Norwegian stößt Vielflieger vor den Kopf

Vor nicht so langer Zeit war es alles anderes als sicher, ob Norwegian überhaupt überleben würde. Aber dann war ihr post-Covid Comeback überraschend stark, wenn auch als deutlich kleinere Fluggesellschaft, die sich auf Verkehr von/nach Skandinavien konzentriert und alle Langstrecken-Ambitionen aufgegeben hat. Sogar der lokale Mitbewerber Flyr, von früheren Norwegian-Managern gegründet, konnte gegen sie nicht überstehen. Und wer zahlt den Preis dafür? Ihre treusten Kunden.

Wenn an einem Freitagnachmittag eine Nachricht versendet wird, die mit „Sie haben uns gesagt und wir haben Ihnen zugehört“ beginnt, weiß man, dass man sich auf das Schlimmste gefasst machen muss. Ihr Reward-Programm wird am 28. März 2023 massiv entwertet werden. Die Sammelrate wird weitestgehend halbiert. Erinnern Sie sich, als sie das Programm mit einem 20 % Cashback auf flexiblen Tarifen starteten? Jetzt sind wir bei 5 %… Die beliebten Schwellenvorteile nach jeweils sechs Sektoren innerhalb von 12 Monaten (bis zu 8 Mal) werden jetzt auf ein Maximum von 4 Vorteilen nach jeweils acht Segmenten reduziert, aber durch einige neue Vorteile ergänzt, sobald man die Marke von 32 Segmenten erreicht – wie Priority Boarding. Können sich diese Kunden, denen Norwegian vorgibt zugehört zu haben, bitte erkenntlich machen…?

Norwegien hat eine mehr als bewegte Geschichte geschrieben. Das Unternehmen hatte seit 2012 ca. 220 neue Flugzeuge in Auftrag gegeben, um in den Transatlantikmarkt einzusteigen. Dabei handelte es sich um den größten Deal der europäischen Luftfahrtgeschichte. Doch hatte sich das Unternehmen damit finanziell übernommen. Triebwerksprobleme bei der Boeing 787-Flotte und das Flugverbot der Boeing 737 MAX 8 bremsten die Expansion aus. Im Januar 2019 wurde bekannt, dass Norwegian ihre Basen auf Gran Canaria, Newburgh, Palma, Providence und Teneriffa schließt. In Rom-Fiumicino fiel die Kurz- und Mittelstreckenbasis weg, während die Langstreckenbasis bestehen blieb. Norwegian stand mit 2,3 Milliarden Euro in den roten Zahlen, alle ihre 90 fabrikneuen A320 Neo wurden zum Verkauf ausgeschrieben. 

Auch 2019 wurden erneut Verluste eingefahren. Im Juli 2019 trat Norwegian-Gründer, CEO und größte Aktionär Bjørn Kjos als Konzernchef zurück, was einen Verkauf erleichtern sollte. Im September 2019 wurde bekannt, dass Norwegian die Gläubiger gebeten hatte, die im Dezember 2019 und im Februar 2020 fällige Rückzahlung von zwei Unternehmensanleihen in Höhe von insgesamt 380 Mio. USD  um bis zu zwei Jahre zu verschieben. Als Sicherheit bot Norwegian wertvolle Slots am Londoner Flughafen Gatwick an. Nach einer Vereinbarung im Oktober 2019 übernahm das chinesische Leasingunternehmen CCB Leasing 70 % der Norwegian-Flotte und reduzierte die Verschuldung der Fluggesellschaft um etwa 1,5 Mrd. Euro. Ebenso finanzierte der Leasingpartner aus dem Reich der Mitte 27 neue Airbus A 320neo Flugzeuge zwischen 2020 und 2023. 

Im März 2020 legt die norwegische Regierung ein Rettungspaket für Norwegian auf. Am 14. April 2020 fiel der Aktienkurs um über 60 %. Am 20. April 2020 meldeten 4 Tochterfirmen (Norwegian Pilot Services Sweden AB, Norwegian Pilot Services Denmark ApS, Norwegian Cabin Services Denmark ApS, Norwegian Air Resources Denmark LH ApS), über die die Fluggesellschaft Piloten und Kabinenpersonal in Schweden und Dänemark angestellt hatte, Konkurs an. Aufgrund der außergewöhnlichen Situation (höhere Gewalt) hat Norwegian außerdem die Firma OSM Aviation darüber informiert, dass es die Vereinbarungen zur Bereitstellung von Besatzungsmitgliedern mit mehreren seiner gemeinsamen OSM Aviation-Tochtergesellschaften gekündigt hat. Diese Unternehmen hatten Besatzungsmitglieder in Spanien, Großbritannien, Finnland, Schweden und den USA. Die Kündigung wirkte sich auf 1.571 Piloten und 3.134 Mitglieder des Kabinenpersonals aus. 

Am 4. Mai 2020 stimmten die Aktionäre auf einer außerordentlichen Hauptversammlung dem Rettungsplan zu. Zuvor hatten sich Fremdkapitalgeber und Leasingfirmen mit der Umwandlung von Teilen der Schulden in Norwegian-Aktien einverstanden erklärt. Zusammen mit einer Kapitalerhöhung waren die Voraussetzungen erfüllt um die 2. und 3. Charge der staatlich abgesicherten Kredite zu erhalten. 

Im Halbjahresbericht 2020 vom 27. August gab Norwegian bekannt, dass langfristig erhebliche Unsicherheit über die Auswirkungen der COVID-19-Pandemie besteht. Am 09. November 2020 gab die norwegische Regierung in Oslo bekannt, sie werde keine weitere Finanzhilfe über die erste Kreditgarantie für umgerechnet 280 Mio.  Euro hinaus mehr leisten. Die Fluggesellschaft hatte sich um weitere Unterstützung des Staates bemüht, weil ihr sonst Anfang 2021 das Geld ausgehen würde. Als Reaktion auf die Bekanntgabe der Regierung teilte Norwegian am Abend mit, weitere 1.600 Angestellte beurlauben zu müssen. Zugleich wurden 15 der zuletzt noch unterwegs gewesenen 21 Norwegian-Flieger am Boden belassen. 
Vor der Corona-Krise habe Norwegian mehr als 10.000 Beschäftigte, in den Monaten ab 09. November 2020 arbeiteten nur noch knapp 600. Am 18. November 2020 beantragte die Tochtergesellschaft Norwegian Air International in Irland Gläubigerschutz, am 08. Dezember 2020 folgte der Insolvenzantrag in Norwegen. Am 18. Dezember 2020 wurde bekannt, dass Norwegian Gläubigerschutz für drei seiner Tochterfirmen in Spanien beantragt hatte: Norwegian Air Resources Spain, Red Handling Spain und Red Maintenance Spain. Es handelt sich um ähnliche Verfahren wie sie bereits in Irland und Norwegen geführt werden. 

Nach Vorlage des neuen Sanierungsplans stellte die norwegische Regierung am 21. Januar 2021 weitere Finanzhilfe in Aussicht. Am 14. Januar 2021 gab Norwegian bekannt, die Langstreckenflüge einzustellen und nur noch Kurzstrecken anzubieten. .Am 26. März 2021 billigte das irische Gericht den Restrukturierungsplan der in wirtschaftliche Schieflage geratenen norwegischen Airline, am 12. April 2021 gab auch das norwegische Gericht grünes Licht zum Umstrukturierungsprozess. 

Am 26. Mai 2021 gab CEO Jacob Schram kurz vor seiner Absetzung durch den Verwaltungsrat (Nachfolger wurde der damalige Finanzchef Geir Karlsen) bekannt, dass Norwegian die Insolvenzverfahren in Irland und Norwegen noch am selben Tag verlassen wird. Die Kapitalbeschaffung zur Rettung des Unternehmens sei beendet und Dank der neuen Mittel hat die Fluglinie die Umstrukturierungsvorgaben der zuständigen irischen und norwegischen Gerichte erfüllt. Quelle: Globalflight / wikipedia / DMM