindigkeit betrug unter Berücksichtigung aller Fahrten 122,81 km/h (nicht abgesichert) bzw. 120,56 km/h (abgesichert).

Nicht nur an der Tankstelle wird es teurer. Der Preis für einen Liter Diesel lag zum Zeitpunkt der Testfahrten um 1,08 Euro, an Autobahnen sogar ca. 20 Cent und mehr darüber. Die wenigen Minuten Zeitvorsprung der nicht abgesicherten Fahrzeuge waren – wie zu erwarten – deshalb auch beim Bezahlen an der Tankstelle sichtbar: Der Spitzenreiter in Sachen hoher Verbrauch zahlte nach 458 km elf Euro mehr als der drei Minuten später eintreffende „Herausforderer“ an einer Kölner Tankstelle. Ein Vielfahrer mit 20.000 Autobahn-Kilometern pro Jahr käme bei diesem Mehrverbrauch auf Mehrkosten an der Tankstelle von leicht über 500 Euro. „Nicht zu vergessen: Bei dauerhaft hoher Belastung eines Fahrzeugs ist selbst bei bester Produktqualität auch der Verschleiß in der Regel höher. Das wiederum bedeutet über die Dauer des Fahrzeugbesitzes höhere Unterhaltkosten und eine höhere Belastung der Umwelt“, so Volvo Geschäftsführer Thomas Bauch.

Übliche Verkehrssituation auf deutschen Autobahnen. Die teilnehmenden zwölf Medienvertreter legten zu normalen Wochen-Tageszeiten zwischen ca. 9 und 14 Uhr insgesamt 458 km zurück, davon 445 km auf Autobahnen. Von Köln über die A555, A560 via Bonn zur A3, dann weiter, vorbei an Frankfurt/Main, bis nach Aschaffenburg und von dort über die A45 nach Olpe. Die letzten 80 Kilometer führten über die A4 wieder zurück nach Köln – eine klassische Langstrecken-Autobahnfahrt, bei der hohe Geschwindigkeiten überhaupt erst möglich sind. Es ergab sich somit über die gesamte Dauer der Vergleichsfahrten eine für deutsche Autobahnen übliche Verkehrssituation.

Die an allen Tagen nahezu identischen Voraussetzungen dokumentieren die Aufzeichnungen deutlich: Zwischen dem langsamsten und dem schnellsten Fahrzeug aller Vergleichsfahrten lagen gerade einmal 14 Minuten (3:39 zu 3:53 Stunden Fahrtzeit).

Weniger Stress bei gemäßigtem Tempo. Vor und nach der Fahrt wurden nicht nur die Tankfüllungen, Verbräuche und Fahrzeiten der Volvo XC60 B5 Mild-Hybrid Diesel AWD Modelle überprüft. Auch die Fahrerinnen bzw. Fahrer wurden besonders auf die Vergleichsfahrten vorbereitet und dabei überwacht. So wurden sie mit einem Cortrium C3+ Langzeit-EKG zur Aufzeichnung der Herzfrequenz ausgerüstet. Darüber hinaus wurden mittels Blutabnahmen die Veränderung der Stress auslösenden Botenstoffe Cortisol, Adrenalin und Noradrenalin analysiert. Die medizinische Beratung erfolgte durch Dr. med. Ulf T. Esser, Internist in der Kölner Klinik „Links vom Rhein“.

In den Ergebnissen der Langzeit-EKG-Aufzeichnungen fanden sich bei allen Probanden keine signifikanten Unterschiede. Die Auswertung der Stresshormone zeigte hingegen bei einzelnen Probanden in den nicht abgesicherten Fahrzeugen eine leichte Erhöhung der Werte.

„Meines Erachtens war es den Fahrerinnen und Fahrern aufgrund der Verkehrsbedingungen auf deutschen Autobahnen überhaupt nicht möglich, dauerhaft an die Grenzen des 220 km/h schnellen Fahrzeugs zu gehen. Wäre dies möglich gewesen, wären meines Erachtens die Ergebnisse anders ausgefallen. Ich bin der Überzeugung, dass dann die Stressreaktionen signifikant erhöht gewesen wären, somit wäre auch der Einfluss auf das Befinden des Fahrers am Zielort, sowohl in geistiger als auch körperlicher Hinsicht, deutlicher spürbar. Des Weiteren erkennt man, dass Langstreckenfahrten in einem modernen Pkw heute generell entspannt und sicher möglich sind“, so die Schlussfolgerung von Dr. med. Ulf T. Esser.

Momentaufnahme mit eindeutig positivem Ergebnis. „Auch wenn die durchgeführten Vergleichsfahrten nicht repräsentativ sind und keinen Anspruch auf eine wissenschaftliche Studie erheben, liefern sie als Momentaufnahme dennoch eindeutige Fakten und Zahlen, die einmal mehr nur einen Schluss zulassen: Vorausschauendes, gleichmäßiges und verantwortungsvolles Fahren erhöht die Sicherheit im Straßenverkehr, trägt aufgrund des geringeren, klimaschädlichen CO2-Ausstoßes zur Nachhaltigkeit der Mobilität bei und hat gleichermaßen positive Auswirkungen auf das körperliche Wohlbefinden des Fahrers. Risiken werden minimiert. Einen negativen Einfluss auf die Fahrfreude gibt es dagegen nicht“, erläutert Deutschland Geschäftsführer Thomas Bauch am Ende des Tests. Und fügt hinzu: „Wenn schon bei professionellen Automobil-Journalisten die Unterschiede so deutlich werden, die lange Strecken hinter dem Steuer gewohnt sind und die dank ihrer Erfahrung auch in kritischen Situationen routiniert bleiben, dann dürfte es in einer Gesamtbetrachtung aller Verkehrsteilnehmer noch größere Unterschiede geben. Das bestärkt uns in unserer Meinung, dass die Absicherung genau der richtige, wichtige Schritt in die Zukunft ist, der perfekt zu unserer Marke passt.“

Akzeptanz für Tempolimit wächst. Immer mehr Autofahrer sprechen sich derweil für ein generelles Tempolimit auf deutschen Autobahnen aus. Drei Fünftel der privaten deutschen Fahrzeughalter (60 Prozent) halten eine Geschwindigkeitsbegrenzung laut einer repräsentativen, am 7. Juli 2020 veröffentlichten Umfrage von AutoScout24 für sinnvoll. Die erhöhte Sicherheit, aber auch der geringere CO2-Ausstoß wurden dabei von den 1.041 teilnehmenden Autohaltern als häufigste Gründe angeführt. Mittlerweile sind selbst Automobilclubs von einem generellen Tabu für Tempolimits abgerückt.

Das Statistische Bundesamt veröffentlichte am 21. Juli 2020 die Bilanz der Verkehrsunfälle in Deutschland im zurückliegenden Jahr 2019. Darin wird zwar positiv hervorgehoben, dass die Zahl der Verkehrstoten im Vergleich zu 2010 um 16,5 % auf 3.064 zurückging, dennoch kommt noch immer alle neun Stunden ein Mensch auf deutschen Straßen bei einem sogenannten „Geschwindigkeitsunfall“ ums Leben. An die jeweilige Fahrsituation nicht angepasste Geschwindigkeit spielt also noch immer eine wichtige Rolle bei den tödlichen Verkehrsunfällen. Thomas Bauch: „Mit der Absicherung unserer Fahrzeuge wollen wir dazu beitragen, dass sich die Verkehrssicherheit weiter verbessert und noch weniger Menschen bei einem Unfall ums Leben kommen. Jedes gerettete Menschenleben ist uns diese Maßnahme wert“.

Ausnahmen nur für Sonderfahrzeuge. Die Absicherung der neuen Volvo Modelle auf eine Höchstgeschwindigkeit von 180 km/h kann nach Auslieferung an den Kunden nicht verändert („freigeschaltet“) werden. Ausnahmen gibt es nur für bestimmte, zweckgebundene Modelle wie Polizei- oder Rettungseinsatzfahrzeuge, die ab Werk ohne Absicherung ausgeliefert werden. Quelle: Volvo / DMM