Zahl der Passagierbeschwerden steigt sprunghaft an

Auch im 1. Halbjahr 2022 hatte die Covid-19-Pandemie noch massiven Einfluss auf die Verkehrs- und Reisebranche, wenn auch auf andere Weise als in den Vorjahren. Und auch die Sommermonate Juli bis September waren für hunderttausende Flugpassagiere alles andere als lustig. Ursächlich waren die erstarkte Reiselust von Privat- und Geschäftsreisenden, personelle Engpässe bei Airlines und Flughäfen sowie massive Infrastrukturprobleme. Zahlreiche daraus erwachsene Konflikte zwischen Reisenden und Verkehrs- und Reiseunternehmen wurden durch die Schlichtungsstelle für den Öffentlichen Personenverkehr (söp) geschlichtet.

Für Millionen von Passagieren war der Sommer 2022 ein Horror. Unzählige Verspätungen und Flugausfälle waren beinahe die Regel. Foto D

In den drei Sommermonaten waren sage und schreibe 68 Mio. Reisende von Verspätungen und Flugausfällen  betroffen, davon 8,3 Mio. mit Abflug aus Deutschland. Flüge von europaweit 3,7 Mio. Passagieren wurden gestrichen. Die meisten Probleme gab es bei Flügen aus Tschechien, Belgien und Ungarn: Über die Hälfte aller Flüge von dort kam mit Verspätung ans Ziel. In Deutschland waren es mit 45 % der Flüge ebenfalls überdurchschnittlich viele.

Per Juni 2022 gingen rund 8.400 Schlichtungsanträge bei der söp ein, was weitgehend dem Fallvolumen in demselben Zeitraum des Vorjahres entspricht. Dies suggeriert Kontinuität, doch waren Schlichtungsanträge im 1. Quartal 2021 noch häufig mit Ereignissen des ersten „Corona- Jahres“ 2020 verknüpft und nahmen im 2. Quartal 2021 sukzessive ab. Hingegen belegt der Falleingang im 1. Halbjahr 2022, dass sich die Verkehrs- und Reisebranche schrittweise aus der Talsohle herausarbeitete, in die 2021 die vergleichsweise geringen Buchungszahlen aufgrund der corona-bedingten Reisebeschränkungen bzw. Reisezurückhaltung geführt hatten. 

Während die Anzahl der Schlichtungsanträge im 1. Quartal 2022 unter dem Volumen des 1. Quartals 2021 lag, nahmen ab dem 2. Quartal 2022 die Fallzahlen im Vergleich zu 2021 markant zu. So gingen im Juni 2022 1.647 Schlichtungsanträge bei der söp ein - und damit mehr als doppelt so viele wie im Juni 2021 (806 Anträge).  

Im Sommer 2022 dann gab es gleich massenhaft verärgerter Privat- und Geschäftsreisende infolge zig tausender gestrichener oder verspäteter Flüge. Und viele Airline-Kunden mussten und müssen nach wie vor müssen ihrem Geld hinterherlaufen. So ist die Zahl der Beschwerden von Kunden über Airlines bei der söp im August deutlich gestiegen. Allein im Bereich Flug gingen 2.593 Schlichtungsanträge ein, so die söp.
Ein Ende der Beschwerdewelle scheint vorerst nicht in Sicht. "Wir gehen davon aus, dass uns auch in den nächsten Tagen zahlreiche Schlichtungsanträge erreichen", sagte söp-Geschäftsführerin Sabine Cofalla. Bis 23. September gingen bereits 2.404 Anträge bei der söp ein. Die Verbraucherschlichtungstelle schätzt, dass sich der Trend zahlloser Beschwerden bis in den November hinein fortsetzen wird. 

Bislang ist es üblich, dass Reisende ihre Flugtickets bereits bei der Buchung und damit oft Monate im Voraus bezahlen müssen. Alle Reisenden sind somit Kreditgeber und bekommen dafür keinen Cent Zins. Laut dem Land Niedersachsen, das einen Antrag im Bundesrat gestellt, die Vorkasse bei Flugreisen abzuschaffen, benachteiligt diese Praxis die Fluggäste. Denn gestrichene Flüge gehen so gut wie immer zu Lasten der Reisenden. Nach Flugstornierungen ist es es äußerst mühsam, wieder an sein Geld zu kommen. Das aber lehnt die Luftfahrtbranche ab; denn billiger als über viele Milliarden Euro/Dollar per Vorkasse kämen die Airlines nicht an Geld. 

Wie DMM mehrfach berichtete, lehnen Airlines für Luftfahrtverbände eine Änderung des System Vorkasse ab, wie es Verbraucherschützer und z.B. auch der VDR seit Langem fordern. Denn dann könnten Fluggesellschaften mit den zum Nulltarif kassierten Milliarden an Dollar/Euro ihrer Kunden etc. nicht mehr kalkulieren. Der Bundesverband der Deutschen Luftverkehrswirtschaft (BDL) beruft sich bei seiner Ablehnung des Vorkasseprinzips  auf die international üblichen Abrechnungsverfahren. Mit dem vorab eingenommenen Geld zum Nulltarif erreichten die Fluggesellschaften eine größere Planungssicherheit. Auch könnten die Kunden dadurch von Frühbucherrabatten profitieren. Zinsen an ihre Kunden für das Billigstgeld zu bezahlen, lehnt die Branche rigoros ab.

Die söp ist nach dem Verbraucherstreitbeilegungsgesetz (VSBG) von der Bundesregierung als Verbraucherschlichtungsstelle anerkannt und zudem bei der EU notifiziert. Die söp arbeitet sachlich unabhängig und neutral für alle Reisenden, die sich zuvor erfolglos gegenüber ihrem Verkehrs- bzw. Reiseunternehmen beschwert haben. Kernaufgabe der söp ist die außergerichtliche Streitbeilegung in individuellen Streitfällen zwischen Reisenden und Unternehmen. Hiermit verbunden ist das Ziel der Wiederherstellung bzw. die Stärkung der Kundenzufriedenheit. Quelle: www.soep-online.de / DMM