War erneut ein Softwarefehler schuld am Absturz?

Der neuerliche Absturz einer nagelneuen Boeing 737 MAX 8 in Äthiopien hat möglicherweise seine Ursache wie schon beim Crash im Oktober in Indonesien in Fehlern der Software für die Flugzeugsteuerung. Die Parallelen beider Unfällle mit 346 Toten binnen vier Monaten sind unübversehbar. Als erstes Land zieht nun China Konsequenzen: Wie dessen Luftfahrtbehörde CAAC am Montag mitteilte, sollen sämtliche Maschinen vom Typ B 737 MAX 8 so lange nicht mehr starten dürfen, bis sämtliche Sicherheitsrisiken ausgeschlossen werden können. Auch Ethiopian Airlines, Royal Air Maroc und Mongolian Airlines lassen ihre MAX-737er am Boden. Die US-Luftfahrtbehörde wird vermutlich in Bälde ein Startverbot aller Maschinen dieses nagelneuen Typs erlassen.

Bei beiden Unglücken seien die Ähnlichkeiten sehr groß, so die CAAC. Beide B 737 MAX 8 seien während der Startphase abgestürzt. Der Behörde zufolge haben chinesische Airlines aktuell 96 der B 737 MAX im Betrieb. Mongolian und Royal Air Maroc lassen ihre Max-Maschinen am Boden. Die US-Fluggesellschaften United Airlines und Southwest wollen ihre 737 MAX 8-Jets weiter starten lassen - ebenso  Norwegian, der bisher größte MAX-Betreiber in Europa. In den USA steht die FAA vor der Frage, ob sie ein Startverbot für alle Boeing 737-MAX-Maschinen erlassen soll. Die Rufe danach werden auch in den Vereinigten Staaten lauter; denn an einen Zufall will in der Luftfahrtbranche keiner mehr gauben. 

Luftfahrtexperten gehen davon aus, dass auch beim Absturz vom Sonntag, bei dem zahlreiche Ausländer, darunter auch deutsche Staatsbürger ums Leben kamen, erneut ein wichtiger Sensor ausgefallen war, und zwar der AoA-Sensor auf der Pilotenseite oder auf der des Copiloten, so nwie beim Crash der Lion Air-Maschine im Oktober 2018, bei dem 189 Menschen ihr Leben verloren (DMM berichtete). 

Im vorläufigen Untersuchungsbericht zum Absturz von Flug JT-610 von Jakarta nach Pangkal Pinang (Indonesien) heißt es: "At 23:25:18 UTC, the flaps retracted to 0 and several seconds later, the automatic AND trim and flight crew commanded ANU trim recorded began again and continued for the remainder of the flight." AND ist eine Abkürzung für "aircraft nose down". Der Steuercomputer drückte also das Flugzeug nach unten, und die Crew versuchte mit ANU ("aircraft nose up") dagegenzuhalten. Das gelang ihr auch mehrere Minuten lang. Ab 23:31 Uhr scheint sich aber der Steuercomputer durchgesetzt zu haben: Die "Pitch Trim Position" zeigte immer mehr nach unten. In der Folge verlor die B 737 MAX 8 rasch an Höhe, wurde immer schneller und krachte um 23:31:54 Uhr Ortszeit ins Meer. Zu diesem Zeitpunkt endeten die Aufzeichnungen.

Aus dem Unfallbericht ergab sich, dass in dem Unglücksflugzeug ein wichtiger Sensor ausgefallen war, und zwar der AoA-Sensor auf der Pilotenseite. Dieser misst, aus welchem Winkel der "Fahrtwind" auf das Flugzeug trifft. Der defekte AoA-Sensor meldete nun einen viel zu hohen Wert, so als ob der Fahrtwind statt (fast) direkt von vorne (wie es in einer normalen Flugposition der Fall ist) von schräg unten kam. Der AoA-Sensor auf der Kopilotenseite funktionierte hingegen normal und meldete den richtigen, niedrigeren Wert. Beim Unglücksflug von Indonesien war der Messwert falsch, nicht die Fluglage, und folglich führte die automatisierte Reaktion des Flugcomputers direkt nach unten ins Verderben. Die Automatik, die hier so kläglich versagt hatte, heißt bei Boeing MCAS (Maneuvering Characteristics Augmentation System) und ist erstmalig mit dem überarbeiten Kurzstreckenjet Boeing 737 MAX eingeführt worden. Ihr Ziel ist es eigentlich, Flugzeugabstürze zu verhindern, indem sie in die Steuerung eingreift, wenn gefährliche Flugzustände drohen oder gar erreicht werden.

Kurz nach dem Absturz veröffentlichte Boeing eine Anweisung, mit der Airlines angehalten werden, im Training der Piloten ausdrücklich auf den Not-Aus-Knopf des MCAS hinzuweisen. Tatsächlich hatte die Crew, die den vorletzten Flug mit dem Unglücksflugzeug von Denpasar nach Jakarta durchgeführt hatte, direkt nach dem Start dieselben Probleme wie die Crew auf dem letzten Flug. Die vorletzte Crew hatte den Not-Aus-Knopf für das MCAS jedoch betätigt, und konnte den Flug dann ohne Probleme bis zum Ziel fortsetzen. Sie wies Techniker auf das Problem mit dem defekten Sensor hin, und die Techniker der Airline arbeiteten in der Nacht am defekten Sensor, konnten den Fehler aber anscheinend nicht beheben.

In der Fachwelt ist seitdem ein Streit darüber entbrannt, ob Boeing die Piloten ausreichend über das MCAS informiert hat. Boeing steht auf dem Standpunkt, dass das MCAS im Flugmanual der 737 MAX verzeichnet ist. Piloten müssen das Manual lesen, bevor sie die Typzulassung für ein Flugzeug erhalten. Vielen Piloten dürften die starken Eingreifmöglichkeiten des nur bei der 737 MAX installierten MCAS so nicht bewusst gewesen sein. Folglich haben Sie dann auch nicht registriert, wie wichtig der MCAS-Not-Aus-Knopf sein kann. Die Krux: Die offensichtliche Fehlerhaftigkeit des MCAS. Die Automatik so zu programmieren, dass die Piloten sie manuell abschalten müssen, weil sie fehlerhafte Eingriffe durchführt, ist schlimm. Am besten wäre es, wenn die Automatik bei widersprüchlichen Sensordaten selbständig ermittelt, welcher Sensor wahrscheinlich defekt ist, und dann genau dessen Daten ignoriert, so Experten. Wenn, wie möglicherweise auch im Fall der Ethiopian-Maschine der pilotenseitige AOA-Sensor eine gefährliche Fluglage anzeigt, alle anderen pilotenseitigen Sensoren (insbesondere Geschwindigkeit und Höhe) hingegen auf eine normale Fluglage deuten, und auch die kopilotenseitigen Sensoren konsistent eine normale Fluglage anzeigen, dann sollte der fehlerhafte Sensor eigentlich recht leicht zu ermitteln sein. Dieser wird dann isoliert, und das Flugzeug bleibt sicher in der Luft.

Ein Boeing-Sprecher lehnte eine Stellungnahme zu Chinas Entscheidung ab. Der Flugzeugbauer kündigte allerdings an, dass er die für Mittwoch in Seattle geplante Feier zur Vorstellung des neuen Modells 777X wegen des Unglücks verschieben werde.
Unterdessen beginnen Experten am Montag mit der Identifizierung der Opfer und Klärung der Unglücksursache. In den weit verstreuten Trümmern des Flugzeugs suchen Helfer nach den Black Boxes – den Flugschreibern mit den Aufzeichnungen der Flugdaten und der Cockpitgespräche. Quelle: CAAC / Boeing / teltarif.de / DMM