Vom untätigen KBA und einem Gedicht

Seit 25. Juni 2017 weiß das Kraftfahrt Bundesamt (KBA) definitiv, dass die so genannte „Audi Akustikfunktion“, die die Volkswagen-Edeltochter in ihre Euro 4-Dieselfahrzeuge eingebaut hatte, illegal ist. Das beweist ein Gutachten im Auftrag der Behörde. Danach stellte ein Experte der TU München in einem achtseitigen Gutachten fest, dass die Abschalteinrichtungen des Ingolstädter Autokonzerns, die unter Prüfbedingungen das Emissionsverhalten von Automobilen manipuliert, nicht erlaubt waren und sind. Für das KBA, das dem Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer unterstellt ist, bedeutet nicht nur der Inhalt des Gutachtens ein Problem, sondern auch das Datum.

 

Das Dokument zeigt nämlich erstmals, dass die Behörde schon seit mehr als zwei Jahren weiß, dass die „Akustikfunktion“ illegal war und ist. Gehandelt hat das KBA trotzdem nicht, einen Rückruf der betroffenen Fahrzeuge hatte der Minister nicht eingeleitet.

Das könnte bald auch bei möglichen Schadenersatzprozessen eine Rolle spielen. Derzeit laufen die ersten Klagen auf Staatshaftung, durch die nicht nur die Autohersteller, sondern auch die Bundesregierung verpflichtet werden soll, Dieselkunden zu entschädigen.

Das Kraftfahrt-Bundesamt (KBA) prüft den Fall mittlerweile seit fast vier Jahren. Bereits im Dezember 2015 konfrontierten Beamte Audi-Manager bei einem Treffen mit dem Vorwurf, in älteren Euro-4-Dieselfahrzeugen mit größeren 2,7 und 3,0 Liter-Motoren sei eine unzulässige Abschalteinrichtung verbaut. Das geht aus einem Protokoll des Treffens hervor. „Dies wird von Audi vehement bestritten“, heißt es in dem Protokoll weiter. Es ging um die sogenannte Akustikfunktion. Diese wurde bei Audi entwickelt, angeblich um beim damals neuen V6-Dieselmotor unangenehme Geräusche, häufig beschrieben als „Nageln“, zu vermindern. Audi argumentierte, die Akustikfunktion diene rein dazu, den Motor bzw. die Keramikglühkerzen des Motors zu schützen. Zudem bestand Audi darauf, dass die Funktion keinerlei Zyklus-oder Prüfstandserkennung habe.

Doch Audi informierte die Behörde nicht korrekt, wie interne Dokumente zeigen. Im Juni 2016 kam der Arbeitskreis Diesel des Audi-Aufsichtsrats zusammen. In dem Sitzungsprotokoll, überschrieben mit "Vertraulich!", heißt es wörtlich, dass "die von Audi gegenüber dem KBA (…) abgegebene Darstellung zur Akustikfunktion unzutreffend" sei.

Es wird beschrieben, dass die Akustikfunktion auf dem Prüfstand den Stickoxid-Ausstoß vermindert. Auf der Straße stoßen die Fahrzeuge mehr gefährliche Stickoxide aus. Explizit ist von einer "Testerkennung" die Rede. Doch statt die Behörde umgehend zu informieren, mahnte ein Mitglied des Aufsichtsrats das Aufklärungs- und Unternehmensinteresse abzuwägen.

Erst im Mai 2017, fast eineinhalb Jahre nach dem ersten Verdacht, gab das Kraftfahrt-Bundesamt ein Gutachten in Auftrag. Motorexperte Georg Wachtmeister von der TU München, soll prüfen, ob die "Audi-Akustikfunktion" unzulässig ist. Darin kommt der Motorexperte zu folgendem Urteil: "Eine Anwendung von Bauteil- bzw. Motorschutz ist mit den von Audi vorgebrachten Argumenten nicht gegeben. Damit wird in Fällen der Grenzwertüberschreitung die Akustikfunktion als unerlaubte Abschalteinrichtung eingestuft".

Statt aktiv zu werden, ließ das Kraftfahrt-Bundesamt wieder ein Jahr verstreichen. Im Juli 2018 hielt die Behörde in einem internen Vermerk fest: "Die Akustikfunktion wird als unzulässige Abschalteinrichtung eingestuft." Laut dem Vermerk geht das KBA damals von rund 150.000 Diesel-Autos der Baujahre 2003 bis 2010 von Audi und VW mit der unzulässigen Abschalteinrichtung aus. Inzwischen dürften es weniger sein.

"Defeat device, komm her zu mir". Es ist der 16. Mai 2003. Um 8.51 Uhr klickt ein Audi-Entwickler im Mailprogramm seines Computers auf "Senden". Im Postfach mehrerer Kollegen landet daraufhin ein Gedicht. Es ist Teil von tausenden internen Audi-Dokumenten, die Reporter des Bayerischen Rundfunks und des "Handelsblatts" ausgewertet haben. Der Entwickler schildert frei nach Goethes Erlkönig in acht Strophen, wie Audi bei der Manipulation von Motoren vorgehen will: durch den Einsatz einer unzulässigen Abschalteinrichtung (Englisch: „Defeat Device“). In Strophe drei heißt es: „Defeat Device, kommt her zu mir. Gar schöne Spiele spiel ich mit dir. Manch‘ Schweinerei liegt auf der Hand, die ich will verdecken mit dem Hystereseband.“

Auch mit den Kontrollbehörden befasst sich der Gedichtschreiber, allerdings eher spöttisch: "Seid ruhig, bleibt cool, wahrt Euer Gesicht, es murrt nur der TÜV, die Carb merkt das nicht." Ausgerechnet die kalifornische Emissionsschutzbehörde CARB wirkte später maßgeblich daran mit, dass die Manipulationen bei Diesel-Motoren von Volkswagen und Audi im Herbst 2015 bekannt wurden.

Das Gedicht zeigt: Die Manipulation von Abgastests war bei Audi schon 2003 Thema. Tatsächlich kommt von 2003 bis 2010 mit der so genannten "Akustikfunktion" eine unzulässige Abschalteinrichtung zum Einsatz, und zwar in Audi-Diesel-Fahrzeugen der Schadstoffklasse Euro 4. Das schreibt das Kraftfahrt-Bundesamt (KBA) in einem internen Vermerk vom 26. Juli 2018, der BR Recherche vorliegt. Darin heißt es, die Funktion stelle sicher, "dass der Emissionsgrenzwert für Stickoxide unter Typprüfbedingungen sicher eingehalten wird", sie werde deswegen "als unzulässige Abschalteinrichtung eingestuft".

Die Behörde hat bis heute keine Konsequenzen gezogen. Einen Rückruf der Euro-4-Diesel gibt es bisher nicht. Auf Anfrage äußern sich weder das KBA noch das übergeordnete Bundesverkehrsministerium zu diesem Sachverhalt.

Über Jahre brachten Audi und VW manipulierte Diesel-Fahrzeuge auf den Markt. Eine Software sorgt dafür, dass diese auf dem Prüfstand sauberer abschneiden als auf der Straße. Wie riskant dieses Vorgehen war, war Mitarbeitern offenbar bewusst. Ein Beispiel: 2009 entdeckt ein Techniker, dass die unzulässigen Eingriffe auch seine Abteilung in Bedrängnis bringen könnten. Er warnte: „Wenn das auffliegt, sind wir auch tot.“ 2013 nehmen Zulasser eine Risikoeinschätzung für den US-Markt vor, die an mehrere Vorgesetzte geht. Die Gefahr, in den USA aufzufliegen, wurde offen ausgesprochen. Trotzdem passierte offenbar nichts.

Ein hochrangiger Manager - er kennt den VW-Konzern seit vielen Jahren von innen - macht auch die Unternehmenskultur verantwortlich dafür, dass sich der Dieselskandal über Jahre hinweg bei VW und den Tochterfirmen entwickeln konnte. Laut dem Insider gab es seiner Ansicht nach im Konzern ein schwach ausgeprägtes Unrechtsbewusstsein. Und: Es habe eine "Angstkultur" geherrscht. Nach Bekanntwerden des Diesel-Skandals habe er immer wieder an das mehrfach überlieferte Zitat eines VW-Vorstandes denken müssen. Dieser habe gesagt: „Es gibt Gesetze, und es gibt Volkswagen. Und Volkswagen macht seine eigenen Gesetze.“ "Kombination aus Firmenkultur, Geldgier und Arroganz".

Jack Ewing, Wirtschaftskorrespondent der „New York Times“ in Frankfurt/M. hat sich für sein 2017 veröffentlichtes Buch über den Diesel-Skandal ausführlich mit der Unternehmenskultur bei Volkswagen und Audi beschäftigt. Der Diesel-Skandal ist für ihn die Folge einer "Kombination aus Firmenkultur, Geldgier und Arroganz". Quelle: Bayerischer Rundfunk / DMM