Lkw-Stauunfälle auf der Autobahn - Urteile USA vs. Deutschland

Die Serie der schweren Lkw-Unfälle am Stauende reißt in Deutschland nicht ab. Zu geringer Abstand und Ablenkung sind laut Polizei die Hauptgründe. Was auch immer passiert: Der Lkw-Fahrer ist laut Straßenverkehrsordnung jede Sekunde für das, was er tut, juristisch voll verantwortlich. Aber in Deutschland werden Lkw-Fahrer, zu 80 % Osteuropäer und sonstige Ausländer, eher selten zur Rechenschaft gezogen, wenn sie für Tod und Verwüstung durch ihre rücksichtslose Fahrweise gesorgt haben, zumal in Deutschland eher Täter- denn Opferschutz vor den Gerichten gilt. Anders die USA, wo konsequent gegen Lkw-Rüpel vorgegangen wird, wie ein aktuelles Gerichtsurteil in Denver (Colorado) beweist.

110 Jahre Haftstrafe erhielt ein Brummifahrer in Denver/Colorado für einen von ihm verursachten Staunfall mit Toten und Verletzten. Foto: PD Denver

Ein aktuell vor dem Bezirksgericht es Bundesstaats Colorado verhandelter Fall sorgt für Empörung nicht nur bei vielen Fernfahrern in den USA, bei den Hinterbliebenen der Toten indes nicht. Ein 26-jähriger Lkw-Fahrer war am 25. April 2019 nahe Denver mit seinem mit Baumstämmen beladenen Trailer-Zug mit weit überhöhtem Tempo auf dem Interstate 70 unterwegs. Mit mehr als 130 km/h raste er in ein Stauende, das sich nach einem Kleinunfall gebildet hatte. Vier Menschen starben, sechs weitere wurden verletzt, 28 Fahrzeuge wurden beschädigt, ein Tanklastzug flog in die Luft. Der Sachschaden war riesig.

Die Staatsanwaltschaft legte dem Brummifahrer u.a. zur Last, zu schnell gefahren zu sein und seinen Lkw nicht in eine „runaway truck ramp“ (Notfallspur) gelenkt zu haben. Am 27. Oktober hatte eine Jury den Brummifahrer in 27 Anklagepunkten für schuldig erklärt. Der 26-Jährige wurde in der Verhandlung am Distrikgericht von Denver am 13. Dezember 2021 schließlich tatsächlich in allen 27 Anklagepunkten für schuldig befunden, darunter Tötung mit einem Fahrzeug. Der Urteilsspruch von Richter A. Bruce Jones: 110 Jahren Gefängnis. Jones sagte, er hätte etwas milder entschieden, ihm seien aber die Hände gebunden gewesen, weil die Gesetze in Colorado für das schuldhafte Töten von Menschen mit Fahrzeugen bestimmte Mindeststrafen vorsehen. Die 110 Jahre waren die Mindeststrafe. Schon vor der Verhandlung soll der Fernfahrer gesagt haben, er würde allenfalls ein „Trafic ticket“ akzeptieren, also einen Strafzettel mit Verwarnung, weil er sich unschuldig fühle. 

Erste Justizbezirksstaatsanwältin Alexis King beantragte am Freitag, 17.12.2021, eine Woche nach dem Urteilsspruch eine Anhörung, um zu prüfen, ob die 110-jährige Haftstrafe für den Lkw-Fahrer Bestand haben soll. Inzwischen haben über 4,6 Mio. Menschen eine Petition unterzeichnet, in der der Gouverneur Jared Polis aufgefordert wird, Gnade vor Recht ergehen zu lassen bzw. die Strafe abzuändern. Ein Sprecher von Polis sagte am Dienstag, 21.12.2021: „Unsere Rechtsabteilung prüft entsprechende Gnade-Anträge. Sobald wir eine Entscheidung getroffen haben, werden wir sie bekannt machen.“ Einfließen in die Entscheidung werden auch die Aussagen der Hinterbliebene der Opfer und Überlebende des Crashs.

In Deutschland wären solche Urteile absolut ausgeschlossen. I.d.R. kommen Brummifahrer mit vergleichsweise milden Strafen davon, selbst wenn sie ganze Familien ausgelöscht haben. Und das kommt verdammt oft vor. Auch hier zu Lande ereignen sich immer wieder schrecklichen Szenen auf den Autobahnen. Lkw rasen nahezu ungebremst in Stauenden. Spätestens wenn ein Pkw unter einen vor ihm stehenden Lkw gedrückt wird, kommt es zu Toten. Automobilen Geschäftsreisenden kann man nur raten, bei einem Stau auf der Autobahn wenn möglich nicht auf der rechten Fahrspur stehen bleiben, sondern auf die linke zu wechseln.

Verkehrspsychologe Christian Müller vom TÜV-Nord macht den Schichtdienst für die zahlreichen schweren Brummi-Unfälle verantwortlich. "Der Tag-Nacht-Rhythmus ist bei Fernfahrern völlig durcheinander." Unruhiger Schlaf in  den Ruhephasen auf den Rastplätzen führt auch nicht zur eigentlich notwendigen Regeneration. Das führe natürlich zur Tagesschläfrigkeit. Eine Brummi-Kapitänin und Bloggering schreibt dazu: „Stress, Hitze, das Wetter, Unaufmerksamkeit, Ablenkung durch Laptop, Handy, die eigene Gesundheit, Überholverbote, Egoismus, Selbstüberschätzung, technischer Zustand der Fahrzeuge, Termindruck, zu geringer Abstand, Übermüdung und vieles mehr. All diese Faktoren können Kettenreaktionen hervorrufen, die dann zu solchen Unfällen führen.“

Über das wichtigste Problem spricht die Transportbranche nicht gern: Diese Unfälle passieren auch, weil die Trucker alles Mögliche am Steuer machen, aber eben nicht auf den Verkehr achten. Handynutzung, Videofilme und sogar das Schneiden der Fußnägel lenkt die Fahrer ab. Gerade moderne Lkw mit automatischer Schaltung und Tempomaten machen die langen Fahrten unerträglich langweilig. Das größte Problem neben der Eintönigkeit ist der geringe Abstand. Trucker fahren am liebsten im Konvoi mit Mini-Abständen – dem sogenannten Platooning. Quelle: NBC-News / ADAC / TÜV Nord / DMM