Nervende und superteure Staus

Als Geschäftdreisender, der mit Geschäfts- oder Mietwagen in deutschen Städten unterwegs ist, verwünscht man infolge der oft massiven Staus so manchen Tag. Deutschland belegt im weltweiten Vergleich des Stauaufkommens der verkehrsreichsten entwickelten Länder Platz 11 und landet europaweit auf Platz vier. Autofahrer verbringen hier zu Stoßzeiten pro Jahr durchschnittlich 30 Stunden im Stau. Die durch Staus entstandenen Gesamtkosten liegen bei 80 Mrd. Euro, pro Fahrer ergibt das einen Durchschnitt von 1.770 Euro pro Jahr.

In Deutschland analysiert die Traffic Scorecard 2017 von IRIX (ein weltweit führender Anbieter von dynamischen Services für das vernetzte Automobil und datenbasierte Verkehrsanalysen in Echtzeit)  ) die Verkehrslage von 73 Städten und großen Ballungsräumen, elf mehr als im Jahr 2016. 

München führt das Ranking zum zweiten Mal in Folge an und ist damit auch 2017 die verkehrsreichste deutsche Stadt. Autofahrer steckten hier während der Stoßzeiten durchschnittlich 51 Stunden im Stau fest, vier Stunden mehr als im Jahr 2016. In München entstanden dadurch Kosten in Höhe von 2.983 Euro pro Fahrer im Jahr, auf die Stadt gerechnet summiert sich der Betrag auf 2,9 Milliarden Euro. Eine Ursache für den Anstieg ist die relativ hohe Anzahl von Baustellen an wichtigen Verkehrsknotenpunkten.   

Berlin und Hamburg. Den dramatischsten Anstieg verzeichnen die Hansemetropole und die Hauotstadt. In Hamburg, 2017 auf Rang 2 gelistet, stieg die Zahl der pro Fahrer im Stau verbrachten Stunden von 39 auf 44, in Berlin von 38 auf 44. Das führte zu enormen Kosten in beiden Städten, 6,9 Mrd. Euro pro Jahr in Berlin und 3,5 Mrd. in Hamburg. Auch hier liegt ein Zusammenhang mit Bauprojekten nahe, die zur Instandhaltung und Verbesserung der Infrastruktur durchgeführt wurden, wie etwa die Renovierung des Wallringtunnels in Hamburg oder die Ausbesserung der Fahrbahnbeläge auf der A113 und A100 in Berlin.   

In Stuttgart blieb die Zeit, die Autofahrer im Stau verbrachten, gleich, sie lag auch 2017 bei 44 Stunden pro Fahrer. Die dadurch entstandenen Kosten lagen mit 2.386 Euro pro Fahrer um 150 Euro über dem Vorjahreswert. Damit stieg die Summe der Kosten für alle Autofahrer in Stuttgart um fast 250 Mio. Euro auf 918 Mio. Euro pro Jahr.  

Baden-Württemberg hat sein Budget für Maßnahmen zur Erhaltung der Straßenqualität erhöht, daher konnten zwischen 2011 und 2016 über 1.000 km Bundes- und Landesstraßen verbessert werden, die aber durch den massiven Lkw-Verkehr rasch wieder ruiniert werden. Vor allem im baden-württembergischen Heilbronn sind große Verbesserungen zu verzeichnen, dort fiel die durchschnittlich im Stau verbrachte Zeit von 45 auf 38 Stunden pro Jahr. So konnte sich Heilbronn vom zweiten auf den siebten Platz im Deutschland-Ranking verbessern. Den wahrscheinlich größten Effekt hatten hier der Abschluss vieler Bauprojekte im Vorfeld der „BUGA 2019“ sowie die Eröffnung der Karl-Nägele-Brücke im Juli 2017.                 

„Staus kosten die Deutschen 80 Mrd. Euro pro Jahr, bedrohen das Wirtschaftswachstum und beeinträchtigen die Lebensqualität“, sagt Dr. Graham Cookson, Chef-Volkswirt bei INRIX. „Die Stadtplaner investieren jedes Jahr Milliarden, um das Straßennetz in Stand zu halten und zu verbessern. Aber das Verkehrsaufkommen nimmt stetig zu (vor allem der zerstörerische Straßengüterverjehr), und um künftige negative Folgen auf die Wirtschaft zu verhindern und die Mobilitätsherausforderungen zu meistern, müssen wir in intelligente Verkehrssysteme investieren.“

„Es zeigt sich deutlich, dass die zunehmenden sanierungsbedingten Baumaßnahmen partiell zwar Verbesserungen mit sich bringen, insgesamt die Stauproblematik kurz- bis mittelfristig jedoch verschärfen. Der Fluch der guten Tat! Daher müssen sich die Städte auch für alternative Mobilitätslösungen öffnen. Die immer detaillierter werdende Datenbasis und die daraus resultierenden Ergebnisse sind ein wichtiges Hilfsmittel für die Städte, ihre Maßnahmen zu bewerten und gegebenenfalls anzupassen, was aufgrund eigener Datenerhebung so nicht möglich wäre,“ sagt Professor Michael Schreckenberg, Verkehrsexperte an der Universität Duisburg-Essen.  

Auf Basis der Daten von 300 Mio. vernetzten Automobilen und Geräten untersucht die INRIX Traffic Scorecard das Verkehrsaufkommen zu unterschiedlichen Tageszeiten in unterschiedlichen Straßenabschnitten. Beispielsweise analysiert sie den Pendlerverkehr in den Zentren, auf den Wegen in die Stadt hinein und aus ihr heraus, während und außerhalb von Stoßzeiten, während der Arbeitswoche sowie an Wochenenden.  

Wichtige Ergebnisse für Deutschland  

Verkehr in den Innenstädten

  • München hatte zu Stoßzeiten die höchste Staurate auf Hauptverkehrs- und Innenstadtstraßen, 27 % der Gesamtfahrzeit wurden durch Staus beeinträchtigt. Im Vergleich dazu lag diese Rate in Los Angeles, der weltweiten Stauhauptstadt, lediglich bei 21 %.
  • Während der Hauptverkehrszeiten liegt die Durchschnittsgeschwindigkeit mit 9 km/h in München um 72 % unter der Gesamtdurchschnittsgeschwindigkeit von 30 km/h.
  • In Mönchengladbach fällt die Geschwindigkeit bei Stau in der Innenstadt am meisten, auf lediglich 7 km/h, gefolgt von Berlin mit 8 km/h.  
  • Pendler in Frankfurt verbringen auf dem Weg in das Zentrum oder aus der Stadt heraus noch vergleichsweise wenig Zeit im Stau, die Staurate liegt hier bei 16 %. In München und Hamburg liegt dieser Wert dagegen bei 26 %, in Stuttgart, Heilbronn und Würzburg bei 25 %. 
  • Auf den Hauptstraßen nach München hinein und aus der Stadt hinaus reduziert sich die Durchschnittsgeschwindigkeit im Berufsverkehr um 45 % von 65 auf 20 km/h.
  • Außerhalb der Hauptverkehrszeiten ist der Verkehr auf den Münchner Einfallstraßen in beiden Richtungen mit einer Staurate von 12 % erstaunlich gering, verglichen mit 26 % in Würzburg und 19 % in Heilbronn. In Frankfurt (4 %) und im Ruhrgebiet (8 %) ist dieser Wert sogar extrem niedrig.   Wirtschaftliche Auswirkungen · 
  • In Würzburg leidet die Wirtschaft am meisten unter dem Stau, mit einer Staurate von 20 % an Werktagen außerhalb des Berufsverkehrs. Dort verbringen die Autofahrer tagsüber pro Jahr durchschnittlich 32 Stunden im Stau – der höchste Wert in ganz Deutschland.
  • Würzburg hat auch die höchste Staurate auf den Ein- und Ausfallstraßen, dort stecken die Fahrer 26 % ihrer Zeit im Stau.  

Deutschlands staureichste Straßen

Die schlimmste Staustrecke lag 2017 auf der A6 in Mannheim zwischen den Ausfahrten Mannheim-Sandhofen und Viernheimer Dreieck. Fahrer verlieren auf dem 6,5 km kurzen Teilstück durchschnittlich 69 Stunden pro Jahr – fast drei Tage. Die zweitgrößte durchschnittliche Verzögerung wurde auf der B27 in Stuttgart gemessen, 31 Stunden pro Fahrer und Jahr, auf der Strecke zwischen Siegmaringer Straße und Neue Weinsteige. Münchens schlimmster Abschnitt, auf Platz zehn der Liste, liegt auf dem Mittleren Ring zwischen Olympiapark und Westpark. Auf diesen 6,7 km verlieren die Fahrer pro Jahr 27 Stunden.   

Deutsche Städte im weltweiten Vergleich  

Verglichen mit den staureichsten Städten der Welt verbringen deutsche Autofahrer einen relativ hohen Anteil der Zeit im Stau. Fahrer in Los Angeles stehen lediglich 12 % ihrer gesamten Fahrzeit im Stau, in München sind es 16 %, in Hamburg und Berlin 14 und in Stuttgart 13 %. IN New York City sind’s 13 %, in San Francisco 12 %, in Atlanta 10 %, n London 13 %. Doch im Vergleich rund um den Globus ist das noch wenig, zum Beispiel stehen Fahrer in der russischen Stahlmetropole Magnitogorsk 44 % ihrer Fahrzeit im Stau.  

Die INRIX 2017 Traffic Scorecard bietet eine quantifizierbaren Vergleichsindex für Regierungen und Städte rund um den Globus, mit dem sich Verbesserungen der städtischen Mobilität und die Auswirkungen von Smart-City-Initiativen messen lassen. Die Analyse 2017 umfasst das Stauaufkommen in 1.360 Städten in 38 Ländern und damit fast 300 Städte mehr als in der letztjährigen Studie – es handelt sich somit um die umfangreichste Staustudie weltweit. Quelle: INRIX / DMM