Nightjet-Test: Der Schlafkomfort bleibt auf der Strecke

Schlafwagenzüge wie die sehr erfolgreichen Nightjets der ÖBB, die in halb Europa unterwegs sind, erleben eine Art Renaissance. Flugscham sowie der gefühlte Zeitverlust bei einer längeren Tagesreise, um ein weiter entferntes Reiseziel zu erreichen, lassen das traditionelle Reisemittel Nachtzug wieder mehr ins Zentrum des Interesses von Geschäfts- und sonstigen Fernreisenden rücken. Im Fall von Dienstreisen besteht en weiterer Vorteil darin, dass die Fahrt mit dem Schlafwagen sogar ein bis zwei Nächte in einem mehr oder weniger kostenintensiven Hotelzimmer einsparen kann.

Grund genug für Hotel-Betten-Test-Initiator, Journalist, Autor und Herausgeber des Magazins „Schlafen Spezial“, Jens Rosenbaum den Nightjet der Österreichischen Bundesbahn (ÖBB) im Rahmen eines Tests etwas genauer unter die Lupe zu nehmen – auf einer Verbindung von Hamburg nach Zürich, angeboten von den Schweizer Bundesbahnen (SBB). Im Fokus des Bettenexperten stand der Schlafkomfort: „Wir haben den Schlafwagen einfach ausprobiert. Schließlich wächst hier das Angebot kontinuierlich, auch seitens privater Anbieter. In unserem Test sind jedoch die Schlafwagen der ÖBB in Augenschein genommen worden, da deren Nightjets über das größte Netz für Nachtzüge im deutschsprachigen Raum verfügen."

„Den Begriff Schlafwagen, sicherlich auch beeinflusst durch Romane und Kinofilme, umgibt eine besondere Aura: feudales Reisen und weite Welt, interessante Begegnungen und sogar etwas Abenteuer, da eben nicht alltäglich, sowie ein anderes Verständnis von Zeit. Für uns galt herauszufinden, ob sich der Schlafwagenzug tatsächlich neu erfunden hat und vor allem das wichtigste Merkmal eines Hotelzimmers bieten kann: eine komfortable, erholsame Schlafmöglichkeit“, so Jens Rosenbaum.

Die Testfahrt wurde mit Neugierde und durchaus mit Wohlwollen angetreten. Denn die Idee der Nachtzüge – mit dem Angebot eines eigenen Schlafwagenabteils für die alleinige Nutzung – ist prinzipiell gut, grün, sprich umweltfreundlich, und daher durchaus verlockend. Gerechnet hatte der Autor und Tester aber auch mit Kompromissen, auch wenn Beschreibungen wie „Deluxe-Abteil“ und „komfortable Nacht“ sowie die Bilder im Internet eine bestimmte Erwartungshaltung bei den Fahrgästen wecken.

Ernüchterndes „Wohlfühl-Ambiente“. Beim getesteten Waggon handelte es sich um eine Doppelstockausführung, wobei die Abteile längs der Fahrtrichtung übereinander liegen und über einige Stufen zu erreichen sind. Öffnet man die Abteiltüre, so betritt man mittig ein 3,5 Meter langes und 1,2 bis 1,8 Meter tiefes Abteil mit einer mittleren Stehhöhe von ca. 185 cm. Hinter einer Falttüre befindet sich auf der linken Seite die Badnische. Auf der rechten Seite des Abteils und quer zur Fahrtrichtung erstreckt sich dann die Liegefläche im Format 180 cm Länge und 80 cm Breite und ausgestattet mit einer 10 cm hohen Schaumauflage – Matratze möchte man dazu nicht sagen – samt Matratzenschutzbezug. Da sich über dieser Liegefläche noch eine zweite ausklappen lässt, liegt das Kopfende der unteren, bedingt durch einen Überbau, in einer 31 cm tiefen und nur 37 cm hohen Nische. Dabei unterscheidet sich die Ausführung der Etagenbetten in diesem Abteil von jenen, die im Internet gezeigt werden, wo kein solcher Überbau zu sehen ist. Die Schlafstätte selbst ist mit zwei Kissen im Format 40 x 60 cm und einer Füllung aus Polyesterfasern ausgestattet. Die Einziehdecke, ebenfalls mit Polyesterfüllung, ist sogar noch eine Reminiszenz aus vergangenen Tagen und trägt das Logo der ehemaligen Deutschen Bundesbahn. Selbige war mit der Bettwäsche falsch herum, also auf links bezogen. 

Unter der Matratze befindet sich eine Art Lattenrost, der aber aufgrund mangelndem Federweg keinerlei Federungskomfort bietet. Pritsche würde es treffender beschreiben. Das ist nicht nur alles etwas dürftig, sondern sieht auch so gar nicht nach den Bildern aus, die im Internet zu sehen sind. Auch der Abgleich mit der beworbenen Ausstattung ernüchtert. Es sieht weder wie frisch bezogene Wäsche aus, noch sind Handtücher vorhanden. Mit „Deluxe“ kann also kaum die Ausstattung gemeint sein, sondern wohl eher die 5 m2 abgeschirmter Raum zur eigenen Nutzung. Auch sehen Abteil und Ausstattung leider sehr mitgenommen aus, mit deutlichen Gebrauchsspuren. Gemäß vorhandenen Quellen wurden diese Doppelstockwagen 1995 von der ÖBB eingeführt, sind gefühlt seitdem auch unverändert im Einsatz.

Der Bettenexperte weist im Rahmen des Hotel-Betten-Test vor allem auf die kurze Liegefläche von nur 1,80 Meter hin. Hinzu kommt die Tatsache, dass die fehlende Unterfederung und eine gerade ein mal 10 cm dünne Schaumauflage keinen guten Schlaf garantieren können. Eingedenk der Tatsache, dass Personen ab einer Körperlänge von 180 cm ein Bett in Überlänge, also länger als 200 cm für wirklich guten Schlafkomfort benötigen, ist die hier vorhandene Bettlänge für viele Reisegäste nicht ausreichend. Wer dennoch darin seinen Platz gefunden hat, macht unweigerlich Bekanntschaft mit dem Überbau am Kopfende. Dieser ist zwar schon extra gepolstert, damit die Stöße mit dem Kopf nicht ganz so hart ausfallen, aber man stößt sich unweigerlich. Denn eine Nacht reicht nicht aus, um das notwendige Ausweichmanöver zur Vermeidung von Kopfstößen in den Automatismus der Bewegungsabläufe zu überführen. Aufgrund der fehlenden Unterfederung und bei nur 10 cm Schaumauflage – diese zudem lange über ihrem Zenit – kann von Komfort keine Rede sein. Wer sich damit dennoch hat arrangieren können, merkt, wie sinnvoll die Ohrstöpsel im Welcome-Paket sind. Denn bei einer gemessenen Geräuschkulisse von 74 Dezibel und mehr, in Spitzen auch länger über 90, braucht es die Ohrstöpsel, sofern man sich mit deren Gebrauch anfreunden kann. Ja, Schlafen geht, aber in Summe eher nur Notschlafen. Gemessen an der geweckten Erwartungshaltung leider unbefriedigend.

Hygiene. Der optische Eindruck, Teppich mit Jahresringen (da freut man sich über die Slipper aus dem Welcome-Paket), Schmutz in den Sesseln, starke Gebrauchsspuren und ein nicht wirklich sauberes Bad & WC (nicht Gegenstand des Tests, aber gleichwohl geprüft), setzt sich beim Bett fort. Flecken auf Kissen und Matratze, Schuhsohlenabdruck auf dem Matratzenschutz und ein schlecht bezogenes Bett wirken nicht wirklich beruhigend. Allerdings sind die gemessenen Hygienewerte beim Bett dann nicht so schlimm wie befürchtet. Hier wird tatsächlich das Versprechen „frischer Wäsche“ gehalten. Ausreißer sind lediglich die Kissen. Aber mit einem Hygieneindex von unter 2.000 KbE (koloniebildende Einheit) schafft es die SBB sogar in die Hygieneklasse 2, was wirklich gut ist. Doch was nützt ein guter Laborwert, wenn der Gast nur auf Basis visueller Eindrücke sein Urteil fällen kann. Schließlich schläft das Auge mit.

Check-out. Der angebotene Weck-Service um acht Uhr durch den Zugbegleiter klappt nicht ganz, da hier die Rechnung ohne die Grenzbeamten gemacht wurde. Da wird bereits um 7:25 höflich, aber energisch an der Türe geklopft, um sich die Papiere zeigen zu lassen. Das geht in Ordnung, aber da der Zug ja nicht zum ersten Mal in dieser Richtung unterwegs ist, wäre es für den erstmals Reisenden hilfreich, über jenes Zeitfenster informiert zu werden, wo mit der Grenzkontrolle zu rechnen ist. Das Frühstück kommt wie bestellt pünktlich um acht Uhr und auch der Zug läuft fast auf die Minute genau im Bahnhof Zürich ein.

Fazit. „In der gebotenen Ausführung muss man vom Gedanken eines Hotels auf Rädern mit einem gewissen Qualitätsanspruch Abstand nehmen und es als eine Reise betrachten, bei der man lediglich die Möglichkeit zum begrenzten Ausstrecken hat. Weder handelt es sich um eine komfortable Nacht, noch erreicht man wirklich ausgeschlafen sein Ziel. Das ist mehr als schade; denn es geht auch sicher anders, was die Entwicklung der neuen Generation von Nightjets (die Siemens Mobility zurzeit entwickelt und baut) vermuten bzw. hoffen lässt. Natürlich muss bei diesem Test die Frage beleuchtet werden, ob die Erwartungen zu hoch angesetzt waren. Doch wer mit seinem eigenen Marketing einen wahrnehmbaren Unterschied zwischen Angebot und tatsächlicher Leistung produziert, setzt sich damit auch der Gefahr aus, ein definiertes Maß an Enttäuschung zu produzieren, inklusive dem Gefühl am Morgen, etwas gerädert zu sein, statt ausgeschlafen“, so Tester Jens Rosenbaum. Quelle: Wolf-Thomas Karl, Partner Dozent an der Hochschule Fresenius, Fachbereich Wirtschaft & Medien / DMM