DMM Der Mobilitätsmanager

24 Der Mobilitätsmanager 12.2018 Geschäftsreise • Luftfahrt gie zwischenFluggesellschaften, Flughäfenund Ländern äußerst wichtig ist. DMM: Bei Annullierung, Überbuchung oder Verspätung ab drei Stunden haben Passagie- re zwar laut EU-Verordnung Anspruch auf eine Entschädigung von bis zu 600 Euro – aber nur, wenn kein „außergewöhnlicher Umstand“ daran schuld ist. Die Fluggesell- schaften werten Streiks als außergewöhnli- chen Umstand und verweigern Entschädi- gung. Der Bundesgerichtshof gab ihnen in diesem Punkt recht. Als Ausnahme gilt, wenn der Passagier nachweisen kann, dass die Fluggesellschaft nicht alles getan hat, um die Streikfolgen abzumildern. Wie kommen Streigeschädigte dennoch zu ihrem Recht? Stonkus: Die Fluggesellschaft hat zu beweisen, dass sie keine Entschädigungen zahlen muss, nicht umgekehrt. Fluggesellschaften versuchen manchmal, die Situation zu ihren Gunsten zu drehen. Die Streiks imSommer bei Ryanair sind ein gutes Beispiel für einen solchen Versuch. Die Iren sagten, dass alle Anträge auf Schadens- ersatz abgelehnt werden, und behaupteten, die Streiks hätten sich ihrer Kontrolle entzogen. Nach der EU-Verordnung und den Schlussfol- gerungen des Europäischen Gerichtshofs sieht die Situation jedoch anders aus: Art. 5 Abs. 3 der Flugentschädigungsverordnung Nr. 261/2004 enthält eine klare Regel: Ein ausfüh- rendes Luftfahrtunternehmen ist nicht ver- pflichtet, eine Entschädigung zu zahlen, wenn es nachweisen kann, dass die Annullierung auf außergewöhnliche Umstände zurückzuführen ist, die selbst nicht vermiedenwerden konnten, wenn alle zumutbaren Maßnahmen ergriffen wurden. Der 14. Erwägungsgrund der Verord- nung sieht vor, dass Streiks, die den Betrieb eines Luftfahrtunternehmens betreffen, eines der möglichen Beispiele für außergewöhnliche Umstände sind. In der Vergangenheit haben die Luftfahrtunternehmen versucht, die genannten Bestimmungen so auszulegen, dass jede Art von Streik als außergewöhnliches Ereignis an- zusehen ist. Diese Auslegungwurde vomEuro- päischenGerichtshof bereits 2008 aufgehoben, als er klarstellte, dass der 14. Erwägungsgrund nur eine indikative Liste der als außergewöhn- lich empfundenenUmstände enthält, abhängig vom jeweiligen Sachverhalt (Fall Wallentin- Hermann, C-549) / 07). ImApril 2018 ging das Gericht nochweiter: In der Rechtssache TUIfly (Helga Krüsemann u. Andere gegen TUlfly GmbH, verbundene Rechtssachen C-195/17, C-197/17 bis C-203/17 usw.) wurde ein rich- tungweisendes Urteil zur Beurteilung der Frage vorgelegt, ob ein Streik ein außergewöhnlicher Umstand ist. Im Urteil befand der Gerichtshof einen „wilden Streik“ – der sich als spontane Abwesenheit eines erheblichen Teils des Flug- personals äußerte, was dazu führte, dass Flüge für drei Stunden oder mehr storniert oder ver- spätet wurden – als einen Streik, der in den Einflussbereich des Luftfahrtunternehmens fällt, und somit nicht als „außergewöhnlicher Umstand“ betrachtet werden kann. Somit hat der EuGH einen Präzedenzfall geschaffen, der festlegt, dass Streikaktionen von Angestellten der Luftfahrtgesellschaft nicht als außerge- wöhnliche Umstände betrachtet werden, da selbst die extremen Fälle von Streiks der Beleg- schaft, wie z. B. „wilde Streiks“, der Kontrolle des Luftfahrtunternehmens unterliegen. DMM: Viele Airlines zahlen nur sehr ungern undwenn, dann nur unter Druck Entschädi- gungen an Kunden aus. Aktuell beträgt die an Kunden nicht ausgezahlte Kompensati- onssumme etwa 3 Mrd. Euro. Jeder zehnte Fluggast weltweit erlebt aktuell Verspätun- gen oder Ausfälle. Und 95 % von 400 Mio. Passagieren sehen kein Geld, weil sie die bürokratischenHürden, die die Airlines auf- gebaut haben, scheuen. Stonkus: In der Realität verschreckt eine schwierige und unklare bürokratische Struktur viele Kunden. Andererseits wissen nur 40 %der Passagiere über ihre Rechte Bescheid. Leider beantragt nicht jeder von diesen 40 % eine Ent- schädigung, und diejenigen, die dies tun, geben oft auf, weil sie zu viele Schritte unternehmen müssen oder keine Antwort erhalten. DMM: D ie meisten Annullierungen gab und gibt es 2018 auf den Flugstrecken Frankfurt- Berlin-Frankfurt,München-Düsseldorf-Mün- chenundMünchen-Frankfurt; die schlimms- ten Verspätungen auf allen Flügen nach Palma deMallorca. Die innerdeutschen Lini- en sind fast ausschließlich Geschäftsreise- Rennstrecken. Spüren Sie ein Aufkommen von Kunden dieser Strecken bei Ihnen bzw. welche Flugstrecken betreffen die meisten Anfragen bei Ihnen? Stonkus: Dass es nach Palma de Mallorca Ver- spätungen gibt, hängt mit der starken Auslas- tung des Flughafens zusammen. Bestimmte Destinationen, die aufgrund einer großen geo- grafischen Abdeckung den höchsten Umsatz erzielen, könnenwir nicht unterscheiden. Man könnte sagen, dass Tendenzen einzelner Flug- gesellschaften eher sichtbar sind als bestimm- te Strecken. Wir haben z.B. festgestellt, dass wir nach jedem Schneesturm mit Anfragen überschwemmt werden. Leider könnenwir den Fahrgästen in diesen Situationen nicht helfen – das Wetter kann man sich nicht aussuchen. DMM: Sie haben ein Ranking der zehn schlimmstenAirlines zusammengestellt, die nicht gerne zahlen. Dazu zählen Vueling, TAPAir Portugal, Iberia, Air Baltic, Blue Air, Aeroflot, Eurowings, Swiss, Laudamotion (inzwischen weitgehend Ryanair) und die kürzlichPleite gegangene Small Planet.Wor- auf genau basiert diese Rangordnung? Nervig: Stundenlange Warterei im Terminal. Geht überhaupt noch ein Flug pünktlich?... Interview GZ Fotos Adobestock/sablin I GZ I Skycop

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