Schummelsoftware auch in neuem Dieselmotor des VW-Konzerns?

Sind mehrere Millionen von Dieselfahrzeugen aus dem Volkswagenkonzern unterwegs, die mit dem Motor des Typs EA 288, Nachfolgeaggregat des berühmt-berüchtigten Skandalmotors EA 189, ausgestattet sind, der mutmaßlich ebenfalls manipuliert ist? Dies scheint der Fall zu sein. Denn am 09. April 2021 verurteilten Richter am Oberlandesgericht Naumburg/Saale den Autobauer mit ausführlicher Begründung wegen Manipulation zu Schadenersatz. Mindestens 16 Landgerichte sahen bisher diesen neuen Selbstzünder als Abgassünder mit Schummelsoftware. Der VW-Konzern wehrt sich gegen die Vorwürfe des sittenwidrigen Betrugs und warnt Kunden auf seiner Kampagnen-Website vor Klagen.

Im Naumburger Fall, einem Berufungsverfahren, sprachen die Richter dem Kunden – der hatte den Diesel-Golf am 10.10.2017 in einem Autohaus zum Bruttopreis von 21.750 Euro erworben – den ursprünglichen Kaufpreis zu, abzüglich einer Entschädigung für die zwischenzeitliche Nutzung des Fahrzeugs, insgesamt 20.885,71 Euro, plus Zinsen (5 Prozentpunkte über dem Basiszinssatz), gegen Übergabe und Übereignung des VW Golf VII 2.0 TDI Highline (OLG Naumburg, Urteil vom 09.04.2021, Az.: 8 U 68/20). Die unterlegene Volkswagen AG, deren Anwälte den Vortrag des Klägers im Verfahren als unsubstantiiert bezeichnet hatten,  musste gemäß Art. 4 VO (EG) Nr. 715/2007 nachweisen, dass die von ihr hergestellten Neufahrzeuge über eine Typgenehmigung gemäß der VO verfügen. Eine solche setzt voraus, dass die in der VO vorgesehenen Abgasgrenzwerte eingehalten werden. VW verwies u.a. darauf, dass auch das KBA beim EA 288 keine unzulässige Abschalteinrichtung festgestellt haben will und beharrte darauf, dass keine verbotene Fahrkurvenerkennung verwendet worden ist.

Die Richter am OLG sahen das so ganz anders: Danach hat der VW-Konzern auch mit dem Motor EA288 Erwerber getäuscht, indem die Kunden mit dem Inverkehrbringen von Automobile mit dem Motor EA288 2.0 EU6 mit NKS-Technologie  konkludent erklärt hat, dass die Fahrzeuge, in denen dieser Motor verbaut ist, im Zeitpunkt des Vertragsschlusses über eine uneingeschränkte Betriebserlaubnis verfügen würden, deren Fortbestand nicht dadurch gefährdet sein würde, dass die erforderliche EG-Typengenehmigung durch Täuschung des Kraftfahrtbundesamts erschlichen worden sein. Diese Erklärung Volkswagens ist laut Gericht unzutreffend, weil es sich bei der streitgegenständlichen Software um eine unzulässige Abschalteinrichtung handelte, die den Betrieb des VW Golf TDI im öffentlichen Straßenverkehr gefährdete, weil die zuständige Zulassungsbehörde dem Eigentümer oder Halter gemäß § 5 1 FZV eine angemessene Frist zur Mängelbeseitigung setzen oder den Betrieb des Automobils auf öffentlichen Straßen beschränken oder untersagen konnte.

VW-AG handelt sittenwidrig. Im Gegensatz zu den Behauptungen der Volkswagen-Anwälte war das Vorbringen des Klägers zum Vorliegen einer Zykluserkennung hinreichend substantiiert. Die Sittenwidrigkeit des allein vom Profitinteresse geleiteten Handelns der beklagten Volkswagen AG (so steht es in der Urteilsbegründung wörtlich) ergibt sich laut Urteil aus dem nach Ausmaß und Vorgehen besonders verwerflichen Charakter der Täuschung und Ausnutzung des Vertrauens der Käufer in eine öffentliche Institution, nämlich das KBA, und der Inkaufnahme nicht nur der Schädigung der Käufer sondern auch der Umwelt. Kritisiert wird der VW-Konzern von den Richtern auch dafür, dass er sich darauf beschränkte, mach Aufdeckung der im EA 189 verbauten unzulässigen Abschalteinrichtung dem KBA ab Oktober 2015 offenzulegen, dass auch im Nachfolgemodell EA288 eine Abschalteinrichtung verbaut wurde, wovon die Öffentlichkeit nichts erfuhr. Revision ließ das OLG nicht zu.   
Nichtsdestotrotz warnt Volkswagen die Kunden von Dieselfahrzeugen aus dem Konzern mit dem Hinweis „Klägeranwälte verlieren ihre Prozesse so gut wie alle“. Dies stimmt definitiv so nicht. Denn es gibt bereits eine Reihe von Gerichtsurteilen, die für VW alles andere als schmeichelhaft sind.

SWR-Dokumente. Dass der Nachfolgedieselmotor des EA189 ebenfalls eine verbotene Abschalteinrichtung enthalten könnte, dafür sprechen VW-interne Dokumente, in denen von einer Zykluserkennung und zyklusabhängiger SCR (AdBlue)-Dosierstrategie die Rede ist. Dem Südwestrundfunk (SWR) liegen laut eigenen Angaben Dokumente vor die beweisen, dass auch in den neuesten EA288 Dieselmotoren der Euro-6-Norm eine illegale Abschalteinrichtung verbaut ist. Insbesondere geht es um eine Software, die u.a. eine technisch detaillierte Beschreibung zu einer „Zyklus-Erkennung“ enthalte (sog. Prüfstandserkennung). Den Dokumenten zufolge sollen hiervon Modelle der Marken VW, Audi, Skoda und Seat betroffen sei.

VW selbst hat in einem Verfahren vor dem Landgericht Duisburg (Urteil vom 30.10.2018, Az. 1 O 231/18) eingeräumt, dass in einem Fahrzeug mit einem Euro 6 Dieselmotor des Typs EA288 eine Abschalteinrichtung verwendet werde.

Am 03. Dezember 2019 hatte es eine Razzia der Staatsanwaltschaft Braunschweig in der Wolfsburger Konzernzentrale gegeben, im Rahmen derer nach Unterlagen und Hinweisen zur Motorenreihe EA288 gesucht worden sein soll. wurde. Vor diesem Hintergrund verdichten sich die Indizien, dass auch der Motor EA288 mit einer Schummelsoftware ausgestattet wurde.

Noch bestreitet der VW-Konzern die Vorwürfe und widerspricht beim moderneren Motor jeglichem Fehlverhalten. Die Reaktion der Wolfsburger auf das Naumburger OLG-Urteile: „Der 8. Senat des OLG Naumburg stellt sich gegen die einheitliche Rechtsprechung der anderen Oberlandesgerichte.“ Nach Kenntnisstand VW’s seien keine illegalen Abschalteinrichtungen verbaut worden. Auch das KBA und das Verkehrsministerium schweigen noch. Allerdings wurden Dokumente veröffentlicht, die genaue Informationen über mehrere illegale Abschalteinrichtungen in 3,0- und 4,2-Liter-Dieseln enthalten. Weil es beim EA 288 um eines der wichtigsten Dieselaggregate von VW geht, stemmt sich der Konzern mit aller Macht gegen die Klagen. Über 4 Mio. Pkw, darunter  Golf, Touran und Tiguan sowie Modelle der VW-Töchter Audi, Seat und Skoda fahren damit. Und täglich werden weitere verkauft.

Auch die Landgerichte Darmstadt und Hagen entschieden im August 2020 gegen VW. Beide Gerichte bezeichneten das Verhalten der Wolfsburger als sittenwidrig. In den Prozessen vor diesen Gerichten ging es um eine Skoda Octavia und einen VW Bus T6, beide angetrieben vom EA 288. Aktuell sollen mehr als 10.000 Verfahren zum EA 288 anhängig sein. Quelle: Verbraucherhilfe24 / OLG Naumburg / DMM