Deutschlands Industrie geht in die Knie

Deutschlands Tage als industrielle Supermacht sind gezählt. Die Energiekrise bedeutete für viele Betriebe in Deutschland den Todesstoß. Und das politisch gelähmte Berlin scheint kein Rezept zu haben, so beschreibt der US-Nachrichtendienst die wirtschaftliche Entwicklung des Bundesrepublik.

2023 kam für viele Firmen Deutschlands das Aus. Die Tage Deutschlands als industrielle Supermacht könnten sich dem Ende zuneigen, schreibt der US-Nachrichtendienst Bloomberg. Die Produktion des verarbeitenden Gewerbes in Europas größter Volkswirtschaft ist seit 2017 tendenziell rückläufig, und mit der sinkenden Wettbewerbsfähigkeit beschleunigt sich der Rückgang. Das hat wohl auch Auswirkungen auf das Geschäftsreisegeschehen.

Die Grundpfeiler des deutschen Industrieapparats sind wie Dominosteine umgefallen. Die USA entfernen sich von Europa und versuchen, mit ihren transatlantischen Verbündeten um Klimaschutzinvestitionen zu konkurrieren. China ist nicht länger ein unersättlicher Abnehmer deutscher Industrieprodukte und wird immer mehr zum Konkurrenten. Der letzte Schlag für einige Schwerindustrieunternehmen war der Wegfall der Lieferungen von billigem Erdgas aus Russland.

Neben den globalen Unwägbarkeiten verschärft die politische Lähmung in Berlin nationale Probleme wie eine marode Infrastruktur, eine alternde Erwerbsbevölkerung und den bürokratischen Wust. Das Bildungssystem, einst eine Stärke, steht sinnbildlich für den langanhaltenden Mangel an Investitionen in öffentliche Dienstleistungen. Das Ifo-Institut schätzt, dass sinkende mathematische Fähigkeiten der Schulabgänger bis zum Ende des Jahrhunderts etwa 14 Billionen Euro an Wirtschaftsleistung kosten werden.

In einigen Fällen vollzieht sich der industrielle Abschwung in kleinen Schritten, indem Expansions- und Investitionspläne zurückgeschraubt werden. Andere sind offensichtlicher, wie die Verlagerung von Produktionslinien und Personalabbau. In extremen Fällen ist die Konsequenz die endgültige Schließung.

Deutschland hat immer noch viel Substanz, einschließlich einer beneidenswerten Reihe kleiner, wendiger Hersteller, doch die Bundesbank und andere weisen die These zurück, dass eine umfassende Deindustrialisierung bevorsteht. „Wir sind nicht mehr wettbewerbsfähig“, sagte Bundesfinanzminister Christian Lindner vor wenigen Tagen bei einer Bloomberg-Veranstaltung. Deutschland werde “immer ärmer, weil wir kein Wachstum haben, wir fallen zurück.”

“Man muss kein Pessimist sein, um zu sagen, dass das, was wir bislang tun, nicht ausreichen wird, um die Wirtschaftsstruktur Deutschlands und unseren Wohlstand über die nächsten zehn Jahre zu erhalten”, sagt Volker Treier, Außenwirtschaftschef des Deutschen Industrie- und Handelskammertages (DIHK). “Die Geschwindigkeit des Strukturwandels ist schwindelerregend.”
Frustration ist weit verbreitet. Obwohl in den letzten Wochen Hunderttausende auf die Straße gegangen sind, um gegen Rechtsextremismus zu protestieren, liegt die Alternative für Deutschland (AfD) in den Umfragen vor allen drei Regierungsparteien und nur hinter der Union. Scholz’ Koalition hat ihr politisches Kapital weitgehend verbraucht.

Die schwindende industrielle Wettbewerbsfähigkeit droht Deutschland nach Meinung von Maria Röttger, der Nordeuropa-Chefin von Michelin, in eine Abwärtsspirale zu stürzen. Bis 2025 schließt der französische Reifenhersteller zwei seiner deutschen Werke und gibt die Neureifen-Produktion in einem dritten Werk auf, was 1.500 Arbeiter betrifft. Der US-Rivale Goodyear hat ähnliche Pläne für zwei Werke.

Andere Beispiele für den Niedergang tauchen regelmäßig auf. GEA schließt eine Pumpenfabrik in der Nähe von Mainz zugunsten eines neueren Standorts in Polen. Das deutsche Traditionsunternehmen Miele will 2.000 Stellen abbauen und 700 weitere nach Polen verlagern. Als Grund gibt Miele eine geringe Nachfrage und gestiegene Kosten an. Das Unternehmen bezeichnete den Schritt als „Effizienzprogramm“. Der Einschnitt soll bis 2026 zusätzlich 500 Mio. Euro einsparen, heißt es in einer Pressemitteilung des Unternehmens. 

Der Automobilzulieferer Continental kündigte im Juli an, das Werk für Komponenten für Sicherheits- und Bremssysteme in Gifhorn schrittweise zu schließen. Der Konkurrent Robert Bosch ist dabei, Tausende von Arbeitsplätzen abzubauen. BASF, Europas größter Chemieproduzent, baut 2.600 Stellen ab, und  Lanxess reduziert die Belegschaft um 7%.

Die Energiekrise im Sommer 2022 war ein wichtiger Auslöser. Zwar konnten die schlimmsten Szenarien wie ungeheizte Wohnungen und Rationierungen vermieden werden, doch sind die Preise nach wie vor höher als in anderen Volkswirtschaften, was zu den Kosten aufgrund höherer Löhne und komplexer Vorschriften hinzukommt. Die Energiekrise kam kurz nach der Pandemie, die lange die Fließbänder stillstehen ließ. Deutsche Autohersteller warteten monatelang auf Chips und andere Komponenten, was die Risiken unterstrich, die mit der Abhängigkeit von einem weit verzweigten Netz von Zulieferern, insbesondere in Asien, verbunden sind.

Auch die schleppende Bürokratie in Deutschland würgt reihenweise Unternehmen ab. 

China macht Deutschland nun in mehrfacher Hinsicht zu schaffen. Zusätzlich zur strategischen Hinwendung zu fortschrittlichen Fertigungstechnologien lässt die anhaltende Abkühlung der Wirtschaft des Landes die Nachfrage nach deutschen Waren kurzfristig noch weiter sinken. Gleichzeitig beunruhigt die Billigkonkurrenz aus China Schlüsselindustrien für die von der Regierung forcierte Energiewende — und nicht nur Elektroautos.

Hersteller von Solarmodulen schließen Betriebe und bauen Personal ab, da sie mit der staatlich geförderten chinesischen Konkurrenz nicht mithalten können. Die in Dresden ansässige Solarworld hat bereits ein Zehntel ihrer Belegschaft entlassen und könnte die Produktion ins Ausland verlagern, wenn sich die Lage in diesem Jahr nicht bessert, so Geschäftsführer Detlef Neuhaus.

Die Bundesbank kam in einer Studie jüngst zu dem Schluss, dass ein Rückgang des verarbeitenden Gewerbes — knapp 20% der Wirtschaft, fast doppelt so viel wie in den USA — nicht besorgniserregend sein muss, wenn er allmählich erfolgt. Doch ein solcher Trend würde für weitere Hersteller das Ende bedeuten. Betriebsrat Freitag hilft nun dabei, das 90 Hektar große Areal für den Verkauf vorzubereiten. Ein Großteil der Anlagen und der Ausrüstung wandert auf den Schrott. “Da weint das Herz und das Auge,” sagte er. “Ich habe das als Maschinenschlosser 30 Jahre lang gewartet.” Quelle: Bloomberg / DMM