Gutscheinlösung: Reisende werden als Kreditinstitute missbraucht

Die Reiseunternehmen und Airlines haben in der Vergangenheit ordentliche Gewinne gemacht, in der Corona-Krise aber wollen sie pauschal ihre Risiken auf die Gemeinschaft der Steuerzahler abwälzen und Verluste sozialisieren. Beispiel Gutscheinlösung.

Der Anspruch von Menschen, die eine Reise bzw. einen Flug gebucht haben, auf Erstattung des Reise- bzw. Ticketpreises stammt aus den europäischen Verbraucherschutz-Verordnungen, die vorerst unverändert weiter gültig sind. Dennoch verbreiten touristische Verbände und ihre Mitglieder handeln auch danach, es handele sich bei der Zusage der Bundesregierung bereits um unmittelbar geltendes Recht. Das ist falsch, so Juristen.

Die Gutscheinlösung für Pauschalreisen, Flüge und Konzertkarten ist ein fairer Lastenausgleich zwischen Verbrauchern sowie den vielen großen aber auch kleinen Tourismusunternehmen und Konzertveranstaltern, lautet die Begründung des  Corona-Kabinetts. Die Runde hatte sich am Donnerstag, 01. April 2020, auf ein Eckpunktepapier geeinigt, das vorsieht, wie Reise-, Konzert- und Sportveranstalter mit Stornierungen in Folge der Corona-Epidemie umgehen sollen. Danach soll für stornierte Pauschalreisen, Flugtickets sowie Kultur-, Sport- und Freizeitveranstaltungen, die vor dem 08. März 2020 gebucht wurden, keine Bargeld-Erstattung mehr erfolgen, sondern stattdessen Gutscheine ausgegeben werden (DMM berichtete). Diese sollen bis 2022 befristet sein und bei Nichteinlösung danach in bar ausgezahlt werden. Das Recht auf Reisepreiserstattung nach Artikel 8 der Fluggastrechteverordnung soll so ausgesetzt werden. Die Bundesregierung handelte mit dieser Entscheidung gemäß dem Grundsatz „Vorauskasse muss der Kunde leisten, aber wenn es schief geht, ist keiner zur Rückzahlung verpflichtet.“

Rein rechtlich ist bei abgesagten Pauschalreisen eine Erstattung spätestens nach 14 Tagen Pflicht, bei abgesagten Flügen innerhalb von sieben Tagen. Viele Veranstalter konnten oder wollten dies zuletzt aber nicht leisten, da die deutsche Reise- und Luftverkehrsbranche stark unter den Einschränkungen infolge der Coronavirus-Krise leidet. Die Unternehmen hatten eine vorübergehende Aussetzung der Erstattungspflicht gefordert und gewarnt, dass andernfalls eine Pleitewelle drohe.

Doch Kritik am Beschluss ist angebracht: So sagt der tourismuspolitische Sprecher der Grünen-Bundestagsfraktion, Markus Tressel: „Die Gutscheinlösung bedeutet, dass die Verbraucher den Kredit zur Rettung der Reiseveranstalter und Airlines geben sollen und nicht der Bund. Verpflichtende Gutscheine seien zudem „mit der aktuellen Rechtslage nicht vereinbar“, und die wenigsten Verbraucher würden freiwillig Gutscheine akzeptieren.

Nach Expertenmeinung wäre es jetzt an der Zeit, dass sich die um Hilfe rufenden Veranstalter und Airlines endlich verbindlich verpflichten, für künftige Reisen in einen zu gründenden Sicherungsfonds für Kundengelder einzahlen, sonst gibt es keine finanzielle Hilfe vom Staat. Schon seit den frühen 1990er Jahren fordern Verbraucherschützer einen Sicherungsfond für Airlines wie bei Pauschalreisen. Doch die Kundengeldabsicherung für vorausbezahlte Reisepreise und Tickets wurde von den Lobbyisten der Tourismusbranche systematisch verhindert nach der Devise: Wir Großen können doch nicht kaputt gehen, wir sind stark genug und brauchen nichts abzusichern. Der Untergang des Touristikriesen Thomas Cook beweist das Gegenteil. Ein weiteres sehr unrühmliches Beispiel lieferte TUI vor wenigen Tagen: Ende März hatte die Bundesregierung dem Touristikkonzern einen KfW-Überbrückungskredit in Höhe von 1,8 Mrd. Euro genehmigt (DMM berichtete), um den Riesen vor dem Kollapps zu bewahren. Das Verrückte im Fall TUI: Kein einziges der TUI-Kreuzfahrtschiff führt unter deutscher Flagge. Nicht nur aus arbeitsrechtlichen Gründen sind sie in Malta registriert; die Reederei TUI Cruises will vor allem Steuern sparen. Aber jetzt, da es für die TU eng wird, soll der deutsche Staat helfen. Experten halten es für unanständig, sich der Steuerpflicht ganz oder teilweise zu entziehen, das deutsche Arbeitsrecht zu umgehen, im Krisenfall aber von eben diesem Staat massive Hilfe zu verlangen.

Die europäischen Regelungen sind klar: Wer keine Leistung bekommt, muss auch nicht zahlen. „Dass dieses Recht wertlos ist, beweist die Tatsache, dass z.B. die Lufthansa Group die Möglichkeit zur Erstattung auf ihrer der Website deaktiviert und mehrfach öffentlich verkündet hat, nur noch Gutscheine anzubieten“, berichtet Flightright. Der britische Billigflieger Easyjet hat seine Service-E-Mail-Adresse deaktiviert und ist für Fragen zu Erstattungen somit nicht mehr erreichbar.

Nicht ausgeschlossen, dass auch Brüssel die Rettungsaktion auf dem Rücken der Kunden durchwinkt. Der Gutscheinzwang würde bedeuten, dass sie den Reisekonzernen praktisch einen zinslosen Kredit bis Ende 2021 einräumen müssen. Quellen: Bundesregierung / Flightright / DRV / DMM