Muss man bei jedem Verkehrsunfall die Polizei rufen?

Bei einem schweren Unfall im Straßenverkehr gehört das Leisten von Erster Hilfe sowie das Absichern der Unfallstelle unbedingt dazu. Bei einem Bagatellunfall sollten die Beteiligten wenigstens die persönlichen Daten austauschen. Bleibt die Frage, ob wirklich nach jedem kleinen Auffahrunfall die Polizei zu rufen ist.

Generell ist man bei einem Verkehrsunfall nicht verpflichtet, die Polizei zu verständigen. Jedoch müssen die Unfallbeteiligten dann selbst die erforderlichen Feststellungen treffen, damit ihre Versicherungen den Schaden regulieren können. Was dazu nötig ist, findet man in § 142 Strafgesetzbuch (StGB): Jeder Beteiligte an einem Verkehrsunfall ist demzufolge verpflichtet, den anderen Parteien Angaben zu seiner Person, zum gefahrenen Fahrzeug sowie zu seiner Beteiligung am Unfall zu machen. Zudem sollten die Unfallbeteiligten den Unfallhergang in einem zusammen erstellten Europäischen Unfallbericht dokumentieren. Dieser ist u. a. bei Versicherungen und Automobilklubs sowohl vor Ort als auch online erhältlich und sollte immer im Fahrzeug mitgeführt werden. Keinesfalls sollte man jedoch gegenüber dem Unfallgegner seine eigene Schuld anerkennen und z. B. ein entsprechendes Dokument unterzeichnen.

Bei gewissen Unfällen sollte man aber unbedingt die Polizei hinzuziehen. Zu nennen sind hier in erster Linie schwere Unfälle mit Verletzten oder gar Toten. Verzichtet man in diesem Fall auf die Verständigung der Polizei, nimmt man zumindest eine Anzeige aufgrund von unterlassener Hilfeleistung in Kauf. Zudem ist eine polizeiliche Unfallaufnahme unverzichtbar, wenn man den Eindruck hat, dass der Unfallgegner unter dem Einfluss berauschender Mittel wie Alkohol oder Drogen stand. Vor allem wenn der andere Unfallbeteiligte Schlangenlinien gefahren ist, kaum gerade gehen kann oder seine Pupillen vergrößert bzw. verkleinert sind, deutet dies darauf hin, dass er nicht in der Lage war, das Fahrzeug sicher zu führen.

Üblicherweise wird man bei Verkehrsunfällen bis auf seltene Ausnahmen ein gewisses Mitverschulden anerkennen müssen. Eine 50/50-Aufteilung der Haftung ist nicht selten. Ein so pflichtwidriges (mithin auch strafbares) Verhalten des Unfallgegners kann jedoch dazu führen, dass er den gesamten Schaden zu begleichen hat. Daher sollte man als Fahrer ein großes Interesse daran haben, Blutalkoholwerte etc. amtlich feststellen zu lassen.

Wann liegt ein Bagatellunfall vor? Im Falle eines Bagatellunfalls müssen die Beteiligten nicht unbedingt die Polizei rufen. Bei einem solchen Unfall dürfen keinesfalls Personen zu Schaden gekommen sein. Es darf demnach höchstens ein Sachschaden entstanden sein. Hierbei muss es sich laut Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGH) um einen kleinen Schaden im Wert von höchstens 700 Euro handeln. Daher kann man von einer solchen Bagatelle nur bei oberflächlichen Lackschäden ausgehen (vgl. BGH, Urteil vom 10.10.2007 – Az.: VIII ZR 330/06). Da Laien verursachte Schäden ihrer Höhe nach in der Regel nur schwer schätzen können, sollte man auf das Verständigen der Polizei nur dann verzichten, wenn offenkundig lediglich ein kleiner Lackkratzer vorliegt. In diesem Fall ist unbedingt darauf zu achten, den entstandenen Schaden durch Fotos genau zu dokumentieren.

Unabhängig davon, ob es sich um einen Bagatellunfall handelt oder nicht, sollte man umgehend sämtliche relevanten Versicherungen über den Verkehrsunfall informieren. Hierzu zählt die eigene Kfz-Haftpflichtversicherung und die des Unfallgegners, aber auch eine womöglich bestehende Kaskoversicherung. Hinzu kommt eine ggf. abgeschlossene Rechtsschutzversicherung. Wie rasch dies geschehen muss, ist von den jeweiligen Versicherungsbedingungen abhängig. Im Regelfall liegt die einzuhaltende Frist zur Meldung des Unfallgeschehens bei einer Woche. Hält man sie nicht ein, kann es passieren, dass die Versicherung den Unfallschaden nicht begleichen muss.

Auch bei einem Bagatellschaden sollte man in gewissen Situationen die Polizei verständigen. Unverzichtbar ist dies beispielsweise, wenn zwischen den Unfallbeteiligten keine Einigkeit über den genauen Unfallhergang besteht. Genauso verhält es sich, wenn es sich bei dem Wagen des Unfallgegners um ein Fahrzeug handelt, das ein Kennzeichen von einem Staat außerhalb der EU führt und dessen Fahrer keinen Versicherungsschutz nachweisen kann. Bei einem Unfall mit einem Leihwagen kann man gemäß den allgemeinen Geschäftsbedingungen des Versicherers verpflichtet sein, auch bei einem Bagatellschaden die Polizei hinzuzuziehen. Sollte es dazu kommen, empfiehlt es sich, im Zweifelfall zuerst in den Versicherungsbedingungen nachzulesen.

Wenn das vorausfahrende Fahrzeug ohne ersichtlichen Grund abrupt abbremst und man auffährt, kann ein vorgetäuschter Unfall vorliegen. Am besten vertraut man hier auf sein Bauchgefühl und verständigt im Zweifelsfall die Polizei. Schließlich stellt das vorsätzliche Herbeiführen eines Verkehrsunfalls einen Versicherungsbetrug oder je nach Einzelfall sogar einen vorsätzlichen gefährlichen Eingriff in den Straßenverkehr dar. Quelle: Boris Christof Böhm, Jurist. Redaktion www.anwalt.de / DMM