VW-Konzern soll 192 Mrd. Euro Schulden haben

„Wenn man 50 Dollar Schulden hat, so ist man ein Schnorrer. Hat jemand 50.000 Dollar Schulden, so ist er ein Geschäftsmann. Wer 50 Millionen Dollar Schulden hat, ist ein Finanzgenie. 50 Milliarden Dollar Schulden haben – das kann nur der Staat.“ Die Quelle des Zitats ist unbekannt. Und das Zitat ist offensichtlich falsch, jedenfalls wenn man sich den ungeheuren Schuldenberg des Volkswagenkonzerns anaschaut. Der türmt sich nach Finanzinsidern inzwischen auf 192 Milliarden US-Dollar.

Es soll kein zweites Unternehmen auf dem Globus geben, das derart schrecklich in der Kreide steht. Nur die beiden Staaten Ungarn und Südafrika sollen ähnlich hoch verschuldet sein. Aber das ist gar nichts gegen die 3,5 Billionen Euro Schulden, die die Bundesrepublik inzwischen angehäuft hat und von denen niemand weiß, wie sie spätere Generationen jemals abtragen können.

Unter den Top Ten der Schuldenliste von Janus Henderson Investors in London befinden sich neben Volkswagen vier weitere Automobilhersteller: Daimler (3), Toyota (4), Ford (7) und BMW (8). Für die Verschuldung macht Henderson nicht nur Zukunftsinvestitionen und Corona-Folgen, sondern auch die großen Finanzierungssparten der Automobilhersteller verantwortlich. Finanzexperten sehen in Autoherstellern gern schon einmal als Banken mit angeschlossener Fahrzeugproduktion.

Immer beliebter: Leasen und Finanzieren. „Die Schuldlast von Volkswagen ist teilweise auch durch die Autofinanzierungssparte aufgebläht“, so Raphael Lulay, Analyst bei der Onlineplattform Kryptoszene. Banken arbeiten mit einem höheren Fremdkapitaleinsatz als Industrie- und Dienstleistungsunternehmen. „Eine zunehmende Zahl unserer Kunden entscheidet sich für die Finanzierung bzw. das Leasing ihrer Fahrzeuge. Es ist eines unserer wichtigen Assets, dieses sehr ertragsstarke Finanzdienstleistungsgeschäft im eigenen Haus zu haben“, erläutert VW-Sprecher Oemisch. Das Bankgeschäft erfordere naturgemäß den Einsatz von Fremdkapital. Auch die Volkswagen Bank sei finanziell solide aufgestellt und verfüge seit Jahren über entsprechende Ratings.

Laut Henderson ist die Verschuldung deutscher Unternehmen durch die kapitalintensive Automobilindustrie und ihre Aktivitäten im Bereich der Autofinanzierung weltweit die zweithöchste nach den USA.

Volkswagen, so wird uns suggeriert, ist kerngesund und steckt – ebenso wie andere Automobilhersteller – mitten in der größten Transformation seiner Geschichte. 2019 hat der Konzern 19,3 Mrd. Euro verdient, 12,3 % mehr als im Vorjahr. Der Absatz steigt. Die Rendite auch. Jedenfalls war das vor Corona so. Inzwischen sieht es schon wieder anders aus. 2019 setzten sich die Wolfsburger deutlich vom Negativtrend der Branche ab, die schon damals unter einer sinkenden Nachfrage litt. „Der Volkswagen Konzern verfügt in einer kapitalintensiven Branche über eine robuste finanzielle Basis, was seit Jahren in soliden Bewertungen der Rating-Agenturen zum Ausdruck kommt“, betont Volkswagen-Sprecher Christoph Oemisch. Naja, den eigenen Journalisten wird vermutlich nur eingetrichtert zu verbreiten, was dem Vorstand gefällt.   

Trotzdem reicht das Eigenkapital nicht aus, um die Milliarden-Investitionen in die Megatrends Elektromobilität, Digitalisierung und Vernetzung zu stemmen. Hinzu kommen die finanziellen Folgen der Corona-Pandemie. Was soll’s? Unternehmen wie der Volkswagen-Konzern bringen beste Voraussetzungen für günstige Kredite mit. Sie sind ertragsstark und innovativ. Zudem sind die Zinsen niedrig wie nie. Au die riesigen Schulden schaut man erst gar nicht. Wirdecard lässt grüßen, wobei der Vergleich etwas hinkt; denn bei Wirecard war ja echter Betrug über Jahre an der Tagesordnung und Ernst & Young, die Bafin und die Bundesregierung spielten das böse Spiel mit.

Anzunehmen ist, dass auch der Leiter des Center of Automotive Management (CAM, Bergisch Gladbach) keinen Schimmer von den tatsächlichen Verhältnissen bei VW hat. Immerhin bezeichnet er den VW-Konzern als den mit Abstand innovativsten Automobilkonzern. Er ließ u.a. die Innovationen und Weltneuheiten in unterschiedlichen Technologiebereichen bewerten. Hinter Volkswagen folgen Daimler, BMW, Tesla und Hyundai. Andere global tätige Experten sehe Tesla einsam an der Spitze vor allen anderen Herstellern dieser Welt. „Volkswagen verfügt über ein höheres Forschungsbudget als Tech-Größen wie Microsoft und Apple oder andere Automobilhersteller“, weiß Raphael Lulay.

Nach Angaben von Henderson wird die Verschuldung der Unternehmen in diesem Jahr um bis zu einer Billion auf insgesamt 9,3 Billionen US-Dollar steigen, anders ausgedrückt, wir reden von 9.300 Mrd. Dollar oder 9.300.000 Mio. Dollar, eine schwindeleregende Zahl. „Wegen der wegbrechenden Gewinne und der unsicheren Aussichten in der Corona-Krise saugen sich die Unternehmen mit Liquidität voll“, prophezeit Fondsmanager Janus Henderson.

Schon in den vergangenen Jahren hatten die 900 größten Nicht-Finanzunternehmen, die sich an der Henderson-Studie beteiligten, immer mehr Schulden aufgenommen. Von 2014 bis 2019 wuchs der Schuldenberg um 37 % und damit deutlich schneller als der Gewinn vor Steuern, der um 9,1 % auf 2.300 Mrd. Dollar zulegte. „Fremdfinanzierte Übernahmen, umfangreiche Aktienrückkäufe, Rekorddividenden und rückläufige Gewinne aufgrund von Handelsspannungen sowie einer weltweiten Konjunkturabschwächung haben die Finanzmittel von Unternehmen verringert“, heißt es in der Henderson-Studie.

Verschuldung war schon einmal höher. „Kredite sind an sich nichts Schlechtes, solange sie angemessen sind. Angesichts niedriger Zinsen sind die Unternehmen im Großen und Ganzen in der Lage, ihre Schulden zu bedienen“, stellt Daniela Brogt, Head of Sales Deutschland und Österreich bei Janus Henderson, fest. Markus Demray, Ökonom am Institut der deutschen Wirtschaft (IW), schätzt die Situation insbesondere mit Blick auf die Automobilindustrie ähnlich ein. Er sieht keine Anzeichen dafür, dass die Branche ihre Schulden nicht zurückzahlen könnte. Aber das haben ganz andere auch schon gedacht und gesagt. Wenn es dann doch zum großen Crash kommt, dann war der nicht vorhersehbar. So denken und arbeiten die Analysten. Im Übrigen verweist Demray darauf, dass der Automotive-Sektor seine Eigenkapitalquote von 19,8 % im Jahr 1997 auf 31 % im Jahr 2018 gesteigert und seine Verschuldung damit sogar abgebaut habe. 2020 freilich kehrt sich das alles wieder um. Nix ist es mehr mit toller Eigenkapitalquote.

So ist es kein Wunder, dass sich auch die Börse von der Henderson-Nachricht über den hohen VW-Schuldenberg unbeeindruckt zeigte. Der Aktienkurs blieb am Tag der Veröffentlichung stabil. Das war zu Beginn der Corona-Pandemie ganz anders. Damals sank der Kurs der VW-Aktie auf 86 Euro. Inzwischen ist sie rund 140 Euro wert. Zu Jahresbeginn war das Papier mit 180 Euro gehandelt worden. Quelle: DMM / Rainer Strang (ampnet)