Autonomes Fahren funktioniert erst, wenn alle Fahrzeuge Level 5 beherrschen

Viele Autohersteller suggerierten bisher, dass schon im Jahr 2025 vollautonomes Fahren möglich sein wird. Aber sie haben die Rechnung ohne die Tatsache gemacht, dass der Straßenverkehr hochkomplex und unvorhersehbar ist. Sobald es also darum geht, in Situationen mit vielen unbekannten Variablen schnell und flexibel richtig reagieren zu können, müssen die Lösungsansätze zusätzlich KI- und datenzentriert sein. Das gilt für alle heute denkbaren Fahrzeuge, also auch Lkw, Busse, Motorräder und und und. Das alles ist vielleicht in 20 oder 30 Jahren denkbar, wenn überhaupt.

So lange es Mischverkehr gibt, also Fahrzeuge, die autonom fahren können und solche, die es nicht beherrschen und so lange Lkw das Straßenbild dominieren, leben die Insassen der selbstfahrenden Elektro-Lounges auf geborgte Zeit. Ein perfekt gemachtes vollautonomes Auto wird vermutlich selten bis nie einen Unfall verschulden. Aber selbst drei Dutzend Kameras, Scanner und Sensoren sind machtlos, wenn ein Trucker mit seinem 40-Tonner nicht aufpasst. Eine Situation, die tagein tagaus angesichts von 8 Millionen tod- und staubringender Lkw auf dem deutschen Straßennetz für chaotische Verhältnisse sorgt.  

Die allgemeingültigen Definitionen zum autonomen Fahren stammen von der internationalen Society of Automotive Engineers. Sie unterteilen die Entwicklung des autonomen Fahrens in insgesamt sechs Stufen. Entscheidend ist dabei die Frage, inwieweit der menschliche Fahrer noch aktiv sein muss. Bei Level null bis zwei ist der Mensch noch aktiv involviert. Die Technologie – wie z.B. Teslas Autopilot – übernimmt viele ausführende Aufgaben, der Überblick und die letztliche Verantwortung liegt jedoch beim menschlichen Fahrer.

Auf der dritten Entwicklungsstufe beginnt das autonome Fahren mit Features wie Stauassistenten. Hier übernimmt die Technologie zeitweise, der Mensch muss allerdings im Ernstfall innerhalb von Sekundenbruchteilen reagieren und das Steuer übernehmen können. 

Level vier sieht vor, dass Autos in speziell dafür vorgesehenen Bereichen wie Fabrikgeländen vollautonom fahren; das komplett autonome Fahren, bei dem Fahrzeuge in der gesamten Stadt unter sämtlichen Bedingungen selbstständig fahren, ist dann schließlich Level fünf. Dieses wird so verstanden, dass ein Fahrer keine Fahrerlaubnis mehr benötigt – und Fahrzeuge vermutlich auch kein Lenkrad mehr haben werden. Doch selbst auf Level fünf wird ein und dasselbe Fahrzeug vermutlich nie sowohl in München, Los Angeles oder auch in Jakarta fahren können, weil sich die Umgebungsparameter von Kontinent zu Kontinent, von Land zu Land, von Region zu Region von Stadt zu Stadt grundlegend unterscheiden. Sofern verfügbar, ließen sich allerdings Fahrmodelle für unterschiedliche Regionen ins System des Fahrzeugs laden. Aber das ist ein weiteres sehr schwieriges und teures Kapitel. 

Aktuell ist schon teilautonomes Fahren kaum umsetzbar, weil die notwendigen Sicherheitsmargen das Vorankommen eines Roboterautos im Schwarm der Drängler dramatisch verlangsamen, weil der Mensch mit jedem zweiten Lenk- und Bremseingriff des selbstfahrenden Autos hadert und erst recht mit dem generell limitierten Tempo und lieber so schnell wie möglich ankommen möchte.

Zwei Tech-Veteranen von Google und Uber gründeten 2016 Argo AI. Ford investierte ein Jahr später 1 Mrd. US-Dollar. 2020 kam Volkswagen mit 2,6 Mrd. USD dazu. Beide besaßen jeweils 40 %  am Unternehmen. Damals schien es nur noch eine Frage der Zeit, bis ein Verbund aus Silicon Valley und Autobranche das Problem des autonomen Fahrens lösen würde. Doch es kam anders. 2022 wurde Argo AI von den Autoherstellern aufgelöst. 
Nach Analyse von McKinsey investierten Autohersteller und Risikokapitalgeber zwischen 2010 und 2020 insgesamt 106 Mrd. USD  in autonomes Fahren. Die Ergebnisse sind eher dürftig. Die Ziele beim autonomen Fahren „sind einfach zu ambitioniert und ehrgeizig“, sagte Doug Field, bei Ford für Elektrifizierung und Software verantwortlich, auf einer Analystenkonferenz. Seine Prognose: „Auch wenn ich es gern anders hätte, werden wir erst 2025 Level 3 erreichen.“

Level 3 umfasst Fahrsysteme, die in bestimmten Situationen selbstständig fahren – der Fahrer muss aber nach wenigen Sekunden eingreifen können. Vorreiter ist Mercedes, der als erster Hersteller in Deutschland und dem US-Bundesstaat Nevada die Zulassung für ein Level-3-System erreicht hat (DMM berichtete).

Alle anderen Hersteller, auch die in Asien, sehen noch viele dicke Probleme, auch weil die Technologien Grenzen setzen. Am wichtigsten sind die Kameras am Fahrzeug. Fast alle Autohersteller setzen daher weitere Sensoren wie Radar oder Lidar ein, die mit elektromagnetischen Wellen und Laserstrahlen die Umgebung abtasten. Die können auch bei schlechten Sichtverhältnissen Informationen liefern. 

„Fortschritte in der KI-Technologie, wie etwa generative Transformermodelle, werden den heiligen Gral des sicheren autonomen Fahrens, das Level 4 in möglichst vielen Betriebsbereichen, eines Tages ermöglichen“, sagt Peter Fintl, Technologieexperte bei Capgemini. Ob er denn eine Jahreszahl sagen will? Eher nicht – und ohne Radar und Lidar sei das Ziel nicht zu erreichen. Quelle: Google / Ford / Capgemini / DMM